Von der ländlichen Tradition zur künstlerischen Abstraktion

© Krzysztof Zielinski

Sheela Gowda „Of All People“, daadgalerie, 2014

Bilder und Skulpturen aus Kuhdung, Weihrauchstäbchen und Menschenhaar: In den Händen der indischen Künstlerin Sheela Gowda, die bis vor Kurzem Gast des Berliner Künstlerprogramms (BKP) des DAAD war, wird alles zu Kunst. Ihre Ausstellung in der daadgalerie zeigt zwei großformatige Installationen - und ist Gowdas erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland.

Ist hier ein Umzug oder eine Renovierung im Gange? Im ersten Saal der daadgalerie sind Möbel und Einrichtungsobjekte verstreut: Ein Holztisch mit verzierten Beinen liegt kopfüber auf dem Boden, an den Wänden hängen Fensterrahmen mit Gitterstäben und Maschendraht, eine Holztür samt Rahmen steht mitten im Raum, zerlegte Türzargen stehen oder hängen umher. Doch alle Teile zeigen deutliche Abnutzungsspuren: Damit wird wohl niemand mehr sein Haus ausbessern.

Zumal kleine Holzstöckchen in rauen Mengen herumliegen. Hier zu Haufen geschichtet, da als lange Spur ausgelegt, einzeln aufgestellt oder auf Schnüre aufgezogen: Über einem Durchgang baumeln sie wie ein Spanischer Vorhang. Was auf den ersten Blick wie Abfall einer Tischlerei wirkt, entpuppt sich auf den zweiten Blick als Kunsthandwerk: Es handelt sich um indische Votivfiguren für rituelle Zwecke, die in Handarbeit geschnitzt werden. Jeder Kienspan ist nur mit wenigen Einkerbungen versehen. Trotz der massenhaften Herstellung sind alle Stücke verschieden; keines gleicht einem anderen. Diese kaum wahrnehmbare Einzigartigkeit der so genannten „dampatty dolls“ fasziniert die indische Künstlerin Sheela Gowda: „Ihre Individualität fällt gleichsam zurück in die ungeformte Materie, aus der wir alle bestehen.“

„Soziologische Struktur“

Die Figürchen spielen in Gowdas Rauminstallation „Of All People“ die Hauptrolle. Ihre Anordnung ergebe quasi eine „soziologische Struktur“, hebt Kuratorin Bettina Klein hervor, die beim Berliner Künstlerprogramm des DAAD die Sparte Bildende Kunst betreut. Zu sehen sind Einzelne, Paare und Gruppen, die wie auf einer Bühne in Szene gesetzt werden, aber es gibt auch Anhäufungen von Figuren, eine undefinierte Masse, die mit den geometrischen Formen der architektonischen Versatzstücke kontrastiert, so Klein.

Die Installation greift auch auf den Nebenraum über: Eine geschlossene Tür ist an der Wand befestigt, schräg darüber hängt das Foto eines Figürchens in Großaufnahme – solche schützenden Götterbilder sind in indischen Haushalten üblich. In diesem Raum findet sich eine weitere Installation: „Stock“ besteht aus Pappkartons, die mit Kugeln aus Kuhdung gefüllt sind. Gowda hat sie mit Ritzungen versehen, die sich als Gesichter deuten lassen.

Fäkalien als Werkstoff für Kunst? Das dürfte viele Europäer zurückschrecken lassen – obwohl der italienische Konzeptkünstler Piero Manzoni bereits 1961 seinen Stuhlgang in Dosen als „Merda d’artista“ („Künstlerscheiße“) verkaufte und der Anglonigerianer Chris Ofili in den 1990er-Jahren öfter Bilder mit Elefantenkot malte. Doch in indischen Dörfern ist Kuhdung eine alltägliche Ressource, die vor allem als Brenn- und Baustoff verwendet wird.

Gegen religiösen Fanatismus

Da Kühe als Symbol des Friedens verehrt werden, gibt Gowda den Ausscheidungen eine politische Bedeutung: als Memento der Gewaltfreiheit gegen religiösen Fanatismus, der im Indien der 1980- und 1990er-Jahre mehrfach zu Unruhen mit vielen Opfern führte. Die Künstlerin bestreicht mit Kuhdung öfter auch Leinwände; sie begann ihre Laufbahn als Malerin.

1957 im südindischen Bundesstaat Karnataka geboren, studierte Sheela Gowda an Kunsthochschulen in Indien und London. In den 1990er-Jahren wandte sie sich von der Malerei ab und begann ihre Arbeit an großformatigen Skulpturen und Installationen, die auf gesellschaftliche Entwicklungen in Indien reagieren. Dabei setzt sie bevorzugt Materialien mit Bezug auf ländliche Traditionen ein: etwa menschliche Haare, die als Opfergaben bei religiösen Riten geschoren werden, oder Weihrauchstäbchen, die seit jeher per Hand gefertigt werden. Wobei Gowda betont, dass sie derlei stets aus dem ursprünglichen Kontext herauslöst: „Abstraktion ist für mich ein Mittel, um mit einem größeren Publikum zu kommunizieren. Lokales wird dadurch auch für eine fremde Öffentlichkeit bedeutsam.“

Gast der Documenta und der Biennale

Ihre Arbeiten fanden rasch Anklang im westlichen Kunstbetrieb. So war sie 2007 auf der Documenta 12 in Kassel mit zwei Rauminstallationen vertreten: „And...“ bestand aus langen Kordeln, die frei aufgehängt waren und sich über den Boden schlängelten. Sheela Gowda hatte sie aus einzelnen Fäden geflochten, verklebt und mit dem roten Ritual-Pulver „kumkum“ eingefärbt. Für den Beitrag „Collateral“ hatte die Künstlerin Räuchermaterial auf acht Rahmen arrangiert und dann verbrannt: Übrig blieben filigrane Spuren aus Asche. Zwei Jahre später zeigte sie auf der 53. Biennale in Venedig „Behold“: mit Menschenhaar umwickelte Metall-Elemente.

Keine Frage, dass Sheela Gowda eine für das Berliner Künstlerprogramm des DAAD interessante Persönlichkeit ist. Die Ausstellung in der daadgalerie ist für Kuratorin Bettina Klein aus mehreren Gründen wichtig: „Sheela Gowda ist eine wichtige zeitgenössische Künstlerin mit einem umfangreichen und spannenden Œuvre. Und wir wollen verstärkt Kunst aus Asien, Afrika und Lateinamerika präsentieren.“

Oliver Heilwagen (6. August 2014)

Weitere Informationen

Sheela Gowda: Of All People. Bis 23. August in der daadgalerie, Zimmerstraße 90, Berlin.

http://www.daadgalerie.de/