Zusammenarbeit mit Modellcharakter
Leibniz Universität Hannover
Auch Interviews mit Angehörigen der Massai gehören zum "Child Development Lab"-Projekt
Deutsch-afrikanische Forscherteams besuchen Angehörige der Massai in ihren Dörfern und führen Interviews. Andere bereiten Bantusprachen elektronisch auf oder gründen Start-ups in Afrika. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte DAAD-Programm "Welcome to Africa" verzeichnet bereits zur Halbzeit deutliche Erfolge. Wir haben nachgefragt, was sich seit dem Projektstart 2012 getan hat, und stellen drei sehr unterschiedlich ausgerichtete Forschungspartnerschaften vor.
Studierende der Universität Leipzig absolvieren Kurse zur Friedens- und Konfliktforschung in Tansania oder Äthiopien, sie machen Praktika in afrikanischen Unternehmen, forschen in ihren Masterarbeiten zur Internetnutzung in Afrika oder promovieren in Südafrika zum Thema Regionalisierung. Alle Studienleistungen, die sie an einer der vier afrikanischen Partneruniversitäten erlangen, werden in ihren Studiengängen in Leipzig voll anerkannt. „Wir sind hochzufrieden mit der Nachfrage“, betont Matthias Middell, Professor für Kulturgeschichte am Global and European Studies Institute an der Universität Leipzig und Direktor des Graduiertenzentrums. Im Unterschied zu anderen Partnerschaften im Rahmen des „Welcome to Africa“- Programms, die zu einem bestimmten Thema forschen, intensiviert das „Afrikanetzwerk Tansania – Äthiopien – Kamerun – Südafrika (ATAKS)“ die Beziehungen zu afrikanischen Hochschulen auf besonders breiter Ebene. Beteiligt sind verschiedene Forschungsbereiche der Universität Leipzig. Die Projektleitung liegt bei Professor Rose Marie Beck, geschäftsführende Direktorin am Institut für Afrikanistik.
Exzellente Betreuer
Ziel der am Afrikanetzwerk beteiligten Projektpartner ist die Weiterentwicklung gemeinsamer Forschungsprogramme und der gemeinsamen strukturierten Ausbildung von Doktoranden. „Unsere Partner in Afrika brauchen gut ausgebildete Hochschullehrer“, stellt der Historiker Middell fest. „Die auch formell gemeinsame Ausbildung von Doktoranden hat für uns deshalb Priorität.“ Von der Expertise afrikanischer Hochschullehrer profitieren auch die Studierenden in Leipzig. „Mit den afrikanischen Kollegen, die bei uns unterrichten, gewinnen wir exzellente Betreuer zu speziellen Themen wie der postkolonialen Literaturtheorie oder der Geschichte der Apartheid.“ Eine wichtige Voraussetzung wäre eine Weiterentwicklung des Austauschs in beide Richtungen – sprich: Forschungsstipendien für afrikanische Doktoranden. „Wir sind mit dem DAAD bereits im Gespräch“, berichtet Matthias Middell.
Für afrikanische Forschungsthemen begeistern
Das vom BMBF unterstützte „Welcome to Africa“-Programm verfolgt ein klares Ziel: Deutsche Studierende für afrikanische Forschungsthemen zu begeistern und ihr Interesse an einem Aufenthalt in Afrika zu wecken. „Wir haben erreicht, dass mehr Deutsche nach Afrika gehen“, sagt Cay Etzold, Referatsleiter für das östliche und südliche Afrika beim DAAD. Diesen Trend zeigt auch eine Ende 2013 vom DAAD durchgeführte Evaluierung bei allen Projektpartnern. „Die Zahl der geförderten Masterarbeiten und Dissertationen mit Afrika-Bezug übertrifft unsere ursprünglichen Erwartungen bei Weitem“, so Etzold. Insgesamt elf Projekte mit Hochschulen, beispielsweise in Südafrika, Namibia, Kamerun oder Mosambik, sind bewilligt worden und werden mit einem Gesamtbudget von 3,3 Millionen Euro unterstützt. Über einen Zeitraum von drei Jahren gibt der DAAD deutschen Hochschulen die Möglichkeit, sowohl neue Kontakte zu afrikanischen Hochschulen zu knüpfen, als auch bereits bestehende Partnerschaften auszubauen und den gegenseitigen wissenschaftlichen Austausch zu aktivieren.
Sprachforschung für Südafrika
Mit geradezu detektivischem Gespür tragen Sprachforscher und Computerlinguisten der Universität Hildesheim die Grundlagen für elektronische Wörterbücher zusammen. Ihr Forschungsprojekt „SeLA – Scientific e-Lexicography for Africa“, das im Rahmen des DAAD-Programms „Welcome to Africa“ unterstützt wird, nutzt die technischen Mittel des Internets: Bis 2015 sollen elektronische Wörterbücher zu einigen der neun Bantusprachen Südafrikas im Netz stehen, die einen literatur- und sprachwissenschaftlichen Grundwortschatz umfassen. Denn das Nebeneinander von insgesamt elf offiziellen Landessprachen sorgt im wissenschaftlichen Betrieb oft für Verwirrung. „An den Universitäten sind viele Muttersprachler, die Zulu und Sotho sprechen und Mühe haben, die Fachterminologie der Dozierenden zu verstehen“, sagt Projektleiter Ulrich Heid, Professor am Institut für Informationswissenschaft und Sprachtechnologie der Universität Hildesheim. „Viele von ihnen bemühen sich inzwischen stärker um die englische Sprache, die mit einem höheren Prestige verbunden ist, und verlieren die Reichhaltigkeit ihrer eigenen Sprache aus dem Blick.“
Hand in Hand mit vier südafrikanischen Partnerhochschulen aus Südafrika und Namibia erarbeiten die Sprachwissenschaftler elektronische Anwendungen, die Fachtermini und Redewendungen griffig darstellen und Nutzer schnell ans Ziel führen. „Wir denken über Apps nach, die sich auf Mobiltelefonen nutzen lassen“, so Heid. Das eröffnet auch die Aussicht auf eine Nord-Nord-Verbindung: Als mögliche Projektpartner kommen Kollegen aus dem „Welcome to Africa“-Programm in Betracht. Das von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg koordinierte Projekt International Center for Entrepreneurship and Technology (ICET) unterstützt Gründungsaktivitäten an den südafrikanischen Partneruniversitäten. „Eines der afrikanischen Start-ups entwickelt kleine Lernprogramme für Mobiltelefone“, erklärt Sprachwissenschaftler Heid. „Wir könnten uns eventuell zusammentun.“
Weitreichende Anregungen – auch in der Sonderpädagogik
Etliche der deutsch-afrikanischen Projektpartnerschaften entwickeln inzwischen Modellcharakter. So stoßen die Ergebnisse der Hildesheimer Sprachtechnologen auf internationalen Tagungen auf großes Interesse, denn ihre Verfahren sind ohne Weiteres auf andere Sprachen übertragbar. An zwei indischen Hochschulen wiederum laufen Forschungskooperationen mit dem Institut für Sonderpädagogik der Leibniz Universität Hannover an, die sich methodisch wie inhaltlich am Vorbild eines „Welcome to Africa“-Projekts in Tansania orientieren. In den Weiten der Usambara-Berge im Osten des Landes haben deutsche und afrikanische Forscherinnen in einem Waisenhaus ein Child Development Lab aufgebaut: Mit Hilfe von Videoaufnahmen und Interviews zeichnen die Wissenschaftlerinnen den Umgang zwischen Kindern und ihren Betreuerinnen auf. Alle Daten werden gemeinsam erhoben, ausgewertet, veröffentlicht und auf internationalen Konferenzen vorgestellt. „Unser Ziel ist es, gemeinsam ein Programm für die Ausbildung von Kinderpflegerinnen und pädagogischen Fachkräften zu erstellen“, erklärt Projektleiterin Ulrike Lüdtke, Professorin für Sprachpädagogik und Sprachtherapie an der Leibniz Universität. „Unsere deutsch-afrikanischen Forscherteams bilden sie aus und zeigen ihnen, wie sie die Kinder in ihrer Entwicklung fördern können.“
Die Zusammenarbeit mit der erst 2008 gegründeten Sebastian Kolowa Memorial University (SEKOMU) in Lushoto ist eine Herausforderung. „Für unseren afrikanischen Partner ist es das erste Forschungsprojekt überhaupt“, stellt Professorin Ulrike Lüdtke klar. „Das ist Pionierarbeit auf allen Ebenen, aber es läuft trotzdem richtig gut!“ Sehr froh ist sie über eine Kooperation der Leibniz Universität mit dem Land Niedersachsen: Insgesamt 36 Photovoltaik-Module sind auf dem Weg nach Tansania. „Bislang fällt jeden Tag für mehrere Stunden der Strom aus“, sagt Lüdtke. „Von der Versorgung mit Solarenergie profitiert der Lehr- und Forschungsbetrieb der Universität insgesamt.“ Die Strom-Aktion für Tansania zeigt auch, welch hohen Stellenwert das BabyLab-Projekt innerhalb der Hochschule genießt. „Unser Engagement in Afrika und Indien wird von der Hochschulleitung sehr unterstützt“, betont die Projektleiterin. „Es besteht ein großes Interesse daran, dass sich unsere experimentelle Laborforschung international vernetzt.“ Das ist ganz im Sinne des „Welcome to Africa“-Programms, das schon zu seiner Halbzeit beweist, wie nachhaltig die geförderten Forschernetzwerke wirken können.
Gunda Achterhold (1. April 2014)