DAAD-Alumnus und Ökonom Stephen Silvia: Ein ausgezeichneter Deutschland-Kenner
American University/Jeff Watts
Stephen Silvia: "Ich denke, die deutsche Wiedervereinigung ist gelungen, wenngleich noch nicht vollendet"
Stephen Silvia, Professor an der American University in Washington, spezialisierte sich schon während seines Studiums in Yale auf internationale Wirtschaftspolitik. Seine Forschungen zum Arbeitsmarkt führten ihn in den Folgejahren immer wieder nach Deutschland; 2009 war er Gastprofessor an der Universität Kassel. Vor Kurzem wurde Stephen Silvia mit dem „DAAD Prize for Distinguished Scholarship in German and European Studies“ ausgezeichnet. Ein Interview über Gewerkschaften, Griechenland und 25 Jahre deutsche Wiedervereinigung.
Herr Professor Silvia, Deutschland ist einer Ihrer großen Forschungsschwerpunkte. Warum interessieren Sie sich so sehr für das Land?
Stephen Silvia: Viele amerikanische Wissenschaftler haben deutsche Vorfahren; ich hingegen bin portugiesischer und franko-kanadischer Herkunft. Insofern gibt es keine persönliche Verbindung. Ich interessiere mich aber für Gewerkschaften, und die sind in Deutschland besonders stark. In den USA liegt der Organisationsgrad viel niedriger. Ich vergleiche Deutschland und die USA auch auf anderen Gebieten, etwa in der Rentenpolitik. Oft heißt es, die Deutschen täten sich generell eher schwer mit Reformen und die Amerikaner seien so anpassungsfähig, aber in der Rentenpolitik ist es umgekehrt. Da hat Deutschland vor 10, 15 Jahren wichtige Schritte gemacht.
Kurz nach dem Fall der Mauer waren Sie mit einem Fulbright-Stipendium in Berlin. Wie beurteilen Sie heute, nach 25 Jahren, die Wiedervereinigung?
Ich denke, sie ist gelungen, wenngleich noch nicht vollendet. Bei der Produktivität und den Löhnen gibt es nach wie vor ein Ost-West-Gefälle. Aber in den USA verläuft auch immer noch eine unsichtbare Grenze zwischen Nord- und Südstaaten, dabei liegt das Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs 150 Jahre zurück. Das zeigt: Die Bewältigung von historischen Episoden dieser Dimension braucht viel Zeit. Aber Deutschland hat schon eine Kanzlerin und einen Bundespräsidenten ostdeutscher Herkunft – das ist doch etwas!
Woran arbeiten Sie aktuell?
Ich untersuche die Politik der deutschen Autobauer, die in den USA produzieren, unter dem Gesichtspunkt der Arbeitnehmervertretung. Es ist spannend, dass sie ganz unterschiedlich ausfällt. Volkswagen ist gegenüber einer Arbeitnehmervertretung sehr offen, BMW hat kein Interesse, bei Daimler ist es so ein Zwischending. Ich führe dazu Interviews mit Managern, Betriebsräten, Gewerkschaftern und Verbandschefs. Dazu reise ich auch nach Deutschland, demnächst nach Stuttgart, Wolfsburg und Berlin. Berlin ist meine Lieblingsstadt. Sie spiegelt die ganze deutsche Geschichte.
Wie verständigen Sie sich auf Ihren Forschungsreisen?
Ich spreche recht gut Deutsch, obwohl ich es erst im Studium gelernt habe. Ganz wichtig war ein Stipendium des DAAD für einen Aufenthalt am Goethe-Institut in Boppard. Das war 1985. Ohne diese Erfahrung könnte ich meine Interviews heute kaum auf Deutsch führen. Und vielleicht hätte ich auch weniger Verständnis für Deutschland. Ich mag die deutsche Gemütlichkeit sehr und finde die Menschen offen und hilfsbereit. Selbst wichtige Leute kommen mir entgegen und stellen sich für Interviews zur Verfügung. Vielleicht habe ich den Vorteil, dass ich Ausländer bin und damit ein bisschen exotisch (lacht). In den USA ist das nämlich schwieriger.
Sie haben sich auch mit der europäischen Wirtschaft beschäftigt. Was glauben Sie: Wird es der EU gelingen, die gegenwärtige Krise zu überwinden?
Griechenland ist ein Sanierungsfall, eine Sanierung ist also unvermeidbar. Das Problem ist, dass die Positionen Deutschlands und Griechenlands einfach nicht zusammenpassen: Für die deutsche Regierung ist es aus innenpolitischen Gründen fast unmöglich, Zugeständnisse zu machen, während die griechische nicht umhin kommt, gerade diese zu fordern. Wie das ausgeht? Man wird sehen. Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro wäre schlimm, aber längerfristig vielleicht das kleinere Übel. Er würde dem Land seine Souveränität in der Geldpolitik zurückgeben – und einen größeren Spielraum für Reformen.
Vor Kurzem wurden Sie mit dem „DAAD Prize for Distinguished Scholarship in German and European Studies“ ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen das?
Sehr viel, denn es gibt nur wenige Preise dieser Art, und dieser ist unter Wissenschaftlern besonders bekannt und angesehen. Da er im Drei-Jahres-Turnus abwechselnd an Geisteswissenschaftler, Politologen und Ökonomen vergeben wird, sind die Chancen nicht sehr hoch, ihn zu bekommen. Ich habe mich sehr gefreut, und Kollegen aus aller Welt schickten Glückwunsch-Mails!
Interview: Christine Mattauch (31. März 2015)
DAAD Prize for Distinguished Scholarship in German and European Studies
Der DAAD Prize for Distinguished Scholarship in German and European Studies wird vom in Washington ansässigen American Institute for Contemporary German Studies (AICGS) verliehen. Das AICGS ist an die Elite-Hochschule Johns Hopkins University angegliedert und fördert die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklungen und Veränderungen auf europäischer und globaler Ebene. Dabei wird das Institut vom DAAD unter anderem durch das DAAD/AICGS Research Fellowship Program unterstützt. Der DAAD Prize for Distinguished Scholarship in German and European Studies wird jährlich wechselnd in den drei zentralen Forschungsfeldern des AICGS verliehen: Ökonomie, Kultur und Politik. Professor Stephen Silvia ist bereits der 20. Preisträger.
American Institute for Contemporary German Studies