Potenzial für die Schule heben
Heinz Dorlöchter/Lehrkräfte PLUS
Rahaf, eine geflüchtete Lehrerin, steht jetzt vor einer Klasse in Deutschland.
Der DAAD unterstützt Lehrkräfte mit Fluchtbiografie auf dem Weg in den deutschen Lehrbetrieb. Ein Jahr lang können sie mithilfe des Programms Lehrkräfte PLUS ihre sprachlichen, fachlichen sowie pädagogischen Kenntnisse und Kompetenzen vertiefen und erste Erfahrungen an einer Schule sammeln. Ein neues Onlineportal der fünf nordrhein-westfälischen Hochschulen, die das Programm anbieten, geht jetzt an den Start.
Mit dem Programm Lehrkräfte PLUS können sich geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer ein Jahr lang für den deutschen Schulbetrieb qualifizieren und werden dabei vom DAAD unterstützt. Derzeit nehmen 131 Personen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren teil. Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber liegt etwa zehnmal so hoch. Der Bedarf ist also enorm.
Lehrkräfte PLUS ist Teil des Programms NRWege Leuchttürme zur nachhaltigen Internationalisierung der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen. Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft hatte das Programm im Jahr 2020 gemeinsam mit dem DAAD aufgelegt und das aus einer Pilotförderung der Stiftung Mercator und der Bertelsmann Stiftung entstandene Lehrkräfte PLUS übernommen. Bereits seit 2017 unterstützt das Ministerium über den DAAD Geflüchtete mit dem Programm NRWege ins Studium. „Lehrkräfte mit Migrations- und Fluchterfahrung können dazu beitragen, der diversen Schülerschaft gerecht zu werden und nicht zuletzt den Lehrermangel in Nordrhein-Westfalen zu mindern“, sagt Katharina Latsch, Teamleitung im DAAD für die Programme NRWege Leuchttürme und NRWege ins Studium.
Katharina Latsch, Teamleitung im DAAD für die Programme NRWege Leuchttürme und NRWege ins Studium.
Fünf Hochschulen vernetzen sich
Mit der DAAD-Förderung wurde Lehrkräfte PLUS auf fünf Universitätsstandorte in Nordrhein-Westfalen ausgeweitet: Bielefeld, Bochum, Duisburg-Essen, Köln und Siegen. Jetzt kommt ein gemeinsames Webportal hinzu, berichtet Katharina Latsch. Das Portal stellt die Angebote gebündelt vor und hilft interessierten Bewerberinnen und Bewerbern bei der Orientierung. Mithilfe der Plattform können alle am Programm Beteiligten verstärkt Erfahrungen austauschen, das Programm weiterentwickeln und neue Zielgruppen erreichen. Zudem stellt sie Informationen zum Bildungssystem in NRW und in Deutschland zur Verfügung.
Die fünf Hochschulen befinden sich in regelmäßigem Austausch und setzen jeweils eigene Akzente. In Rücksprache mit den zuständigen Bezirksregierungen werden Fächer und Schulform festgelegt. „An der Universität Siegen zum Beispiel sind es im jetzigen Durchgang Mathematik, naturwissenschaftliche Fächer und Englisch“, berichtet Dr. Inga Schmalenbach, die dort das Projekt am Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung koordiniert. Derzeit nehmen in Siegen 29 Personen am Weiterqualifizierungsprogramm teil. Die Bewerbungsfrist für den nächsten Durchgang, der im Oktober startet, läuft bis zum 7. Mai 2021.
Im ersten Halbjahr geht es an allen Standorten um die Erreichung der Sprachqualifikation auf dem C1-Level nach Europäischem Referenzrahmen. Im zweiten Halbjahr folgt zusammen mit der Praxisphase ein Sprachkurs „Deutsch für Lehrer*innen“. Die Teilnehmenden lernen das hiesige Schulsystem kennen und sammeln erste Erfahrungen als Lehrkraft an einer deutschen Schule. Sie erweitern ihre fachdidaktischen, pädagogischen sowie interkulturellen Kompetenzen und setzen sich mit Lehrplänen sowie Unterrichtsplanung und -methodik auseinander. „Viele Teilnehmende haben bisher vor allem Erfahrung mit lehrerzentriertem Unterricht und lernen nun ein breiteres Repertoire an Sozialformen und Methoden kennen“, sagt Schmalenbach. Im Rahmen des Programms werden sie durch mehrere Stellen innerhalb der Universität beraten und betreut; Unterstützung während der Praxisphasen kommt etwa von schulischen Mentorinnen und Mentoren. „Sowohl die Teilnehmenden als auch die Mentorinnen und Mentoren sind hoch motiviert und freuen sich darauf, die neue Herausforderung gemeinsam anzugehen“, sagt Schmalenbach zum Start der Praxisphase des ersten Durchgangs in Siegen.
Dr. Inga Schmalenbach, Projektkoordinatorin von Lehrkräfte PLUS an der Universität Siegen.
Die beruflichen Perspektiven der Teilnehmenden von Lehrkräfte PLUS stehen von Beginn an im Fokus. Als Absolventinnen und Absolventen haben sie zum Beispiel die Möglichkeit, am Anschlussprogramm „Internationale Lehrkräfte fördern“ teilzunehmen, das ihnen den Berufseinstieg erleichtert. Bereits 2018 aufgelegt von der Bezirksregierung Arnsberg, verbindet das Programm eine Anstellung zunächst in Teilzeit mit weiteren qualifizierenden Angeboten und bereitet so auf eine dauerhafte Anstellung im Schuldienst in NRW vor. „Wir wollen die Geförderten auf dem Weg in ihren alten Beruf unter neuen Umständen bestmöglich unterstützen“, sagt Schmalenbach. „Sie bringen Qualifikationen und wertvolle berufliche wie biografische Erfahrungen mit. Das motiviert auch uns, nicht zuletzt zur Zusammenarbeit aller Beteiligten.“
Förderziel: Den Wechsel ins deutsche System bewältigen
Milica Jojevic, Mitarbeiterin für Medien und Kommunikation an der Ruhr-Universität Bochum, koordiniert das gemeinsame Onlineportal von Lehrkräfte PLUS. „Gerade vor dem Hintergrund der Distanzlehre sind Angebote wie das Portal wichtig“, sagt Jojevic. Zu diesen Angeboten gehören Informationen zum Programmablauf, zum Schulsystem des Bundeslandes, zur Ausbildung, ergänzt durch Interviews und sogenannte Selbsteinschätzungsvideos von Alumni. Besonders diese Berichte aus erster Hand sollen einen authentischen Einblick in das Programm und den Lehrberuf in NRW ermöglichen. In einem log-in-geschützten Bereich können sie zudem lizenzfrei Lehr- und Lernmaterial nutzen sowie sich in Foren austauschen. Das alles, sagt Jojevic, unterstütze die Lehrkräfte mit Fluchtbiografie dabei, den Systemwechsel zu bewältigen, der sie erwarte – manchmal nicht so leicht, trotz Berufserfahrung und gestandener Persönlichkeit.
Milica Jojevic, Mitarbeiterin für Medien und Organisation an der Ruhr-Universität Bochum.
Katharina Latsch ist überzeugt, dass Programme für geflüchtete Akademikerinnen und Akademiker den Aufwand lohnen: „Wir sehen nicht nur das Potenzial in jedem einzelnen Menschen, sondern gewinnen ein Fachkräftepotenzial für den Arbeitsmarkt und das deutsche Bildungssystem.“
Wolfgang Thielmann (15. April 2021)