Deutsch-russische Universität gegründet
© TU Ilmenau
Symbolisch: Tatarstans Präsident Minnichanow und Deutschlands Botschafter von Fritsch bei der Eröffnungszeremonie
Kooperation in Konfliktzeiten: Das "German-Russian Institute of Advanced Technologies (GRIAT)" in Kasan steht für universitäre Partnerschaft auf hohem Niveau und eine praxisnahe, stark nachgefragte Ausbildung. An der feierlichen Eröffnung des GRIAT nahmen hochrangige Vertreter aus Wissenschaft und Politik teil, unter ihnen auch der Präsident der russischen Teilrepublik Tatarstan, Rustam Minnichanow, und der deutsche Botschafter in Russland, Rüdiger Freiherr von Fritsch. DAAD-Generalsekretärin Dorothea Rüland betonte dabei in Kasan: "Der Einsatz der Partner war einfach überzeugend." Der DAAD hat das GRIAT von Anfang an beratend begleitet und fördert zudem aus Mitteln des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten Programms "Transnationale Bildung" die Lehre durch deutsche Dozenten. Eindrücke vom Eröffnungstag schildert der aktuelle Bericht des DAAD-Online-Magazins.
Der Beginn des ersten Semesters ist ein ganz besonderer Tag – das macht der Moderator auf der Bühne vor der Nationalen Tupolew-Universität in Kasan besonders deutlich: „Heute beginnt eine neue Epoche“, ruft er ins Mikrofon, dann gibt es Gesang, Tanz und Akrobatik. Vor dem Gebäude im Norden der russischen Millionenstadt sind zudem Helikopter, Leichtflugzeuge und Lkw ausgestellt, Schüler und Studierende präsentieren Robotermodelle.
Gefeiert wird der neue Lebensabschnitt in jedem Jahr, nur bisher nie so groß. Gleich wird der Präsident der Teilrepublik Tatarstan sprechen, danach soll es Konfetti regnen, Feuerwerksraketen werden in den wolkenlosen Morgenhimmel schießen. Die Studierenden jubeln und schwenken Fähnchen. Neben dem Studienbeginn feiern sie die Eröffnung eines regionalen Ingenieurfestivals und – die Eröffnung einer neuen Lehrstätte an ihrer Universität: das „German-Russian Institute of Advanced Technologies (GRIAT)“.
Deutsche Lehrpläne und Standards
Dort sollen Absolventen Ingenieurwissenschaften nach deutschen Lehrplänen und Standards studieren können. Vier Masterstudiengänge stehen ihnen dabei zur Auswahl: „Kommunikations- und Signalverarbeitung“, „Informatik und Systemtechnik“, Elektrotechnik und Informationstechnologien“ sowie „Chemie- und Energietechnik“. Unterrichtssprache ist Englisch, die Studierenden werden während der vier Semester allerdings auch Deutsch lernen. Partner sind die Technische Universität (TU) Ilmenau und die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Die beiden deutschen Hochschulen bringen nicht nur die vier Studiengänge in den Kasaner Lehrbetrieb ein; an ihnen sind zudem Auslandssemester für die GRIAT-Studierenden vorgesehen.
„Deutschland ist bekannt für seine gute Ausbildung, besonders im Ingenieurbereich“, erklärt Andrej, ein 21-Jähriger mit schwarzen Haaren, wieso er sich an dem neuen Institut eingeschrieben hat. Er ist einer von 40 jungen Leuten, die sich für das Studium am GRIAT entschieden haben. In den kommenden Jahren soll die Zahl der Immatrikulierten deutlich steigen, das Institut soll zu einer vollwertigen deutsch-russischen Universität ausgebaut werden, inklusive deutsch-russischem Doppeldiplom und weiterer Fachrichtungen. Für die kommenden Jahre ist geplant, das Angebot auf 14 Studiengänge zu erweitern. In sieben oder acht Jahren sollen 1.000 Studierende eingeschrieben sein, erläutert Professor Albert Gilmutdinow, Rektor der Tupolew-Universität, auf dessen Initiative das Institut zurückgeht.
Hervorragende Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Ilfat, ein weiterer Student am GRIAT, erzählt, er habe einen Bachelor in Softwaretechnik und ein Jahr bei einer IT-Firma gearbeitet, jetzt will er sein Wissen in anderen Feldern erweitern, etwa in Physik und Mechanik. Wenn er und seine Kommilitonen in zwei Jahren das Institut verlassen, dürften sie hervorragende Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Ein Mangel an hoch spezialisierten Fachkräften stellt viele Unternehmen in Russland vor Probleme. In der Teilrepublik Tatarstan haben zahlreiche Firmen aus der Maschinenbauindustrie ihren Sitz, sie produzieren beispielsweise Flugzeuge, Helikopter, Motoren, Triebwerke und Raketen. Auch viele deutsche Unternehmen sind hier aktiv. Siemens etwa will Dozenten ans GRIAT entsenden und Studierende als Praktikanten in seinen Werken beschäftigen. „Die Nachfrage aus der Industrie ist groß“, weiß Rektor Gilmutdinow.
Diese Nachfrage hat ihren Anteil daran, dass die GRIAT-Eröffnungsfeier auch von politischer Seite außerordentlich gewürdigt wird: „Ingenieure sind sehr wichtig für Tatarstan“, sagt anlässlich des Festakts in Kasan etwa Rustam Minnichanow, Präsident der Republik Tatarstan. Und Russlands stellvertretender Bildungsminister Alexander Powalko ergänzt, dass die Ingenieure seines Landes zu den besten der Welt zählen.
Hochmoderne Ausstattung der Tupolew-Universität
Für ihre Ingenieurleistungen war die Sowjetunion in der Tat lange berühmt. Doch in den Jahren nach ihrem Untergang wanderten viele kluge Köpfe aus, als Geldmangel Betriebe und Forschung lähmten. Tatarstan hingegen, sagt Präsident Minnichanow, sei es gelungen, seine Spitzenposition im Ingenieurwesen zu halten. Deutsche Dozenten waren in der Vergangenheit bei ihren Besuchen in der Wolga-Stadt mitunter überrascht von der hochmodernen Ausstattung der Tupolew-Universität. Stolz führt die Hochschule auch am GRIAT-Eröffnungstag Laser, Roboter, Mikroskope, Scanner und andere Instrumente vor. Tatarstan kann auf eine große Bildungstradition verweisen und zählt aufgrund seiner Öl- und Gasvorkommen zu den reichsten Regionen Russlands. Die Wände des fünfstöckigen Institutsneubaus sind in freundlichem Gelb gestrichen, im Treppenhaus stehen Zimmerpalmen, Flachbildschirme hängen in den Fluren.
Das große Interesse an den Ingenieurwissenschaften sei ein „gutes Anzeichen für die Entwicklung des Landes“, lobt Professor Peter Scharff, Rektor der TU Ilmenau. Kasan könne auch eine attraktive Lehrstätte für deutsche Studierende und Doktoranden sein. „Austausch ist keine Einbahnstraße“, wirbt Scharff. Dozenten aus Deutschland sollen regelmäßig am GRIAT lehren; ihren Einsatz fördert der DAAD aus Mitteln des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten Programms „Transnationale Bildung“. Die Tupolew-Universität und die Republik Tatarstan finanzieren das GRIAT sowie Stipendien mit einer Gesamtsumme von fast vier Millionen Euro. Die deutsch-russische Kooperation sei in erstaunlich kurzer Zeit umgesetzt worden, berichtet DAAD-Generalsekretärin Dorothea Rüland. „Der Einsatz der Partner war einfach überzeugend.“
„Eine Brücke für ein friedliches Zusammenleben“
Dabei war es zunächst nicht leicht, deutsche Hochschulen für eine Beteiligung zu finden. Auch, weil im Ausland selbst führende russische Universitäten oft unterschätzt werden. Gerade angesichts der politischen Entwicklungen der vergangenen Monate setzt die Eröffnung des GRIAT ein positives Zeichen. „Studenten sind ein wichtiger Partner im internationalen Dialog“, erklärt Dorothea Rüland. Die Generalsekretärin hofft, dass trotz der neuen Krise zwischen Ost und West, das gemeinsame Institut „eine Brücke für ein friedliches Zusammenleben zwischen den Ländern“ ist.
Oliver Bilger (9. September 2014)