Auf Du und Du mit Nobelpreisträgern

Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

Nobelpreisträgerin Françoise Barré-Sinoussi im Interview

Bei der „Research in Germany“-Pressereise begegnet eine internationale Journalistengruppe hochkarätigen Wissenschaftlern und informiert sich über Spitzenforschung in Deutschland.

„Die Alzheimer-Krankheit beginnt Jahrzehnte, bevor die ersten Symptome sichtbar werden“, sagt Prof. Mathias Jucker vom Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung der Universität Tübingen. Der Neurowissenschaftler berichtet über sein Aufsehen erregenden Studien mit transgenen, demenzerkrankten Mäusen und über den derzeitigen Schwerpunkt seiner Forschung, die selten auftretende familiäre Form der Demenzkrankheit.

Jucker führt die internationalen Journalisten durch sein Institut, die auf Einladung des DAAD eine Woche lang durch Süddeutschland reisen, um sich über Forschung vor allem im medizinischen und physiologischen Bereich zu informieren. Die Fahrt ist Teil der Initiative „Werbung für den Innovations- und Forschungsstandort Deutschland“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).

Der Besuch am Tübinger Hertie-Institut gehört für Yue „Albert“ Yuan, Wissenschaftsreporter aus Peking, zu den besonders interessanten Stationen der Reise. Doch eindeutiger Höhepunkt war zuvor die 64. Tagung der Nobelpreisträger in Lindau. 37 Nobelpreisträger, die für Forschung im Bereich Medizin oder Physiologie ausgezeichnet wurden, trafen dort rund 600 Nachwuchswissenschaftler aus 80 Ländern. Letztere haben sich unter Tausenden von Bewerbern für die Teilnahme qualifiziert. Auch der DAAD hat ausgewählte Stipendiaten, die derzeit in Deutschland forschen, nach Lindau eingeladen. Eine Woche haben die Nachwuchswissenschaftler Gelegenheit, Forschungsprojekte zu präsentieren und mit den Nobelpreisträgern zu diskutieren. Das gefällt auch den Hochdotierten wie Aaron Ciechanover, israelischer Nobelpreisträger 2004 für Chemie, der am Technion in Haifa forscht. „Die Atmosphäre ist ungeheuer inspirierend”, sagt er beim Gespräch in Lindau. Die „sehr talentierten“ jungen Forscher könnten Tipps für erfolgreiche Arbeit bekommen, die Arrivierten könnten sich vom jugendlichen Elan anspornen lassen.

Natürlich waren die Interviews mit den Laureaten etwas ganz Besonderes für die Journalisten. Mit Brian Schmidt eine Stunde lang sprechen zu können, der 2011 den Physiknobelpreis für die Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums bekommen hatte, nannte Andrew Shaw aus Kanada als Highlight der Reise. Ebenso bewertet Katrina Austen ihr Gespräch mit Arieh Warhel, israelisch-amerikanischer Chemie-Nobelpreisträger 2013. „Er entwickelte die Computermethoden, die ich in meiner Promotionsarbeit benutzte“, sagt die Chemikerin und Wissenschaftsautorin aus London, die derzeit in Berlin lebt. Den brillanten Geist von Peter Agre, 2003 in Chemie ausgezeichneter US-Mediziner, bewundert Ishani Duttagupta (Economic Times, New Delhi). „Das einstündige Gespräch zeigte die zutiefst humane Seite des Wissenschaftlers“, sagt die indische Autorin. Sehr inspirierend war für Claudia Adrien aus den USA das Gruppeninterview mit Françoise Barré-Sinoussi, die 2008 für die Erforschung des Aids verursachenden HI-Virus ausgezeichnet wurde - im gleichen Jahr wie Harald zur Hausen, ein weiterer Gesprächspartner. Der Mediziner vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) hatte erkannt, dass Gebärmutterhalskrebs durch Virusinfektionen ausgelöst wird. So wurde es möglich, einen Impfstoff gegen diesen aggressiven Krebs bei Frauen zu entwickeln.

Nach Lindau ging es ans Zentrum für Regenerative Biologie und Medizin (ZRM) der Tübinger Uniklinik. Dort war eine Prostata-Operation zu verfolgen, bei der Prof. Karl-Dietrich Sievert den Einsatz des Robotersystems „Da Vinci“ demonstrierte. Am Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut (NMI) berichtete Biologie-Professorin Elke Günther über anwendungsorientierte Forschung etwa im Bereich Pharma oder Medizintechnik. Ebenfalls praxisbezogen arbeitet das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB. Das demonstrierte Moriz Walter an der ersten vollautomatisierten Produktionsanlage für künstliche Haut, an der sich Wirkungen und Nebenwirkungen von Kosmetika und Chemikalien testen lassen. Auch der Einsatz bei Hauttransplantationen ist denkbar. „Das war mein Highlight“, sagt der brasilianische Autor Marcos Pivetta aus Sao Paulo.

Höhepunkte gab es auch in Heidelberg, wo das European Molecular Biology Laboratory (EMBL) zunächst mit seinem futuristischen Rundbau beeindruckte. Aber auch der Vortrag des Doktoranden Paul Costea darüber, wie die Mikroorganismen im menschlichen Darm zusammengesetzt sind und inwiefern sie sich nach Art der Nahrungsaufnahme unterscheiden, blieb im Gedächtnis haften. Im DKFZ erklärte Prof. Stefan Herzig, warum Übergewicht mittlerweile das Rauchen als Krebsrisiko Nr. eins abgelöst hat. Die fatale Rolle der Krebs-Stammzellen erläuterte Prof. Andreas Trumpp. „Ich habe zum ersten Mal richtig verstanden, wie sich Krebs entwickelt“, sagt Andy Shaw. Gezielte Therapien sind mit dem Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) am Heidelberger Universitätsklinikum möglich, dessen Funktion Prof. Thomas Haberer erklärte. Mit Hilfe der äußerst präzisen Strahlung lassen sich auch schwer zugängliche Tumoren ohne Schädigung des Nachbargewebes behandeln.

Die Journalisten aus aller Welt bewerteten den Erfahrungsaustausch als „bereichernd“. Einer der Vorteile der „Research in Germany“-Pressereise sei es, Freunde aus aller Welt finden zu können“, sagt Yue „Albert“ Yuan, der es zudem genoss, „Spiele der Fußballweltmeisterschaft in deutschen Restaurants“ sehen zu können.

Paul Janositz (18. Juli 2014)