Neue Chancen und Rechte für Frauen und Kinder
Privat
Teilnehmer einer Tagung in Yogyakarta im November 2013
Die Republik Indonesien feilt an einem modernen Zivilrecht. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit islamische Werte in die Rechtsvorstellungen einfließen sollen - das betrifft vor allem Familien-, Ehe- und Erbrecht. Ein vom DAAD gefördertes deutsch-indonesisches Kooperationsprojekt begleitet diesen Prozess und widmet sich dabei nicht nur Genderfragen.
Ein nicht ehelich geborenes Kind ist nach klassischen islamischen Rechtsvorstellungen ein „illegitimes“ Kind. Seine Rechte und Chancen innerhalb muslimischer Gesellschaften sind damit oft geringer als die „legitim“ zur Welt gekommener Kinder. Ledige Mütter sind Diskriminierungen ausgesetzt. Indonesien, der Staat mit der weltweit größten muslimischen Bevölkerung, in dem nicht ehelich geborene Kinder und allein erziehende Mütter keine Seltenheit sind, hat jedoch auch die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau ratifiziert.
Fruchtbarer Rechtsdialog
„Das bedeutet eine Einbindung in internationales Recht und nun stellt sich in dem Land die Frage, wie die nationale Entwicklung des Zivilrechtes mit internationalen Rechtsnormen in Einklang zu bringen ist“, erläutert Professor Fritz Schulze vom Seminar für Arabistik und Islamwissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen. Daran hängt wiederum generell die Entwicklung der indonesischen Zivilgesellschaft hin zu mehr Chancengerechtigkeit. „Wir führen deshalb mit Indonesien einen intensiven Rechtsdialog über die Möglichkeiten einer Einbindung von islamisch bedingtem zivilen Recht, wie zum Beispiel Erbrecht oder Scheidungsrecht, in einen spezifischen nationalen Kontext.“
Seit Oktober 2012 arbeiten die philosophische Fakultät der Universität Göttingen und die Rechtsfakultät der Universitas Islam Negeri Sunan Kalijaga in Yogyakarta auf der Grundlage eines „Memorandum of Understanding“ zusammen. Weil Wissenschaftler der islamischen Universität die indonesische Regierung in Rechtsfragen beraten und in Kommissionen berufen werden, die über neue Gesetze debattieren, ist der Dialog mit den Göttinger Kollegen besonders fruchtbar. Seit 2013 wird der Austausch außerdem mit dem vom DAAD aus Mitteln des Auswärtigen Amtes geförderten Projekt „Islamisches Recht, Gender und Zivilgesellschaft in Indonesien und Deutschland“ unter der Leitung der Göttinger Islamwissenschaftlerin Professor Irene Schneider gefestigt. Zur Netzwerkarbeit der deutschen und indonesischen Experten zählen auch zwei jährliche Tagungen in Göttingen und in Yogyakarta.
Ziel der internationalen Kooperation ist nicht nur der wissenschaftliche Austausch. Sie wirkt zudem ganz praktisch in die Entwicklungsprozesse der indonesischen Zivilgesellschaft. Denn noch ist das Rechtssystem Indonesiens dynamisch. Die neue Staatsordnung wird nach dem politischen Umsturz von 1998 weiter aufgebaut und vor allem zivilrechtliche Fragen werden innerhalb der Gesellschaft ausgehandelt. „Es findet ein Prozess statt, der durch unseren Dialog positiv beeinflusst werden soll“, sagt Fritz Schulze. So ist das Genderzentrum an der Universität in Yogyakarta, mit dem Göttinger Islamwissenschaftler in Verbindung stehen, etwa in die Fortbildung von Richtern, Staats- und Rechtsanwälten eingebunden. Sie werden für Genderfragen und Frauenrechte in Scheidungsprozessen sensibilisiert. „Die Kooperation dient auch dazu, zu zeigen, dass im islamischen Recht liberale und freiheitlichere Elemente verankert werden können.“
Internationale Diskurse
Auch für den deutschen Dialogpartner ist der Austausch spannend, meint Schulze. „Islamisches Zivilrecht gibt es auch hierzulande – die deutsche Rechtsprechung berücksichtigt für den großen Anteil an muslimischer Bevölkerung zum Beispiel bei Scheidungsprozessen islamische Rechtsgrundsätze. Auch da gibt es noch viele offene Fragen.“
Offene Fragen hat auch Judith Koschorke, die sich derzeit als Doktorandin im Projekt mit illegitimer Kindschaft in der nationalen Gesetzgebung Indonesiens beschäftigt. Für sie beginnt im September 2014 der erste Forschungsaufenthalt in Indonesien – und damit der intensive Austausch an der islamischen Partneruniversität. Ihr Ziel ist es, die rechtliche Situation nicht ehelich geborener Kinder in Marokko und Indonesien zu vergleichen. „Das marokkanische Familienrecht gilt als eines der fortschrittlichsten in der arabischen Welt im Hinblick auf internationale Menschenrechtsverträge“, sagt die junge Islamwissenschaftlerin. So hat das 2004 in Marokko eingeführte Personenstandsrecht die Gleichberechtigung vor der Ehe gezeugter Kinder mit ehelichen Kindern erleichtert. Wie viel Liberalität aber lässt die indonesische Rechtsprechung zu? Judith Koschorke ist gespannt, welche Erkenntnisse ihr Forschungsaufenthalt in Indonesien bringen wird. Die Voraussetzungen sind jedenfalls besondere: „Indonesien hat eine ganz eigene Interpretation der Scharia entwickelt, die in die Rechtskodifikation eingeflossen ist.“
Bettina Mittelstraß (3. September 2014)