''Mich hat alles überrascht''
DAAD/Heupel
Florian Küchler
Sie sind Sprachenvermittler und Kulturbotschafter, Studienberater und Hochschuldozenten - vor allem aber sind die in mehr als 110 Ländern tätigen DAAD-Lektoren Brückenbauer für den akademischen Austausch. Den ermöglichen die insgesamt rund 500 Lektoren in den unterschiedlichsten Weltregionen. Eine neue Porträtserie des DAAD-Online-Magazins stellt ihr Wirken vor. Florian Küchler kennt die Ukraine wie nur wenige Deutsche. Doch auch er wurde von den dramatischen Entwicklungen der letzten Monate überrumpelt. Politischen Streit meidet der 32-Jährige ganz bewusst - zu wichtig ist seine Aufgabe als Ansprechpartner im akademischen Dialog.
Bis zum Ausbruch des Euromaidan, der Massenproteste auf dem Maidan-Platz in Kiew während des Wintersemesters 2013/2014, hatte Florian Küchler eigentlich geglaubt, die Ukraine gut zu kennen. Schließlich ist er seit 2010 als Lektor für deutsche Landeskunde und Leiter des DAAD-Informationszentrums an der Nationalen Schewtschenko-Universität in Kiew tätig. Die ukrainische Hauptstadt war die erste Wahl des heute 32-Jährigen, als er sich um eine DAAD-Lektorenstelle bewarb. „Ich hatte einen Sommerkursus des DAAD in der Ukraine absolviert und außerdem zwei Praktika“, erzählt er. Sein Interesse für Osteuropa hatte sich während des Studiums der Internationalen Beziehungen in Oxford und Cambridge und der anschließenden Zeit als Kulturmanager des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) in Rumänien entwickelt. Florian Küchler spricht beeindruckende zehn Sprachen, darunter Ukrainisch und Russisch, und ist mit einer Ukrainerin verheiratet. Seine Masterarbeit hat er über die Rolle der EU im Transnistrienkonflikt geschrieben. Die von Moldau abgespaltene Republik Transnistrien ist zuletzt wieder in die Schlagzeilen geraten: Auch hier suchen Separatisten die Nähe zur Russischen Föderation.
Selbst den Ukraine-Kenner Florian Küchler machen die aktuellen Ereignisse ratlos, vor allem die Eskalation der Gewalt, die Toten auf dem Maidan und der Krieg in der Ostukraine. „Mich hat alles überrascht“, sagt er. Weder die Schüsse auf dem Maidan noch den mutmaßlichen Abschuss eines Linienflugzeuges über der Ostukraine hätte er jemals für möglich gehalten. „Ich war nicht auf dem Maidan“, erzählt er, „auch wenn der nur rund fünf Kilometer von der Universität entfernt liegt und an manchen Tagen Protestzüge mit Studierenden an unserem Fenster vorbeigezogen sind.“ Eine bewusste Entscheidung: DAAD-Lektoren sollen sich nicht in politische Auseinandersetzungen einmischen, sondern vielmehr als akademische Brückenbauer für den Austausch in möglichst viele Richtungen offen bleiben. Zudem hat ihre Sicherheit für den DAAD und das Auswärtige Amt höchste Priorität. Derzeit ist es in Kiew sicherer als in der Ostukraine, aus der der DAAD inzwischen alle Lektoren abgezogen hat. Doch auch in der Hauptstadt war die Krise schon deutlich zu spüren: „Es hat während der Proteste Tage gegeben, da haben wir hier auf gepackten Koffern gesessen, mit 500 bis 1.000 Euro Bargeld in der Tasche“, erzählt Florian Küchler. „Es hätte jederzeit passieren können, dass wir kurzfristig ausgeflogen werden.“ Manche Lebensmittel wie frisch gebackenes Brot waren in den Supermärkten Mangelware, berichtet Küchler.
Rapide gestiegenes Interesse
Mittlerweile arbeitet das DAAD-Informationszentrum in Kiew unter Hochdruck weiter, denn das bisher schon große Interesse an Studienaufenthalten in Deutschland ist seit dem Ausbruch der Unruhen rapide gestiegen. „Die Anzahl der Anträge hat sich zum Beispiel in einem unserer Stipendienprogramme verdoppelt“, sagt Küchler. Er hat Verständnis dafür, dass mancher junge Ukrainer dadurch auch dem drohenden Militäreinsatz entgehen will. Zugleich haben die Kiewer IC-Mitarbeiter durch den Umsturz in politischer Hinsicht Entspannung erfahren: Ein DAAD-Alumnus wurde Bildungsminister. Das habe vieles vereinfacht und auch Sorgen über eine eventuelle Verschlechterung der Arbeitsbedingungen vertrieben: „Es gab keine Berührungsängste mehr und die Kontrollbriefe aus der Verwaltung blieben aus.“ Nach dem Rücktritt der Regierung vor wenigen Tagen droht nun neue Unsicherheit, doch Florian Küchler ist zuversichtlich, dass sich die Ukraine stabilisiert. Auf ihn und seine Kolleginnen wartet viel Arbeit, bevor das Wintersemester beginnt. „Jeder Krieg geht einmal zu Ende“, sagt Küchler und hofft, diesmal nicht überrascht zu werden.
Claudia Wallendorf (31. Juli 2014)