„Arbeitsmarktintegration ist kein Selbstläufer“
AdobeStock
Bis 2025 könnten mit internationalen Studierenden bis zu 250.000 Fachkräfte für den Arbeitsmarkt in Deutschland gewonnen werden.
Seit Jahren steigt der Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften in Wissenschaft und Wirtschaft. Viele Expertinnen und Experten stimmen darin überein, dass Deutschland mindestens 200.000 gut ausgebildete Migrantinnen und Migranten pro Jahr braucht, um diesen Mangel zu decken. In den Fokus der Politik rücken dabei zunehmend die internationalen Studierenden an deutschen Hochschulen als ideale Fachkräfte von morgen. Simon Morris-Lange vom Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) hat die Rolle der Hochschulen bei der Flüchtlingsintegration und Arbeitsmarktmigration untersucht.
Herr Morris-Lange, die deutsche Wirtschaft sucht dringend Fachkräfte. Die überwiegende Mehrheit der internationalen Studierenden würde nach dem Studium in Deutschland gerne auch hier arbeiten. Eine Win-win-Situation?
Theoretisch schon. Bis zum Jahr 2025 könnten auf diesem Weg bis zu einer Viertelmillion hochqualifizierte Fachkräfte gewonnen werden – darunter tausende Studierende mit Fluchthintergrund. Die bisherigen Erfahrungen zeigen allerdings auch, dass die Arbeitsmarktintegration von internationalen Hochschulabsolventinnen und -absolventen kein Selbstläufer ist. Viele scheitern, weil ihnen berufliche Netzwerke fehlen, sie nicht ausreichend Arbeitserfahrungen in deutschen Betrieben vorweisen können oder weil ihnen die für das Berufsleben nötigen Deutschkenntnisse fehlen. Viele, die sich im Alltag problemlos auf Deutsch verständigen oder einer Vorlesung folgen können, berichten davon, beim Schreiben von Bewerbungen oder in Vorstellungsgesprächen Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache zu haben. Hier braucht es mehr Unterstützung, zum Beispiel in Form von sprachsensiblen Bewerbungstrainings.
In den DAAD-Programmen Integra und PROFI werden Hochschulen gefördert, die strukturierte Maßnahmen zur Unterstützung von internationalen Studierenden beim Übergang in den Arbeitsmarkt anbieten. Welche Angebote werden hier gemacht?
Aktuell werden bundesweit 88 Hochschulvorhaben zur Arbeitsmarktintegration von internationalen Studierenden über Integra und PROFI gefördert. Die große Mehrheit der Projektteilnehmenden ist in den vergangenen Jahren nach Deutschland geflüchtet. Die Fördermittel unterstützen die Hochschulen unter anderem dabei, zielgruppenorientierte Bewerbungstrainings, berufsvorbereitende Sprachkurse, Mentoring-Programme und Kooperationen mit der regionalen Wirtschaft aufzusetzen.
Der Sozialwissenschaftler Simon Morris-Lange ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sachverständigenrats für Integration und Migration.
Das PROFI-Programm wurde als Weiterbildungsangebot für eine Gruppe geschaffen, die überwiegend bereits einen akademischen Abschluss und mehrjährige Arbeitserfahrung mit nach Deutschland bringt. Wie unterscheiden sich deren Bedürfnisse von denen ihrer internationalen Mitstudierenden, die hier erst ein komplettes Studium absolvieren?
Zunächst stehen beide Gruppen vor den gleichen sprachlichen, arbeitskulturellen und strukturellen Herausforderungen. Für die Teilnehmenden im PROFI-Programm sind diese Hürden allerdings oft schwerwiegender – trotz oder vielleicht sogar wegen ihrer umfassenden Vorerfahrung. So haben viele bereits eine Familie gegründet und sind dadurch zeitlich stärker eingebunden und auch finanziell mehr gefordert. Sie benötigen ein Lernangebot, das zeitlich komprimiert und präzise abgestimmt ist auf die konkreten Anforderungen in einzelnen Berufen und Branchen. Ähnliches dürfte in Zukunft auch für die zahlreichen internationalen Fachkräfte gelten, die im Rahmen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes nach Deutschland zuwandern oder eine Zuwanderung erwägen. Hier könnte die hochschulische Weiterbildung einen wertvollen Beitrag zur passgenauen Besetzung offener Stellen und somit zur Fachkräftesicherung leisten.
Welche Folgen hat die Coronapandemie für die Durchführung der Programme gehabt?
Seit Anfang 2020 wird der gesamte Hochschulbetrieb stark von der Coronapandemie bestimmt. Die Arbeitsmarktvorbereitung im Rahmen von Integra und PROFI ist natürlich ebenso betroffen. Über 90 Prozent der Bewerbungstrainings, Sprachkurse und sonstigen berufsvorbereitenden Angebote erfolgen seit nunmehr drei Semestern primär am Bildschirm. Das Gleiche gilt für Praktika, die im Jahr 2020 oft gänzlich gestrichen wurden. Die digitale Berufsvorbereitung führt zu neuen Herausforderungen, insbesondere für geflüchtete Studierende: Noch immer verfügen nicht alle über die notwendige technische Ausstattung, einen ruhigen Lernort, eine schnelle Internetverbindung oder die notwendigen technischen Kenntnisse, um digital lernen zu können. Auch in der Lehre ist Luft nach oben. Knapp die Hälfte des Lehrpersonals unterrichtet zum ersten Mal online und ist oft noch nicht hinreichend für die zusätzlichen Hürden sensibilisiert, vor denen internationale Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer stehen. Gleichzeitig birgt die Digitalisierung auch Chancen. Zum Beispiel lassen sich Lehrveranstaltungen einfacher aufzeichnen und sind somit jederzeit und überall abrufbar. Studierende können sich Seminarinhalte so öfter anschauen. Viele empfinden das als hilfreich.
Wer sind für die Hochschulen wichtige Partner bei der Vorbereitung der internationalen Studierenden auf den Arbeitsmarkt? Inwieweit müssen neue Kooperationen geschlossen werden?
Unterstützung beim Berufseinstieg sollte von vielen Seiten kommen, zum Beispiel von den hochschulischen Career Services, den Fakultäten und den International Offices. Aber auch die Unterstützung außerhalb von Hochschulen ist für den Berufseinstieg entscheidend, wie etwa die der Bundesagentur für Arbeit oder der Unternehmen selbst. Unsere Analysen haben gezeigt, dass vielerorts ein reges Interesse an regionaler Kooperation besteht. Insgesamt berichten die Hochschulen von mehr als 600 Partnerorganisationen, mit denen sie eine Zusammenarbeit im Zuge der Programmförderung anstreben. Trotz dieses Engagements wird vielerorts aber noch nicht an einem Strang gezogen. Die meisten Vorhaben laufen unverbunden nebeneinander her. Das kann zu Doppelstrukturen führen und die Wirksamkeit der Angebote letztlich verringern. Damit der Übergang in den deutschen Arbeitsmarkt zukünftig besser gelingt, bedarf es daher eines regionalen Übergangsmanagements, das die Aktivitäten von Hochschulen, Betrieben, Politik und Verwaltung enger miteinander verzahnt und als Wegweiser für internationale Studierende fungiert. Ein solches Übergangsmanagement kann auch dabei helfen, Unternehmen, die heute noch etwas zögerlich bei der Einstellung internationaler Fachkräfte sind, von den vielen Vorteilen zu überzeugen. Entsprechende Förderprogramme können hier wichtige Impulse setzen.
Angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland: Welche Ansätze waren besonders erfolgreich, was sollte beibehalten und ausgebaut werden?
Integra und PROFI liefern heute bereits wichtige Impulse für die regionale Fachkräftesicherung. Mittelfristig sehen viele Hochschulen eine Möglichkeit, die noch laufenden Maßnahmen in ein nachhaltig finanziertes Format zu überführen. Kurzfristig muss die nun angestoßene Arbeitsmarktintegration allerdings zunächst engagiert weiterverfolgt werden, um Kooperationsstrukturen zu festigen und die teilnehmenden Unternehmen, Kammern und weitere Partnerorganisationen vom Mehrwert einer gemeinsamen Übergangsgestaltung zu überzeugen. Damit dies gelingt, bedarf es in den kommenden Jahren einer gezielten, zeitlich begrenzten Förderung, die sich an den nun vorliegenden Erkenntnissen zum Berufseinstieg der verschiedenen internationalen Zielgruppen orientiert.
(23. November 2021)
Zur Person
Simon Morris-Lange ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR). Von 2013 bis 2020 war er stellvertretender Leiter des SVR-Forschungsbereichs. Zuvor arbeitete er als Chief Operating Officer beim Bildungsunternehmen iversity sowie als Analyst bei der Wissenschaftsberatung Illuminate Consulting Group im Silicon Valley, USA. Morris-Lange absolvierte den Master-Studiengang Public Policy an der Berliner Hertie School of Governance.