"Selten habe ich mich angenehmer verlaufen"
DAAD
Christian Bartel bei einer Lesung in Edinburgh
Das DAAD-Lektorat der Universität Edinburgh hatte im Rahmen des "DAAD Writer in Residence"-Programms den Bonner Schriftsteller Christian Bartel nach Schottland eingeladen. Im Interview zieht er Bilanz und verrät, wie der Aufenthalt in seine Texte eingehen wird.
Während seines zweiwöchigen Aufenthalts hat Christian Bartel bei Lesungen, Schreib- und Übersetzer-Workshops an den Universitäten Edinburgh, St. Andrews und Newcastle Kostproben seines Schaffens gegeben. Anschließend durften ihm die Germanistikstudenten in St Andrews etwas beibringen: Sie führten den Satiriker durch die traditionsreiche Stadt und schrieben dazu einen kleinen Reiseführer mit Sehenswürdigkeiten, Restaurants und individuellen Geheimtipps. Er ist im „Schottland“-Magazin (www.schottland.co) erschienen.
Herr Bartel, welchen Bezug zu Schottland hatten Sie vor Ihrer Reise?
Ich war nur einmal als Kind dort und hatte Schottland als perfekte Kulisse für meine imaginären Historienfilme in Erinnerung. So ganz falsch lag ich mit dieser Einschätzung nicht. Die offensichtliche Dramatik der Landschaft tut bei mir jedenfalls noch immer ihre Wirkung. Schottische Städte dagegen sind, zumindest im Herbst, eine eher monochrome Angelegenheit: Grauer Stein bildet mit grauem Himmel eine unauflösbare Einheit und wenn dann noch dieser Nebel herumwabert, steht man mitten in einem abstrakten Gemälde und ist froh, wenn man irgendwie herausbekommt, wo oben und wo unten ist. Trotzdem oder gerade deswegen: großartig.
Was waren die drei wichtigsten Dinge, die Sie dort gelernt oder erlebt haben?
1. In Deutschland erlerntes Schulenglisch ist beim Verständnis der schottischen Umgangssprache nur bedingt nützlich.
2. Das Nationalgericht Haggis ist wesentlich besser als sein Ruf. Der Softdrink Irn Bru dagegen...
3. Im Oktober wohnen die Schotten unter einem Wasserfall, halten diesen aber offensichtlich für Nieselregen. Namentlich schottischen Frauen gelingt es, auch bei orkanartigen Regenstürmen in High Heels und Sommerkleidern durch die Innenstädte zu flanieren, ohne zu erfrieren oder nass zu werden, während man selber daneben herpatscht wie eingeweicht und nicht wieder ausgewrungen.
Wie ist Ihr Bezug zu Schottland jetzt?
Nach knapp zwei Wochen Aufenthalt geht man noch nicht als Experte durch, oder?
Ist es eigentlich riskant, einen Satiriker einzuladen?
Nein, überhaupt nicht. Die meisten mir persönlich bekannten Satiriker sind recht ausgeglichene und umgängliche Menschen, zumal sie ihr gesamtes Empörungspotential während der Arbeit am Schreibtisch abbrennen. Man sollte bloß recht freundlich zu ihnen sein, sonst findet man sich unvorteilhaft porträtiert in irgendwelchen Glossen wieder.
Worüber haben Sie gelacht?
Über mich. Ich verfüge nachweislich über den Orientierungssinn einer bekifften Miesmuschel, habe mich aber selten angenehmer verlaufen als in Schottland. Denn auch einem Stadtplan-Legastheniker wie mir wurde stets höflich versichert, dass der gesuchte Ort wirklich „poorly signposted“ sei, auch wenn das in aller Regel überhaupt nicht gestimmt hat. Ich möchte Schottland deswegen zum Land des angstfreien Verlaufens küren und mich bei dessen Einwohnern bedanken.
Wird der Aufenthalt ein Echo in Ihrer Arbeit finden?
Ja. Alles, was ich erlebe, taucht früher oder später in meinen Texten auf. Meist jedoch später, wenn es sich in den Sedimentschichten der Erinnerung etwas gesetzt hat. Außerdem benutze ich meinen Erinnerungsfundus als Rohmaterial und forme daraus etwas Neues, das nur noch ahnungsweise biographisch fundiert ist. Als Autor fiktionaler Texte hat man ja das Privileg, allenfalls einer metaphorischen Wahrheit verpflichtet zu sein. Das sollte man ausnutzen.
Julia Bähr (28. Januar 2014)
Weitere Informationen
Christian Bartel, geboren 1973 in Bonn, hat sich als satirischer Schriftsteller einen Namen gemacht. 2005 war er Vizemeister der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften in Leipzig. 2008 erschien sein Erzählungsband „Seit ich Tier bin“; im März 2011 folgte sein Romandebüt „Zivildienstroman“. Daneben schreibt er Kolumnen für die „taz“ und das Satire-Ressort der „Welt“. Zuletzt erschien sein Regionenporträt „Rheinland. Für eine Handvoll Kamelle – ein Heimatbuch“.