Ein Land im Aufbruch
DAAD
Beate Schindler-Kovats leitet das DAAD-Büro in Tunis
Der „Arabische Frühling“ hat der tunesischen Bevölkerung einen tiefgreifenden Wandel mit zahlreichen Herausforderungen gebracht. Eine hochgelobte Verfassung gibt nun neue Hoffnung. Beate Schindler-Kovats, die das vor einem Jahr offiziell eröffnete DAAD-Büro in Tunis leitet, sieht sich etlichen austauschwilligen, hochmotivierten Studierenden gegenüber – und wünscht den tunesischen Hochschulen schnelle Reformen.
Wenn Beate Schindler-Kovats etwas im Internet sucht, muss es schnell gehen. Denn sie kann sich auf die Verbindung nicht verlassen: Alle zehn Minuten bricht sie ab. „Die Netze sind komplett überlastet“, sagt die Leiterin des DAAD-Büros. „Sie sind einfach nicht auf so viele Nutzer ausgelegt.“ Damit ist das Internet nur einer der Bereiche, in dem die Tunesier mit ihrem Fortschrittsdrang alle überrascht haben. Im Januar verabschiedete das tunesische Übergangsparlament nach zwei konfliktreichen Jahren mit überwältigender Mehrheit eine Verfassung, die eine wichtige Basis für die Demokratie darstellt – und die Gleichheit von Männern und Frauen vor dem Gesetz ebenso garantiert wie die Unabhängigkeit der Justiz.
Seitdem spürt Schindler-Kovats selbst bei ihren bisher eher skeptischen Partnern geradezu Euphorie. „Es herrscht Aufbruchstimmung. Gerade beim Blick auf die Nachbarländer sind die Tunesier stolz, sich zusammengerauft zu haben“, berichtet sie. Die rasche und klare Positionierung der Bundesregierung nach der Jasminrevolution und insbesondere die aus Mitteln des Auswärtigen Amts geförderte Transformationspartnerschaft haben der Arbeit des DAAD in Tunesien den Weg bereitet: „Deutschland ist hier sehr gut angesehen und genießt einen hohen Sympathiewert. Vor allem die Innovationen und das Ingenieurswesen sind bekannt.“
Deutschkurse in Tunesien voranbringen
Entsprechend interessieren sich zahlreiche Studierende der Ingenieur- und Naturwissenschaften und der Medizin für den Austausch nach Deutschland. Die Geisteswissenschaftler dagegen sind traditionell nach Frankreich orientiert. „Es ist für sie wegen der Sprache einfacher, dort zu studieren“, erklärt Schindler-Kovats. „Die Studierenden der technischen Berufe hingegen sprechen gut Englisch und wissen, dass das für ihr Fach meist ausreicht.“
Um einen Austausch auch für andere Fachrichtungen einfacher zu machen, will sie deutsche Sprachkurse in Tunesien voranbringen. Doch das ist nicht so einfach. Das Goethe-Institut kann den vielen Anfragen kaum noch Herr werden: „Innerhalb von Minuten sind die Kurse ausgebucht“, sagt Schindler-Kovats. Und ein Lehrkonzept mit Computerunterstützung konnte nur zwei Hochschulen als Partner gewinnen, weil die Technik nicht mitspielte. Nötig waren Computerräume, in denen mindestens mehrere Rechner miteinander vernetzt werden können. Das gibt es in den meisten tunesischen Bildungseinrichtungen nicht. Außerdem stellte das Ministerium keine Mittel für die Lehrer bereit.
Die technische Ausrüstung ist nicht das einzige aktuelle Manko der tunesischen Hochschulen. „Das alte französische System des Frontalunterrichts ohne Praxisbezüge kommt hier an seine Grenzen“, analysiert Schindler-Kovats. Deshalb stehen nun einer Industrie, die händeringend nach Fachkräften sucht, Hochschulabsolventen gegenüber, deren Ausbildung an den Bedürfnissen ihrer potenziellen Arbeitgeber vorbei ging. „Diese jungen Leute sitzen dann tagsüber in den Cafés, weil sie keine Jobs finden“, beklagt Schindler-Kovats. Das deutsche Fachhochschul-System stoße in Tunesien auf großes Interesse, weil die Industrie hierbei von Anfang an einbezogen ist.
Handlungsbedarf an den Universitäten
Reformen der Curricula an den Hochschulen gehören daher zu den großen Herausforderungen für die künftige Regierung. Doch Schindler-Kovats sieht auch in anderen Bereichen schnellen Handlungsbedarf. „Die Wirtschaft liegt darnieder, die Leute sind verschuldet“, erzählt sie und führt ein Beispiel aus dem Tourismus an. „Die Hotels sind zwar nach wie vor ausgebucht, aber zu Dumpingpreisen von 299 Euro für eine Woche im Vier-Sterne-Hotel. Das rechnet sich natürlich nicht.“
Ihr großer Wunsch für das Land ist derselbe wie der der meisten Tunesier: Zeitnahe Wahlen, die eine Regierung aus verschiedenen demokratischen Parteien ermöglichen. Gerne dürfe auch die islamische Ennahda-Partei darin vertreten sein, findet Schindler-Kovats: „Nur so kann man auch die Anhänger dieser Gruppe in den politischen Prozess einbeziehen.“
Julia Bähr (17. Februar 2014)