"Die Londoner Jahre waren mit die glücklichsten unseres Lebens"
Thomas Zehnder
Meister ihres Fachs: Hans-Peter (l.) und Volker Stenzl
Gemeinsam als DAAD-Stipendiaten nach Großbritannien, gemeinsam auf den Bühnen der Welt: Hans-Peter Stenzl und Volker Stenzl zählen zu den international besten Klavierduos und haben an der Hochschule für Musik und Theater Rostock den weltweit ersten Lehrstuhl für Klavierduo inne. Im Interview mit dem DAAD-Online-Magazin spricht Hans-Peter Stenzl über das anspruchsvolle vierhändige Spiel und den Gewinn eines Studiums im Ausland.
Herr Professor Stenzl, Sie stehen mit Ihrem Bruder seit mehr als 25 Jahren gemeinsam auf der Bühne. Wie muss man sich Ihren musikalischen Familienbetrieb vorstellen?
Hans-Peter Stenzl: Wir verbringen wohl mehr Zeit miteinander als viele Ehepaare. Das mag für Außenstehende außergewöhnlich sein, ist für uns aber zur Selbstverständlichkeit geworden. Klavierduo ist eine äußerst zeitaufwendige Disziplin: Jeder muss zunächst seinen Part so viel üben wie ein Solist, daran schließt sich die gemeinsame Arbeit an. Wir haben bereits als Jugendliche in unserer Heimatstadt Schwäbisch Gmünd mit dem vierhändigen Spiel begonnen. Unser erster Klavierlehrer hat uns dafür begeistert. Als professionelles Klavierduo starteten wir allerdings erst nach dem individuellen pianistischen Grundstudium an der Musikhochschule Stuttgart, da ein solides solistisches Fundament für das Duospiel wichtig ist.
Kurz darauf feierten Sie erste große Erfolge: 1985 gewannen Sie den Internationalen Brahms-Wettbewerb in Hamburg, ein Jahr später den ARD-Musikwettbewerb in München.
Das war für uns als Klavierduo eine wichtige Initialzündung. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte sich eine Eigendynamik mit vielen Konzerten und der ersten Zusammenarbeit mit einer Agentur. Dennoch wollten wir – um den Preis der Kontinuität – noch einmal im Ausland studieren und fremdes Terrain erobern. Wir bewarben uns für DAAD-Stipendien, die uns in den Jahren 1988 bis 1990 gemeinsam nach London an die Royal Academy of Music führten. Und ich muss sagen: Die Londoner Jahre waren mit die glücklichsten und fruchtbarsten Jahre unseres Lebens. Die Stadt mit ihrem künstlerischen Puls und die wunderbare Ausbildung an der Royal Academy haben uns viel Kraft gegeben, wir fühlten uns unterstützt und getragen. Nach der Förderung durch den DAAD lebten wir deshalb als Juniorprofessoren bis 1993 weiter in Großbritannien.
An der Hochschule für Musik und Theater Rostock leiten Sie seit 1999 gemeinsam mit Ihrem Bruder eine Meisterklasse für Klavierduo. Seit 2012 haben Sie dort auch den weltweit ersten und einzigen Lehrstuhl für Klavierduo inne. Was zeichnet Ihre Lehre aus?
Wir betreuen aktuell fünf Klavierduos im Masterstudiengang und im Konzertexamen. Die Studierenden müssen bereits als formiertes Klavierduo antreten und sich ebenso durch ein gutes solistisches Spiel qualifizieren. Wir helfen ihnen, die fachspezifischen Schwierigkeiten zu überwinden und bereiten sie auf Wettbewerbe und Konzerte vor. Wir unterrichten gerne, nicht zuletzt aufgrund der hohen Qualität unserer Studierenden: Es sind hochmusikalische, sensible Menschen, mit denen wir in einem fruchtbaren Austausch stehen. Die pädagogische Arbeit verlangt viel Reflexion und wirkt auf uns zurück – das tut der eigenen Arbeit gut.
In der internationalen Musikszene genießen Sie hohes Ansehen. Wie finden Sie und Ihr Bruder zu einer gelungenen Interpretation?
Da muss man zunächst fragen: Was ist überhaupt eine gelungene Interpretation? Unserer Erfahrung nach setzt sie sich aus zahlreichen Komponenten zusammen und verändert sich mit den Erfahrungen und dem Lebensalter. Der Ausgangspunkt ist zwar der Notentext des Komponisten, aber wie Gustav Mahler so treffend formuliert hat: Alles steht in den Noten, nur das Wesentliche nicht. Die hinter den Noten stehende Idee, die innere Stimmigkeit gilt es zu erspüren. Für ein Klavierduo ist dabei der Austausch mit dem Partner entscheidend: Entweder verbal oder durch das Spiel. Wenn mein Bruder und ich gar nicht zu einem gemeinsamen Nenner finden, einigen wir uns auf die Lösung des einen oder des anderen – auf keinen Fall aber auf einen Kompromiss.
Zu Ihrem Repertoire gehören sowohl Stücke an zwei Klavieren als auch vierhändige Werke für ein Piano. Welche technischen Schwierigkeiten haben Sie dabei zu meistern?
Spielen wir zusammen an einem Flügel, müssen wir vorab klären, wer das Pedal bedient. Logischerweise kann immer nur einer von uns mit dem Fuß auf dem Pedal stehen, so dass er den Part des anderen miteinschließen und auch für ihn den Klangraum öffnen muss. Das ist eine schwierige Aufgabe, die uns beim Einstudieren viel Zeit kostet. Darüber hinaus stellt sich das Problem der klanglichen Transparenz – auch dann, wenn wir auf zwei Flügeln spielen. Natürlich sind zwei Klaviere nie ganz identisch in ihrer Klangfarbe, aber der Grundklang ist doch sehr ähnlich. Wir müssen deshalb aus der Fülle von Noten Räume und Ebenen schaffen, sodass vielfältige Eindrücke beim Zuhörer ankommen.
Christina Pfänder (27. August 2014)