Den Geheimnissen der antiken Seefahrt auf der Spur
Michaela Reinfeld
Vor der saudi-arabischen Küste im Roten Meer: Archäologen der Universität Marburg an einer antiken Wrackstelle
Das Archäologische Seminar in Marburg ist deutschlandweit einzigartig. Nur hier werden Lehrveranstaltungen, praktische Übungen und Exkursionen zur Nautischen Archäologie angeboten. Begründet wurde der Schwerpunkt, der sich mit allen Aspekten der antiken Seefahrt beschäftigt, von Professor Winfried Held. Eine zentrale Rolle kommt dem seit 2014 bestehenden DAAD-Gastlehrstuhl zu.
Erste Schritte
Der Ruf nach Marburg im Jahr 2008 und die mit einer Professur verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten waren für Professor Winfried Held der willkommene Anlass, einen Schwerpunkt zu begründen, den es an deutschen Universitäten bis zu diesem Zeitpunkt nicht gab: die Nautische Archäologie. Der passionierte Segler mit ausgeprägtem Interesse an Seefahrtsgeschichte hatte dieses Fachgebiet während seiner Studienzeit in Deutschland vermisst, wie er im Gespräch erklärt. Wirklich geweckt wurde sein Interesse dann bei Feldforschungsprojekten zur Archäologie Kleinasiens und der Levante: „Ich erforschte unter anderem antike Häfen in der Türkei und konnte damals erste Kontakte zu Seefahrtsarchäologen knüpfen.“
Für den heutigen geschäftsführenden Direktor war dieser Schritt aber auch deswegen logisch, da sich das Marburger Archäologische Seminar mit dem Fachgebiet der Klassischen Archäologie beschäftigt, also den griechisch und römisch geprägten Kulturen der Antike. „Und deren verbindendes Element ist das Mittelmeer, das bereits seit Jahrtausenden von Händlern und Fischern befahren wurde. Über das Mittelmeer wurden Waren ausgetauscht und Ideen verbreitet“, so Held. „Die Seefahrt ist damit ein grundlegender Bestandteil des kulturellen Gefüges der antiken Welt, die folglich auch Lehre und Forschung auf dem Gebiet der Seefahrt erfordert.“
Internationale Kooperationen
Aufgrund des geografischen Fokus, aber auch angesichts des Mangels an Spezialisten in Deutschland ging es nicht ohne internationale Kooperation. Eine wichtige Rolle spielte dabei von Anbeginn der Deutsche Akademische Austauschdienst. Zwischen 2010 und 2012 finanzierte der DAAD die Gastdozentur von Ralph K. Pedersen, einem anerkannten US-amerikanischen Wissenschaftler. Im Sommersemester 2014 wurde dann der DAAD-Gastlehrstuhl „Nautische Archäologie“ geschaffen, der es Winfried Held erlaubte, seinen Plan zu verwirklichen, “die führenden Vertreter der Unterwasser- und Seefahrtsarchäologie mit Schwerpunkt in der Klassischen Archäologie einzuladen“ und “das bis dahin vernachlässigte Gebiet in der akademischen Lehre einzuführen“.
Fünf Gastprofessoren und eine Gastprofessorin aus Großbritannien, der Türkei, den USA, Italien, Spanien und Kroatien durfte Winfried Held seitdem begrüßen. Alle Gastdozenten halten ihre Lehrveranstaltungen auf Englisch ab und bieten Exkursionen an, die meist in ihre mediterranen Heimatländer führen. So organisierte Professor Sebastiano Tusa, Direktor der Denkmalschutzbehörde für das maritime Kulturerbe Siziliens, Anfang 2016 eine Studienfahrt nach Sizilien, die unter anderem nach Palermo führte. Und im Juli desselben Jahres bot Dr. Carlos de Juan Fuertes von der Universität Valencia einen Workshop zu nautischer und Unterwasserarchäologie am römischen Bou-Ferrer-Wrack an der spanischen Costa Blanca an.
Darüber hinaus ergeben sich für die Studierenden Chancen, in verschiedenen Teilen des Mittelmeeres an Feldforschungsprojekten der Gastprofessoren mitzuarbeiten. „Das führt dann mitunter zu interessanten Themen für Abschlussarbeiten“, erklärt Winfried Held. Zurzeit entsteht beispielsweise eine Untersuchung über einen römischen Amphorentypus, der häufig in römischen Wracks in Kroatien gefunden wurde.
Zukünftige Entwicklungen
Nach acht erfolgreichen Semestern wird im Wintersemester 2017/18 der DAAD-Gastlehrstuhl enden. Vorerst letzter Gastprofessor wird Harun Özdaş von der Dokuz-Eylül-Universität in lzmir, mit der im Übrigen, so wie mit allen anderen europäischen Heimat-Universitäten der Gastdozenten, ein Erasmus-Abkommen besteht. Winfried Held bedauert das Auslaufen der Förderung, wie er unumwunden eingesteht, handelt es sich doch um „ein sehr willkommenes Format, um neue Verbindungen in die Mittelmeerländer zu knüpfen sowie bestehende zu pflegen und zu intensivieren“. Bis heute bestehe mit beinahe allen bisherigen Gastdozenten ein guter Kontakt, so Held. „In einigen Fällen hat sich daraus sogar eine Freundschaft entwickelt.“
Die Bemühungen, eine dauerhafte Verankerung der Nautischen Archäologie in Marburg zu erreichen, gehen indessen weiter, wie Held deutlich macht. Für Studierende gibt es eine Reihe von Lehrveranstaltungen, zum Beispiel eine Übung zur Praxis der Seefahrt unter Segeln am rund 70 Kilometer nordöstlich von Marburg gelegenen Edersee. Und am nächsten größeren Projekt, das neue Untersuchungsgebiete erschließt und weitere internationale Verbindungen etabliert, wird auch bereits gearbeitet: In Kooperation mit der Saudi Commission for Tourism and Antiquities wird ein unterwasserarchäologischer Survey im Roten Meer vor den Küsten von Saudi-Arabien durchgeführt.
Winfried Held ist Professor und geschäftsführender Direktor des Archäologischen Seminars an der Philipps-Universität Marburg. Der DAAD fördert am Archäologischen Seminar den Gastlehrstuhl «Nautische Archäologie».
Marcus Klein PhD/cleevesmedia (8. September 2017)
Weitere Informationen
Das Porträt von Professor Winfried Held ist zuerst in der Publikation „20 Jahre DAAD-Gastdozenturen“ erschienen. Der DAAD fördert seit 1997 im Gastdozentenprogramm Aufenthalte von ausländischen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern an deutschen Hochschulen. In der nun veröffentlichten Jubiläumsbroschüre werden in verschiedenen Porträts die Aufenthalte aus Perspektive der Gastprofessoren, der einladenden und betreuenden Hochschulen sowie der Studierenden geschildert.
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