Wege zur inklusiven Gesellschaft
Lehrstuhl Diversitätssoziologie der TUM
Fachübergreifende Workshops machen das Wissen allen Studierenden zugänglich
In einer vom DAAD geförderten fachbezogenen Partnerschaft entwickeln Mitarbeiter der Technischen Universität München und der Pwani University in Kenia ein Curriculum, das auf der Strategie der "Community-Based Rehabilitation" (CBR) basiert. Ein Projekt mit nachhaltiger Wirkung für die Teilhabe behinderter Menschen an der Gesellschaft.
Eigentlich sollte es selbstverständlich sein: Rechte von Menschen mit und ohne Behinderung müssen in Entwicklungsprozessen berücksichtigt werden – wie es die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen fordert. Dass trotzdem immer noch viel für die Chancengerechtigkeit von beeinträchtigten Menschen getan werden muss, weiß nicht zuletzt Elisabeth Wacker. Die Professorin für Diversitätssoziologie an der Technischen Universität München (TUM) entwickelt deshalb mit ihrem Team in einer vom DAAD seit 2013 geförderten fachbezogenen Hochschulpartnerschaft gemeinsam mit Mitarbeitern der Pwani University im kenianischen Kilifi vier Module, die den Ansatz der „Community-Based Rehabilitation“ (CBR) akademisieren. Finanziert wird „CBResearch“ mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). „Das Projekt nimmt Menschen mit und ohne Behinderung in den Blick und fragt nach den Chancen, ihre Fähigkeiten zugunsten inklusiver Strukturen zu entfalten“, so Wacker.
Caring Communities
Der CBR-Gedanke stammt aus den 1980er-Jahren und überlässt die Inklusion behinderter Menschen nicht einer Gruppe von Experten. Motor einer wirksamen Teilhabe von behinderten Menschen an der Gesellschaft ist die Gemeinschaft, in der sie leben. „Anfangs diente dieser Ansatz dazu, Menschen mit Behinderungen einen besseren Zugang zu Gesundheitsleistungen zu gewähren“, verdeutlicht Kathrin Schmidt, Mitarbeiterin von Elisabeth Wacker. Mittlerweile umfasse CBR auch die Bereiche „Bildung“, „Lebensunterhalt“, „Selbstbestimmung“ und soziale Aspekte. „Dieses CBR-Grundgerüst nutzen wir, um gemeinsam mit Mitarbeitern der Pwani University vier englischsprachige Module zu den Themen 'Disability, Participation and Community', 'Education and Disability', 'Livelihood and Disability' sowie 'Empowerment and Disability' zu entwickeln“, sagt Schmidt.
Da die Module nach der Projektlaufzeit von vier Jahren in verschiedene Studiengänge der Pwani University implementiert und gerade nicht auf den Bereich der Sonderpädagogik beschränkt werden sollen, gehören die kenianischen Projektpartner verschiedenen Fachbereichen an. „Für Architekturstudierende bieten die Module beispielsweise Anregungen, sich mit der Bedeutung einer barrierefreien Umgebung auseinander zu setzen“, sagt Schmidt. „Der CBR-Ansatz ist aber auch für die Soziologie oder 'Community development'-Programme interessant.“ Auch an der TUM sollen die erarbeiteten Lerninhalte den Studierenden zugute kommen: Sie werden an der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften als Wahlpflichtveranstaltungen in den neuen Studiengang „Gesundheitswissenschaft“ integriert, der im Wintersemester 2014/2015 an den Start geht. „Insbesondere das Grundlagenmodul 'Disability, Participation and Community' führt Nachwuchswissenschaftler an das Thema Behinderung heran und regt dazu an, sich mit der Bedeutung von Teilhabe und Gemeinschaft auseinanderzusetzen“, sagt Kathrin Schmidt.
Starke Sozialräume
Mit diesem Konzept leistet „CBResearch“ einen vielfachen Beitrag zur Chancengerechtigkeit: Die Achtung vor der Unterschiedlichkeit der Menschen und deren Partizipation bildet den Ausgangspunkt, auch auf akademischer Ebene. „Die wissenschaftliche Expertise der afrikanischen Partneruniversität ist ebenso gefragt wie die Expertise der Fachleute vor Ort in den Communities“, sagt Elisabeth Wacker. Dabei ziele das Projekt auf den Aufbau starker Sozialräume – eine Form des Empowerment, die sich in der institutionell stark auf stationäre Strukturen ausgerichteten Versorgung behinderter Menschen in Deutschland erst noch entwickeln müsse. „Wir haben dieses Potenzial des Projektes bereits in der Auftaktkonferenz eindrücklich erlebt“, so Elisabeth Wacker. „Deshalb sind wir sicher, dass bei den direkt Mitwirkenden Kenntnisse und Kräfte für den Weg zur inklusiven Gesellschaft ebenso wachsen werden wie bei den Menschen, die von unserem Projekt profitieren.“
Aktuell ist das deutsch-kenianische Team mit der Konzeption des Moduls „Education and Disability“ beschäftigt, das Studierende beider Länder im August in einem gemeinsamen Workshop in München erproben werden. „Im kommenden Jahr testen wir mit einem weiteren gemeinsamen Workshop das Modul 'Livelihood and Disability' in Kilifi“, sagt Kathrin Schmidt. Nach der mehrjährigen Testphase werden die Studienmodule nicht nur Teil verschiedener Curricula, sondern auch online zugänglich sein. „So kann eine gemeinsame fachliche Basis in Lehre und Forschung wachsen, um CBR-Projekte einer Caring Community planen, begleiten und evaluieren zu können“, sagt Elisabeth Wacker. Die Entwicklung von Modulen zu den CBR-Komponenten, die innerhalb des Projekts bislang nicht berücksichtigt werden konnten, ist zudem ein Aspekt, den das Team der Pwani University und der TUM verfolgen möchte.
Christina Pfänder (26. Mai 2014)
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Fachbezogene Partnerschaften mit Hochschulen in Entwicklungsländern
Das DAAD-Programm der fachbezogenen Partnerschaften mit Hochschulen in Entwicklungsländern wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert. Ziel des Programms ist es, die akademische Ausbildung in Entwicklungs- oder Schwellenländern zu verbessern, deren Hochschulen international attraktiver zu gestalten sowie Studiengänge zu modernisieren. Dabei steht der partnerschaftliche Ansatz im Vordergrund: Gefördert werden Projekte, die deutsche Hochschulen gemeinsam mit ihren Partneruniversitäten konzipieren. Auch der Austausch von Wissen sowie die Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlern finden in beide Richtungen statt. Die Projekte werden in der Regel vier Jahre vom DAAD unterstützt und sollen innerhalb dieser Zeit konkrete Ergebnisse wie neu entwickelte Module oder Studieninhalte oder neue Studiengänge hervorbringen.