"Täglich lebendiges Europa"
Privat
Pietz (links) mit Freunden beim traditionellen spanischen Fest Feria in Jerez de la Frontera
Die deutsche Erasmus-Stipendiatin Kathrin Pietz erlebt die Europawahl 2014 in Spanien. Ihre Perspektive auf das europäische Projekt ist die dritte, die das DAAD-Online-Magazin anlässlich der Wahl präsentiert.
Schon nach dem ersten Tag im andalusischen Cádiz wollte Kathrin Pietz ihren Erasmus-Aufenthalt in Spanien verlängern. Aus einem Semester wurden zwei – die junge Deutsche, die an der Universität Münster Grundschullehramt studiert und 2013 zum fünften Semester an die Universidad de Cádiz ging, hängt noch ein siebtes Semester an ihr Bachelor-Studium an. „Das Leben und Studieren in Spanien gefällt mir so gut, zudem beherrscht man in einem ganzen Jahr die Sprache wesentlich besser und kann sich richtig im Gastland einleben.“
Kathrin Pietz liebt dieses europäische Land, lernte Spanisch schon in der Schule und war für Ferienaufenthalte oder später Ferienjobs schön öfter dort. Aber ein Studium im Land, sagt sie, ist noch mal etwas ganz anderes. „Ich dachte, ich kenne Spanien. Aber es gibt viele Seiten der spanischen Kultur, die verborgen bleiben, wenn man das Land nur als Tourist bereist.“ Weil sie mit einer Spanierin in einer Wohngemeinschaft lebt, lernte sie auch die stillen Seiten der Menschen kennen. „Manche Spanier leben durchaus zurückgezogen zwischen Arbeit und Familie zuhause – das passt oft nicht in unser Bild einer typisch südländischen Ausgelassenheit.“
Eine soziale Gesellschaft
Bestätigt habe sich dagegen ihr Eindruck, dass die Hilfsbereitschaft der Spanier grenzenlos sei, erzählt die deutsche Studentin. „Fragt man nach dem Weg, wird der nicht einfach nur beschrieben – man wird persönlich zum Ziel gebracht.“ Vorurteile gegenüber den europäischen Gästen sind Kathrin Pietz in Spanien nirgends begegnet. „Mir erscheint die Gesellschaft sehr sozial, sehr offen und sehr kontaktfreudig.“ Die Lebensfreude – Viva la Vida – stehe bei vielen Menschen, die sie bislang kennenlernte, im Vordergrund. Sie vermutet, dass das der Grund ist, warum sich viele Menschen trotz der derzeit auch für sie auffälligen hohen Arbeitslosigkeit in Spanien nicht vollständig entmutigen ließen. „Diese grundsätzlich optimistische Haltung dem Leben gegenüber heißt hier aber keineswegs, dass man Probleme nicht wahrnimmt.“ Im Gegenteil – gut besuchte Demonstrationen gegen politische Entscheidungen oder Debatten über Europapolitik könne man ebenfalls täglich erleben.
„Deutsche Politik im europäischen Zusammenhang wird von einigen meiner Kommilitonen außerdem sehr kritisch betrachtet“, berichtet die Erasmus-Stipendiatin. Hier helfe der unmittelbare Austausch mit der Deutschen. „Vorurteile und Klischees können dabei auf beiden Seiten immer wieder abgebaut werden, und man korrigiert am Ende die eigene Perspektive.“ Das Interesse an dieser Perspektiverweiterung sei sehr groß. „Viele Spanier nutzen Erasmus, um nach Deutschland zu reisen - ebenso viele wie umgekehrt“, ist ihr Eindruck.
Wenn Kathrin Pietz eines Tages in Deutschland als Grundschullehrerin arbeitet, will sie ihre reichen Erfahrungen als Erasmus-Stipendiatin im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturkreisen unbedingt beruflich nutzen. „Ich würde sehr gerne mit Kindern verschiedener kultureller Herkunft arbeiten und im Klassenzimmer täglich ein lebendiges Europa gestalten.“ Das übt die junge Deutsche bereits: In Cádiz gibt sie einem zwölfjährigen spanischen Jungen Nachhilfeunterricht in Deutsch und vergleicht ständig mit kindlicher Freude Sitten und Gebräuche in Europa. „Erasmus ist wirklich eine wunderbare Bereicherung für jeden.“
Bettina Mittelstraß (23. Mai 2014)
Weiterführender Link
Erasmus – Das Bildungsprogramm der EU für den Hochschulbereich