Ladislao Mittner-Preis: Ausgezeichnete Rechtswissenschaft
DAAD/Annarita Jenco
Träger des Mittner-Preises 2015 (v. l.): Riccardo Omodei Salè und Alberto De Franceschi
Der Ladislao Mittner-Preis des DAAD geht seit 2002 an junge Wissenschaftler, die Außergewöhnliches für den deutsch-italienischen Austausch leisten. In der Residenz der deutschen Botschafterin am Heiligen Stuhl wurden 2015 zwei herausragende Rechtswissenschaftler geehrt, deren Arbeiten auch zum weiteren Zusammenwachsen Europas beitragen.
Riccardo Omodei Salè, Professor für Privatrecht an der Universität Verona, ist ein Entdecker. Das gilt in rechtswissenschaftlichen Fragen, bei denen sich der 38-Jährige auf neues Terrain vorwagt. Und es gilt in besonderer Weise für seine vielfältigen Beziehungen zu Deutschland, das er in den vergangenen Jahren während Forschungsaufenthalten an den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Bielefeld, Heidelberg und Osnabrück sowie am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg kennengelernt hat. Bei seiner Dankesrede zur Verleihung des Ladislao Mittner-Preises in Jura schilderte Omodei Salè unterhaltsam, bei welch unterschiedlichen Gelegenheiten er sich für seine Forschungsarbeit inspirieren ließ: beim Joggen im Teutoburger Wald, beim Ausflug ins Germanische Nationalmuseum nach Nürnberg oder beim Spaziergang durch den Botanischen Garten Osnabrück.
Am European Legal Studies Institute der Universität Osnabrück verbrachte Riccardo Omodei Salè eine besonders prägende Zeit, die auch seine 2012 veröffentlichte, mehrfach ausgezeichnete Monografie zu Detention (Inhabung) und Besitz wesentlich beeinflusst hat. Professor Alessio Zaccaria von der Universität Verona, der während der Verleihung des Mittner-Preises die Laudatio auf Omodei Salè hielt, verwies auf den „großen Nachhall“ dieser Arbeit in Deutschland. Von einer „befruchtenden Wirkung“ des Werks auf die Diskussion des Besitzschutzrechts auf europäischer Ebene schrieb etwa auch ein Rezensent des in Deutschland herausgegebenen „Jahrbuchs für Italienisches Recht“.
Übersetzer im länderübergreifenden Rechtsdialog
Man muss nicht die Feinheiten des Privatrechts verstehen, um zu erkennen, wie Riccardo Omodei Salès wissenschaftliche Arbeit zu einer Verständigung im deutsch-italienischen, ja europäischen Dialog beiträgt. Gerade im Bereich des Privatrechts kommt es im Prozess der europäischen Einigung darauf an, die Pluralität der Rechtskulturen mit der Herausforderung des zusammenwachsenden Kontinents zu verbinden: Nur Kenner der unterschiedlichen Traditionen und Entwicklungen können zu Übersetzern werden, die zu einer belastbaren Basis des länderübergreifenden Rechtsdialogs beitragen.
Bei Riccardo Omodei Salè zeigt sich dieses internationale Engagement auch durch seine Beteiligung am Aufbau eines deutsch-italienischen Doppelpromotionsprogramms an den Universitäten Verona und Bayreuth im Bereich „Recht und Rechtsdurchsetzung in Europa“. Oder durch seine Arbeit als Fellow des unabhängigen Netzwerks des European Law Institute und seine Präsenz auf internationalen Tagungen. Im September 2013 nahm er beispielsweise an der Tagung der Gesellschaft für Rechtsvergleichung „Recht und Rechtsvergleichung in der Finanzkrise“ an der Philipps-Universität Marburg teil. In Rom betonte er nun: „Der Mittner-Preis gibt mir den Mut, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.“
Preisverleihung in der Botschaftsresidenz
Es ist ein Weg, der Ladislao Mittner (1902-1975) gefallen hätte. Den bedeutenden italienischen Germanisten, dessen familiäre Wurzeln auch nach Kroatien und Ungarn reichen, würdigte Botschafterin Annette Schavan beim Empfang der Preisträger in ihrer Residenz als einen „Europäer, der davon überzeugt war, dass der kulturelle Dialog bedeutsam ist“. Diesen Dialog pflegen die beiden neuen Mittner-Preisträger Professor Riccardo Omodei Salé und Dr. Alberto De Franceschi auf herausragende Weise im Feld der Rechtskulturen. Auch angesichts der jüngsten Herausforderung der europäischen Gemeinschaft durch die Flüchtlingskrise sagte DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel an die beiden Preisträger gewandt: „Europa braucht Sie in diesen Tagen.“
Bereichernder, internationaler Austausch
„Ich bin ein großer Europa-Freund“, betonte der 36-Jährige De Franceschi, der an der Universität Ferrara Europäisches Vertragsrecht lehrt, in seiner Dankesrede zur Verleihung des Preises. Mit spürbarer Freude berichtete er im persönlichen Gespräch von seiner Arbeit im Herausgebergremium des englischsprachig erscheinenden Journal of European Consumer and Market Law (eucml.eu). „Es bereichert mich, wenn ich mich dort mit den Kollegen von verschiedenen europäischen Universitäten austauschen kann“, so De Franceschi über die Arbeit in dem Gremium mit Wissenschaftlern aus Deutschland, Großbritannien, Österreich, Polen und den Niederlanden.
DAAD
In der Residenz der deutschen Botschafterin am Heiligen Stuhl: die Preisträger mit Tobias Bargmann, Leiter des DAAD-Informationszentrums Rom
Europäische Gemeinschaft bedeutet aber auch die Herausforderung, gemeinsame Regeln für oft widerstreitende Interessen zu finden. Hier setzt Alberto De Franceschi mit seiner wissenschaftlichen Arbeit an. Etwa wenn er mit einem aktuellen Aufsatz veranschaulicht, wie EU-Richtlinien im Bereich der Luftfahrt zu europaweit vergleichbaren Preisen für die Verbraucher und einem fairen Wettbewerb der Fluggesellschaften beitragen.
Rechtssicherheit schaffen
De Franceschi weiß um den weiten Weg, der für gemeinsame Regeln zu gehen ist. Er veranschaulicht das anhand der rechtlichen Diskussion um Kostenfallen im Internet. Hier habe der europäische Gesetzgeber den Verbrauchern zwar beim Download von zunächst nicht als kostenpflichtig deklarierten Programmen Rücktrittsrechte eingeräumt. Aber wie ist zum Beispiel das englische „not binding“ in verschiedene europäische Sprachen zu übersetzen und welche Implikationen sind mit der Übersetzung verbunden? „Es macht keinen Sinn, theoretisch neutrale Begriffe einzuführen, ohne zu erklären, welche Folgen diese Begriffe in der Praxis haben“, sagt De Franceschi. „Ohne diese Erläuterung droht der EU statt der angestrebten Vollharmonisierung eine Vollfragmentierung.“
Wissenschaftliche Netzwerke wie die traditionsreiche deutsch-italienische Partnerschaft zwischen München und Ferrara können diese fehlende Rechtssicherheit in Europa verhindern. Gefördert von der Alexander von Humboldt-Stiftung verbringt Alberto De Franceschi derzeit einen Forschungsaufenthalt in München an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) sowie am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, dem er schon seit Längerem verbunden ist. Am MPI wirkt auch sein Laudator Professor Michael Lehmann, der in seiner Rede die „italienische Community“ am Institut und das „Privileg“ der Partnerschaft mit den italienischen Kollegen herausstellte.
Zentrale Zukunftsthemen
Alberto De Franceschi zeigt sich seinerseits begeistert vom internationalen Austausch an der Ludwig-Maximilians-Universität und am Max-Planck-Institut. Zunächst will er seinen Forschungsaufenthalt in München fortsetzen und dann entscheiden, wohin ihn das mit dem Mittner-Preis verbundene Stipendium führt. Besonders interessieren ihn Fragen des Rechts in den Bereichen „Cloud Computing“ und „Digitaler Nachlass“. Es sind Bereiche, in denen nationale Grenzen an Bedeutung verlieren – und der grenzenlose Austausch umso wichtiger wird.
Johannes Göbel (7. Oktober 2015)
Weiterführende Links
Pressemitteilung: DAAD ehrt italienische Rechtswissenschaftler