Stadtführungen zu Richard Wagner und Jean Paul

Privat

Gilbert Ndi Shang

Der Literaturwissenschaftler Gilbert Ndi Shang aus Kamerun kam mit einem DAAD-Stipendium an die Universität Bayreuth und schrieb dort seine Dissertation, in der er die Gesellschaftsdarstellungen afrikanischer Autoren analysiert. Nebenbei führt er Touristen durch die Stadt – und hört beim Lesen gerne Richard Wagner.

Herr Ndi Shang, Sie haben früher in Kamerun als Lehrer gearbeitet. Wie kamen Sie auf die Idee, sich um ein DAAD-Stipendium zu bewerben?

Als ich im Gymnasium lehrte, wurde ich als Doktorand an der Universität Yaoundé 1 angenommen, weil ich den Traum hatte, meine akademische Karriere fortzusetzen. Wegen der mangelhaften Forschungsressourcen in Kamerun wollte ich aber in der Ferne promovieren. Ich las gerne das Magazin „Deutschland“, um die politischen Entwicklungen in der Bundesrepublik zu verfolgen. Durch meine Promotion wurde mein Interesse an Deutschland konkreter, auch weil mein Betreuer an der Universität in Yaoundé selbst DAAD-Alumnus war und mich ermutigte.

Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Zum größten Teil, ja. Ich habe meine Doktorarbeit mit hervorragendem Erfolg abgeschlossen. Ich habe neue Sprachen gelernt, wörtlich wie bildlich gesprochen. Ich habe viel mehr über Deutschland, Afrika, die Welt und über mich selbst erfahren.

Wann haben Sie zum ersten Mal die Musik Richard Wagners gehört?

In Kamerun kannte ich Richard Wagner nur aus Büchern. Als ich in Deutschland angekommen bin, habe ich seine Musik das erste Mal gehört. Ich bin kein Kenner der klassischen Musik. Trotzdem haben mir ein paar seiner Werke sehr gut gefallen; ich habe mittlerweile auch ein Wagner-Album mit Stücken aus „Lohengrin“ und „Siegfried“. Manchmal höre ich klassische Musik als ruhige Hintergrundmusik, wenn ich lese.

Bayreuth und Wagner spielten im „Dritten Reich“ der Nationalsozialisten eine symbolhafte Rolle. War Ihnen das bewusst?

Ja, ich interessiere ich mich sehr für diese Zusammenhänge. Das jetzige Gebäude des Bayreuther Iwalewa-Hauses, ein Zentrum und Museum für Afrikanische Künste und Veranstaltungen, war ein wichtiger Ort für die Nationalsozialisten in Bayreuth. Wenn Hitler zu einer Wagner-Oper kam, stand er auf diesem Balkon und begrüßte die Besucher. Auch hat der Bayreuther Kreis, eine Gruppe um Richard Wagners Witwe Cosima und Houston Stewart Chamberlain, die Ideologie der Herrenrasse vorangetrieben. Sie versuchten, durch angebliche wissenschaftliche Begründungen die weiße, sogenannte arische Rasse als herrschende Rasse über andere, minderwertige zu klassifizieren.

Aber es gibt einen Punkt, auf dem ich beharren möchte. Wie jedes totalitäre System haben die Nazis alle Mittel benutzt, um ihre unmenschlichen Ziele zu verfolgen. Deshalb haben sie auch versucht, die Werke der wichtigsten Künstler Deutschlands zu benutzen, unabhängig von der Komplexität dieser Werke. Hierfür ist Friedrich Nietzsche ebenfalls ein Beispiel. Nietzsches Idee des „Übermenschen“, ein komplexes und sogar widersprüchliches Konzept in seinen Werken, wurde später von den Nazi-Ideologen einseitig vereinfacht, um die Gleichschaltung des Volkes zu erreichen. Richard Wagner hatte antisemitische Ideen, aber er hatte auch sehr enge jüdische Freunde. Das konnten die Nazis natürlich nicht vertreten.

Legen Sie bei Ihren Stadtführungen besonderen Wert auf Punkte, die Sie persönlich interessieren oder betreffen?

Meine Kollegen und ich versuchen, die Vernetzung der Menschen und Kulturen zu unterstreichen. Die Stadtführung heißt „Afrika in Bayreuth“, aber sie betrifft die Bedeutung der Begegnung mit dem „Anderen“ im allgemeinem. Außerhalb des akademischen Kontexts ist die Stadtführung für mich ein Austauschpunkt mit der Bayreuther Gesellschaft. So verstehe ich den „Austausch“ im Akronym des DAAD. Während einer der Stadtführungen habe ich einen besonderen Moment erlebt: Als ich über das Leben von Jean Paul sprach, der von 1804 bis zu seinem Tod 1825 in Bayreuth wirkte, fing es an zu schneien. Es war wirklich kalt, besonders für jemanden, der aus Kamerun kommt. Eine alte Dame, eine Teilnehmerin der Führung, kam zu mir, zog einen ihrer Handschuhe aus und gab ihn mir, um mich gegen die Kälte zu schützen. Diese Geste hat mich sehr beeindruckt. Als ich den Handschuh angezogen hatte, spürte ich ihre Wärme auch im übertragenen Sinne. Es gibt kein Dasein ohne Mitsein.

Julia Bähr (28. Juli 2014)