Frankfurter Buchmesse: Interview mit Katharina Narbutovič
Krzysztof Zieliński
Katharina Narbutovič leitet das Berliner Künstlerprogramms des DAAD
Bedeutende Autoren, vielfältige Perspektiven: Auch 2016 werden der DAAD und das Berliner Künstlerprogramm des DAAD auf der Frankfurter Buchmesse prominent vertreten sein. Der DAAD informiert mit einem Stand in Halle 3.1 zum Studium im Ausland, Förderprogrammen und seinem Lektorenprogramm. Renommierte Experten sprechen in einer DAAD-Podiumsdiskussion über das Thema „Europa hält/fällt zusammen“. In einer Veranstaltung des Berliner Künstlerprogramms des DAAD und des Institut français im „Weltempfang“ der Buchmesse diskutieren Mathias Énard, Stefan Hertmans und Ivana Sajko über Europa. Im Interview spricht Katharina Narbutovič, Leiterin des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, über ihre Gäste, den Buchmesse-Ehrengast Flandern und die Niederlande – und Geschichte und Gegenwart des einzigartigen DAAD-Programms.
Frau Narbutovič, auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ist das Berliner Künstlerprogramm des DAAD erneut prominent vertreten: mit einer hochkarätig besetzten Diskussionsrunde zur Zukunft Europas. Woher rührt Ihre Hoffnung für das „europäische Projekt“?
Katharina Narbutovič: Es ist in meinen Augen nach dem Zweiten Weltkrieg versäumt worden, Europa ideell und kulturell zu begründen. Wohin die alleinige Konzentration auf die politischen und vor allem auf die wirtschaftlichen Vorteile geführt hat, dass zeigt sich in der aktuellen Krise Europas. Europa war und ist aber von jeher mehr als der Markt. Schon im Europa der frühen Neuzeit bewegten sich Künstler, Philosophen und Gelehrte mit Selbstverständlichkeit in einem weiten gemeinsamen Raum, von Madrid bis nach Moskau, von London bis nach Venedig. Ich denke, ein jeder von uns Europäern weiß tief im Innersten um diesen geteilten gemeinsamen kulturellen Raum, und es ist höchste Zeit, die ideelle Dimension Europas fest zu verankern und wegzugehen von der Konzentration auf das Politische und Wirtschaftliche.
Was verbindet Ihre Podiumsgäste auf der Buchmesse? Wofür stehen die drei Autoren?
Zum einen stehen alle drei für Brenn- und Problempunkte Europas: Der Flame Stefan Hertmans für die belgische Hauptstadt Brüssel, die Stadt der EU-Bürokratie, aber auch des in den Medien als Brutstätte des Islamismus gehandelten Stadtteils Molenbeek. Mathias Énard, der im Jahr 2013 Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD war, lenkt den Blick auf Paris, ebenfalls Opfer islamistischer Terroranschläge und Hauptstadt des vom rechtspopulistischen Front National zusehends geprägten Frankreichs. Die Heimatstadt unseres aktuellen Gastes Ivana Sajko ist Zagreb, womit eine Region mit ins Spiel kommt, die noch immer zutiefst von den Folgen des Jugoslawienkriegs geprägt ist – und zugleich von den rechtspopulistischen Strömungen mittel- und osteuropäischer Couleur.
Zugleich sprechen sich diese drei Autoren auf ihre je eigne Weise mit Nachdruck für eine Umsetzung der eigentlichen Werte Europas aus. Stefan Hertmans moniert zum Beispiel immer wieder, dass es große Versäumnisse der europäischen Politik in der Bildung gibt, gerade auch mit Blick auf die verschiedenen Einwanderergenerationen in unserer Gesellschaft. Mathias Énard zeigt nicht zuletzt mit seinem mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Roman „Kompass“ auf, welchen großen Einfluss die orientalische Kultur auf Europa gehabt hat – und dass wir uns einen Tort antun, wenn wir den Orient auf eine Region reduzieren, die Terror und Flüchtlingsströme produziert. Auch Ivana Sajko hat einen differenzierten Blick auf die Flüchtlingskrise: Sie hat als Heranwachsende erlebt, was Krieg bedeutet, und muss heute in ihrer Heimatregion Balkan zusehen, wie Flüchtlinge ausgegrenzt und abgeschoben werden.
Ehrengast der Frankfurter Buchmesse sind Flandern und die Niederlande – beide sind sie durch Gastaufenthalte bedeutender Autoren mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD verbunden.
Ja, gerade haben wir einen Schriftsteller aus Belgien zu Gast, David van Reybrouck, der geradezu sinnbildlich für das Selbstverständnis des Berliner Künstlerprogramms des DAAD steht, nämlich für ein Denken, ein Sich-Bewegen in mehr als einer Dimension: als Dramatiker, als Dichter, als politisch Interessierter, als engagierter Zeitgenosse. Und natürlich als ein Autor, der mit seinem preisgekrönten Buch „Kongo – Eine Geschichte“ auf ganz neue Art und Weise gezeigt hat, wie sich auf literarisch höchst anspruchsvolle Weise ein mehr als ein Jahrhundert umspannendes Sachbuchüber die Geschichte eines Landes schreiben lässt. Und der darüber hinaus ein Buch vorgelegt hat, das sich durch eine kaleidoskopartige Vielheit von Stimmen und Betrachtungsweisen auszeichnet. Bevor er seinen Gastaufenthalt bei uns begonnen hat, hielt er sich mehrere Monate in Indonesien auf, von dem sein nächstes Buch handeln wird. David van Reybrouck steht für eine wunderschöne Form des Europäer-Seins, für Offenheit in der Form und für einen Blick weit über den nationalen wie auch europäischen Tellerrand hinaus. Die Vielheit der Perspektiven, das ist etwas, was die Gäste des Berliner Künstlerprogramms des DAAD immer wieder mitbringen. Aber natürlich zählen auch bedeutende Autoren aus den Niederlanden zu unseren Gästen. Etwa Cees Nooteboom, der als unser Gast 1989 seine berühmten „Berliner Notizen“ schrieb, oder Anneke Brassinga, die wichtigste zeitgenössische Dichterin der Niederlande. Sie war vor zwei Jahren Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD; ihr erster von uns herausgegebener und bei Matthes & Seitz Berlin publizierter deutscher Auswahlband „Fata Morgana, dürste nach uns“ wird auf der Buchmesse vorgestellt.
Wenn wir den Blick noch mehr weiten: Das Berliner Künstlerprogramm wurde 1963 auf Initiative der Ford Foundation gegründet. Vor 50 Jahren übernahm der DAAD dann das Artists-in-Residence-Programm, das er zuvor schon verwaltet hatte. Seither ist es das Berliner Künstlerprogramm des DAAD. Was ist Ihrer Meinung nach entscheidend für die Einzigartigkeit?
Nach wie vor ist es die Essenz des Berliner Künstlerprogramms, seinen Gästen eine Zeit der künstlerischen Freiheit zu schenken. Ohne Erwartung einer Gegenleistung, und vom tiefen Vertrauen – wie auch dem Wissen – geleitet, dass Künstler ohnehin in jeder Sekunde schöpferisch tätig sind und sich ihre Zeit bei uns in einem Werk manifestieren wird, wenn auch vielleicht erst ein Weilchen später. Es ist die Einladung an Künstler aus aller Welt, für meistenteils ein Jahr nach Berlin zu kommen und dort frei von den Zwängen des Markts oder auch der Zensur zu schaffen. Und das Berliner Künstlerprogramm des DAAD bemüht sich, jedem einzelnen Gast so gut es geht mit einem maßgeschneiderten Programm zur Seite zu stehen.
Das kommende Jahr bringt eine ganz konkrete Neuerung: Nachdem die daadgalerie des Berliner Künstlerprogramms des DAAD mehr als zehn Jahre ihren Standort in der Zimmerstraße hatte, steht nun ein Umzug an.
Anfang Januar 2017 werden wir die daadgalerie in der Oranienstraße in Kreuzberg neu eröffnen. Wir werden dann die Möglichkeit haben, die Arbeit des Berliner Künstlerprogramms des DAAD in seinen vier Sparten Bildende Kunst, Film, Literatur und Musik in ihrer synchronen Ganzheit und auf zwei Etagen aufscheinen zu lassen. Die daadgalerie in der Zimmerstraße war ein wunderbarer White Cube, doch fehlte es an Raum, Arbeiten aus mehr als einer Sparte parallel zum laufenden Ausstellungsbetrieb präsentieren zu können. Ich finde es sehr schön, dass wir jetzt mit den neuen Räumlichkeiten in der Oranienstraße die Möglichkeit haben, sichtbar nach außen zu zeigen, mit welch vielfältigen Suchbewegungen und mitunter auch sich konkret ergebenden Verzahnungen sich unsere Gäste auseinandersetzen.
Interview: Johannes Göbel (18. Oktober 2016)
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Stand: 19.10.2016