Deutschlands Verantwortung in der EU
DAAD
Botschafter Peter Tempel am Rednerpult in Brüssel
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Fragen neu belebt: Welche Rolle soll Deutschland in der Europäischen Union (EU) einnehmen? Was bringt die EU Deutschland überhaupt? Mit Botschafter Peter Tempel, Ständiger Vertreter Deutschlands bei der EU, hatte die DAAD-Außenstelle Brüssel einen Fachmann zu diesen Fragen eingeladen, um mit Alumni über dieses Spannungsfeld zu diskutieren.
Der größte Mitgliedstaat der Europäischen Union weiß um seine Rolle in der Gemeinschaft der mittlerweile 28 EU-Länder. Diesen Eindruck vermittelte Botschafter Peter Tempel, Deutschlands Ständiger Vertreter bei der EU, während der Brüsseler Alumni-Veranstaltung. Immer wieder betonte er, dass für Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs unbestritten die Devise gelte: „Deutschland braucht Europa – Europa braucht Deutschland“.
So lautete auch der Titel der Alumni-Veranstaltung, die der DAAD in Brüssel zum ersten Mal gemeinsam mit dem „Mercator Program Center for International Affairs“ ausgerichtet hat, einem Netzwerk für Nachwuchskräfte und Partnergesellschaft der Stiftung Mercator aus Essen. Der Titel der Alumni-Veranstaltung ist ein Zitat. 1949 hatte Deutschlands erster Bundespräsident Theodor Heuss diesen Satz in seiner Amtsantrittsrede geprägt. „Heuss war ein Mann, der zwei Weltkriege miterlebt hatte, aber auch, wie Frankreich Deutschland die Hand zur Versöhnung reichte“, erinnerte Peter Tempel an den historischen Kontext. Heuss’ Schlussfolgerungen aus der Geschichte hätten sich zum Leitbild aller Bundesregierungen entwickelt. Aus diesem Grundsatz heraus entstehe das Handlungskonzept Deutschlands in der EU. Deutschland wisse, dass es den Ausgleich mit den europäischen Partnern suchen muss. Für Alleingänge sei kein Platz. Aber als wirtschaftsstarker und bevölkerungsreichster Mitgliedstaat falle Deutschland auch eine besondere Verantwortung für die Geschicke der Gemeinschaft zu. Alles, was für die Gemeinschaft als Ganzes gut sei, fände deutsche Unterstützung. Als Beispiele aus der aktuellen EU-Politik nannte Tempel die Bemühungen um eine Bankenunion, die Europa sicherer vor neuen Finanzkrisen machen soll, sowie die weitere Ausgestaltung des Binnenmarktes und die Förderung internationaler Handelsbeziehungen bis hin zum geplanten Freihandelsabkommen mit den USA. Deutschlands Rolle als Motor dieser Anstrengungen sei selbstverständlich. „Die europäische Integrität hat Frieden und Wohlstand gebracht. Dadurch spielt Deutschland wieder eine Rolle in Europa. Aber dadurch entsteht auch die Verantwortung, diese Errungenschaften zu erhalten“, sagte Tempel.
Keine einfache Aufgabe
Dass dies keine einfache Aufgabe ist, machte die Diskussion des Abends deutlich. DAAD-Alumnus Peter Lochbihler, der als Senior Manager EU Affairs für Rolls-Royce in Brüssel tätig ist, ersetzte im Heuss-Zitat Deutschland durch Großbritannien: „Braucht Großbritannien Europa und braucht Europa Großbritannien?“, fragten sich viele, was ihn zur Frage nach der Rolle und Wahrnehmung Großbritanniens im Europäischen Rat führte. Und sei es nicht so, dass Angela Merkel froh über den britischen Premierminister David Cameron sei, wenn er mit Kritik an Brüssel ausspreche, was die Bundeskanzlerin vielleicht manchmal selbst denke? „Großbritannien ist eine alte, gewachsene Demokratie, gehört zum Wertebund der EU, hat jahrhundertealte internationale Erfahrung und steht für Freihandel und Öffnung der Märkte“, antwortete Tempel diplomatisch. Für Europa wäre es notwendig, dass Großbritannien in der EU bleibe.
Mehr Werbung für Europa
Holger Sahl, aktuell als Stipendiat des Carlo-Schmid-Programms des DAAD und der Studienstiftung des deutschen Volkes in Brüssel, richtete den Fokus auf die Europaverdrossenheit der Bürger. Ob nicht auch die Bundesregierung mehr Werbung für Europa machen müsse? Für viele bleibe die EU zu abstrakt. Der Botschafter entgegnete: „Die meisten Bürger wissen wohl auch nicht, wie der Bundesrat funktioniert und in Deutschland Gesetze entstehen“. Es sei immer noch so, dass das nationale Geschehen den Menschen präsenter sei, als das Geschehen auf der EU-Ebene. Komplizierter aber sei die EU-Politik nicht unbedingt. „Jeder, der sich mit Politik beschäftigt, muss sich bemühen“, so der Botschafter. Uneingeschränkt dagegen seine Zustimmung, dass mehr und offener für die EU geworben werden müsse – auch von Seiten der Politik.
Professorin Antje Büssgen, die an der Université catholique de Louvain Neuere deutsche Literaturwissenschaft lehrt, fragte nach der Rolle der Bildung. Sie sei wichtig, um die Europa-Idee in den Köpfen der Menschen stärker zu verankern. „Müsste Europa deshalb nicht auch in Bildung investieren? Ihre Inhalte werden doch langfristig das Denken von Europa bestimmen.“ Peter Tempel sah das ähnlich. Die Entstehungsgeschichte der EU müsse Teil der Ausbildung junger Menschen werden, damit Errungenschaften wie Frieden und Grenzfreiheit in der EU nicht als Selbstverständlichkeiten angesehen würden. Deren Wert zeigten zudem die aktuellen Ereignisse in der Ukraine. „Jeder in seinem Bereich muss für diese Bildung etwas tun. Das ist die Basis für unsere Sicherheit in der Zukunft“, sagte er. Im Auswärtigen Amt habe man etwa das Thema Europa als festen Bestandteil der Diplomatenschulung aufgenommen.
Streitfall Schweiz
Nina Salden, Leiterin der DAAD-Außenstelle Brüssel, griff den Punkt der Bildung auf. Die EU habe als Reaktion auf das Referendum in der Schweiz, bei dem die Mehrheit der Bevölkerung die vertraglich vorgesehene Einführung der vollen EU-Freizügigkeitsregeln abgelehnt hatte, die Schweiz aus Forschungs- und Bildungsprogrammen wie Erasmus+ ausgeschlossen. „Trifft man damit nicht die Falschen, nämlich die junge Generation, die doch eigentlich Europa erleben sollte?“, stellte Salden die EU-Entscheidung in Frage. Botschafter Tempel stimmte indirekt zu, stellte allerdings auch klar, dass die Entwicklungen in der Schweiz nicht ohne Reaktionen seitens der EU hätten bleiben können. „Wir haben verschiedene Abkommen mit der Schweiz, die in ihrer Gültigkeit voneinander abhängig sind“, erläuterte er. Die EU sei aber im Dialog mit der Schweiz, die sich Zeit erbeten habe, um zu überlegen, wie mit dem Ergebnis des Referendums umgegangen werden könne. Es sei im Interesse beider Seiten, dass eine Lösung für die nicht einfache Situation gefunden werden könne – den Bildungs- und Forschungsbereich mit eingeschlossen.
Die lebhafte Diskussion des Abends hat gezeigt: Die Rolle Deutschlands in der EU ist ein Thema, das die DAAD-Alumni in Brüssel – egal ob deutscher oder ausländischer Herkunft – gleichermaßen interessiert. Denn sie alle leben und arbeiten im EU-Umfeld. An die 300 Alumni zählt der DAAD derzeit in Brüssel. Sie will die Außenstelle durch gemeinsame Veranstaltungen vernetzen und ihren Kontakt zum DAAD und nach Deutschland stärken.
Kay Wagner (29. April 2014)