Deutsch-französisches Gedenken
privat
Französisches Gedenken im Fort Douaumont
Zwei Tage waren Pariser Germanistik-Studierende von der Sorbonne Nouvelle und Mitglieder des neugegründeten Ehemaligen-Vereins „Association Pierre Bertaux“ sowie des Vereins „DAAD Alumni France“ gemeinsam unterwegs. Unter dem Titel „Verdun – auf dem Weg zu einem deutsch-französischen Gedenken?“ besuchten sie Schauplätze des ersten Weltkrieges.
Zwei Tage waren Pariser Germanistik-Studierende von der Sorbonne Nouvelle und Mitglieder des neugegründeten Ehemaligen-Vereins „Association Pierre Bertaux“ sowie des Vereins „DAAD Alumni France“ gemeinsam unterwegs. Unter dem Titel „Verdun – auf dem Weg zu einem deutsch-französischen Gedenken?“ besuchten sie Schauplätze des ersten Weltkrieges.
Unter dem Triumphbogen in Paris ruht seit 1921 der unbekannte Soldat. Was viele nicht wissen: Seine Wahl erfolgte unter schwierigen Vorzeichen. 1920 ließ die französische Regierung zunächst neun Tote aus dem granatdurchpflügten Kampfterrain im Osten Frankreichs ausgraben – einen für jeden der neun Frontabschnitte. Als jedoch in der Zitadelle von Verdun ein junger Soldat des 132. Regiments einen darunter auswählte, indem er einen Blumenstrauß auf sein Grab legte, waren nur acht aufgebahrt. Weshalb, erklärt der französische Historiker Gérard Domange: „Die Verantwortlichen hatten enorme Angst, dass es sich bei einem der Exhumierten um einen deutschen Soldaten handeln könnte.“ Domange steht an diesem strahlend blauen Märztag vor der Zitadelle von Verdun, inmitten einer Gruppe junger Leute. Es sind Studierende des Master-Studiengangs „Etudes germaniques“ der Universität „Sorbonne Nouvelle Paris 3“, außerdem Mitglieder des neugegründeten Ehemaligen-Vereins „Association Pierre Bertaux“ sowie des Vereins „DAAD Alumni France“. Die Studierenden haben diesen zweitägigen Besuch in Verdun unter Leitung von Andrea Lauterwein, Maître de Conférence an der deutschen Abteilung von Paris 3, vorbereitet und organisiert.
Verdun – der Ort steht wie kein anderer für den ersten totalen Krieg in Europa. Aber auch für die Schwierigkeiten eines gemeinsamen Gedenkens von Deutschen und Franzosen, die sich in diesem „Grande Guerre“ als Todfeinde gegenüberstanden. Verdun nimmt in diesem Krieg eine besondere Stellung ein, da sich hier mit wenigen Ausnahmen nur Deutsche und Franzosen gegenüberstanden und in einen erbarmungslosen Stellungskrieg verrannten. Die Studienreise trägt den Titel „Verdun – auf dem Weg zu einem deutsch-französischen Gedenken?“ Davon war man kurz nach dem Krieg noch weit entfernt. Das zeigt die Geschichte des unbekannten Soldaten und die Tatsache, dass eine der Leichen ausgesondert wurde, als, so Domange, „ein leiser Zweifel“ an ihrer französischen Identität aufkam.
Beklommenheit in feuchten Gängen
Die Zitadelle von Verdun ist einer von mehreren Erinnerungsorten, die auf dem Programm der Reise stehen. Sie diente in der Schlacht um Verdun, die fast das gesamte Jahr 1916 andauerte, als logistische Basis für das französische Militär. Unmittelbar spürbar werden die Schrecken des Krieges dann im Fort von Douaumont. Diese Verteidigungsanlage, erbaut zwischen 1885 und 1913, wurde von deutschen Truppen gleich zu Beginn der Schlacht um Verdun im Februar 1916 besetzt und bis Oktober desgleichen Jahres gehalten. In einem der unterirdischen Räume findet sich ein Blumengebinde einer deutschen Reservistenkameradschaft mit dem Schriftzug: „Den toten Kameraden“. Der Aufenthalt in den feuchten Gängen löst bei vielen Beklommenheit aus. Die historischen Details rund um die Schlacht von Verdun erfährt die Gruppe von Gerd Krumeich, emeritierter Professor der Universität Düsseldorf und Experte für die Geschichte des Ersten Weltkriegs. In zahlreichen Veröffentlichungen ist er der Bedeutung der „Hölle von Verdun“ nachgegangen, die in der französischen Erinnerung einen anderen Akzent erhielt als in der deutschen.
Gemeinsam waren allen Soldaten die „existentiellen Hauptprobleme: der Schlamm, in dem alles versank, und der Durst, von dessen Schrecken alle Überlebenden berichteten“, sagt Krumeich. „Im Unterschied zum französischen Soldaten aber war der deutsche Verdun-Soldat nicht von der Sinnhaftigkeit seines Kampfes erfüllt." Denn Franzosen kämpften auf eigenem Boden, verteidigten ihr Vaterland mit der berühmten Parole „Ils ne passeront pas“, was soviel bedeutet wie „Die kommen hier nicht durch“. Für die Deutschen hingegen wich die anfängliche Begeisterung zunehmend dem Gefühl, sich zu opfern: Sinnlosigkeit statt Sinnhaftigkeit. Eine der Konsequenzen davon ist nicht zuletzt, dass der 11. November 1918, der Tag des Waffenstillstands, in Frankreich nationale Bedeutung genießt, in Deutschland jedoch weitgehend vergessen ist. Diese Unterschiede in der Erinnerungskultur müsse man beachten, meint Andrea Lauterwein, „ansonsten wird die gegenseitige Empathie erschwert“.
Vom Wahnsinn dieses Krieges zeugen auch die Verteidigungsanlage der Butte de Vauquois und der Bergkamm von Eparges, um den in den ersten Monaten eine heftige Schlacht tobte. Nachdenklich stimmt die Teilnehmer nicht zuletzt das „Ossuaire“, das 1932 errichtete Gebeinhaus von Douaumont, das sich oberhalb der berühmten, mit weißen Kreuzen bestückten Gräberfelder erhebt. Die Knochen von rund 130.000 anonymen Soldaten sind hier im Untergeschoss aufgeschichtet. Sehr wahrscheinlich, dass sich in diesem Skelettberg auch deutsche Gebeine befinden. Gerd Krumeich plädiert deshalb schon seit längerem dafür, eine Gedenktafel auch für gefallene deutsche Soldaten anzubringen. Die Idee stößt bei den Verantwortlichen der Erinnerungsstätten allerdings auf wenig Gegenliebe. DAAD-Alumnus Sylvain Laborde hält mehr davon, regelmäßige Treffen der Jugend in Verdun zu etablieren, um das Erinnern „von Generation zu Generation weiterzugeben“.
1966 beging man an diesem Ort den 50. Jahrestag der Schlacht um Verdun – ohne deutsche Beteiligung, 1984 reichten sich hier Staatspräsident François Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl die Hände. Ein Symbol, das den Weg für ein deutsch-französisches Erinnern an den Krieg aufzeigte. Eine „mémoire partagée“ sei „keine Utopie“, betonte denn auch Gérard Domange bei einer abendlichen Diskussionsrunde im „Centre mondial de la paix“ in Verdun. Ansätze dazu werden die Studierenden um Andrea Lauterwein jetzt unter dem Eindruck der Reise erarbeiten. Die jungen Germanisten setzen sich kritisch mit der politischen Vereinnahmung des Schauplatzes auseinander - im Rahmen einer Ausstellung, die in Verdun gezeigt werden soll.
Mathias Nofze (17. März 2014)