Kultur der Ermutigung
ArbeiterKind.de
"Zum Studium ermutigen": Arbeiterkind.de motiviert auch an Schulen
Die Bildungslaufbahn ist in Deutschland immer noch eng mit dem Elternhaus verknüpft. Katja Urbatsch, DAAD-Alumna und Gründerin der Initiative Arbeiterkind.de, hilft der "Ersten Generation", Bildungshürden zu meistern.
Frau Urbatsch, die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft wird seit den 1960er-Jahren diskutiert. Warum ist das Thema in Deutschland auch 2014 noch aktuell?
In Deutschland ist es noch nicht gelungen, die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft zu entkoppeln. Die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zeigt, dass von 100 Kindern aus akademischen Familien 77 ein Studium aufnehmen, von 100 Kindern aus nicht-akademischen Familien sind es jedoch lediglich 23, obwohl fast doppelt so viele das Abitur erfolgreich abschließen. Neben dem klassischen Abitur gibt es inzwischen auch die Möglichkeit, mit einer Berufsqualifizierung zu studieren. Jedoch auch dieser Weg wird kaum genutzt. Wir schöpfen das große Potenzial begabter Nicht-Akademikerkinder in Deutschland nicht aus.
Mit welchen Problemen haben Nicht-Akademikerkinder an Hochschulen zu kämpfen?
Da müssen wir erst einmal einen Schritt zurückgehen, denn die erste große Hürde ist der Übergang von der Schule zur Hochschule. Wie zahlreiche Studien zeigen, folgen Menschen typischerweise dem Vorbild ihrer Eltern. Wollen Nicht-Akademikerkinder dennoch als Erste in ihrer Familie studieren, fehlt ein Ansprechpartner in der Familie. Daher können sie schwer einschätzen, was sie an der Hochschule erwartet und ob sie gute Chancen haben, ein Studium erfolgreich abzuschließen. Darüber hinaus machen sich insbesondere angehende Studierende der ersten Generation große Sorgen um die Studienfinanzierung. Von Stipendien haben die wenigsten gehört – viele denken, dass diese nur für Hochbegabte gedacht sind. Dazu kommt die Angst, an den Herausforderungen eines Studiums zu scheitern. Gibt es Anforderungen zu bewältigen, kann die Familie sie nur schwer unterstützen.
Im Vergleich mit anderen Ländern, in denen bestimmte Bevölkerungsgruppen keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu Bildung haben, können diese Schwierigkeiten marginal erscheinen. Inwiefern ist Ihre Arbeit von gesellschaftspolitischer Bedeutung?
Ich bin generell der Überzeugung, dass der Zugang zu Schul- und Hochschulbildung nicht von der sozialen Herkunft abhängen darf. Solange dies nicht gegeben ist, dürfen wir auch in Deutschland nicht zufrieden sein und müssen weiter daran arbeiten. Gesamtgesellschaftlich können wir nur davon profitieren, wenn wir alle Potenziale in unserer Gesellschaft heben. Derzeit gehen uns viele Talente verloren, die Deutschland voranbringen und zukunftsfähig machen könnten.
Welche Angebote macht Ihre Initiative der ersten Studierendengeneration?
Wir möchten Schülerinnen und Schüler aus nicht-akademischen Familien zum Studium ermutigen und sie mit der Weitergabe von Erfahrungen und Informationen unterstützen. Unsere über 5.000 Ehrenamtlichen, die sich in 70 lokalen Arbeiterkind.de-Gruppen in ganz Deutschland engagieren, erzählen in interaktiven Schulveranstaltungen von ihrem eigenen Bildungsweg und ihren Erfahrungen mit dem Studium. Die meisten sind, genauso wie ich selbst, Studierende der ersten Generation. Darüber hinaus klären wir insbesondere über die verschiedenen Formen der Studienfinanzierung auf. Unsere ehrenamtlichen Gruppen bieten auch Sprechstunden an oder beantworten Fragen per E-Mail.
Inwiefern hat das DAAD-Stipendium Ihre Entscheidung beeinflusst, Arbeiterkind.de zu gründen?
Mit dem DAAD-Stipendium und dem Studienaufenthalt an der Boston University ist für mich ein großer Traum in Erfüllung gegangen. Das Stipendium hat mir Selbstbewusstsein gegeben, denn in den USA hatte ich nie das Gefühl, an der Hochschule fehl am Platz zu sein. Ich wurde stets angeregt, meine Ideen einzubringen und mein Potenzial zu entfalten. Die Erfahrung des Angenommen-Werdens und der Ermutigung hat mich sehr beeindruckt und inspiriert. In den USA heißt es „You can make a difference“ und durch meinen Aufenthalt wurde ich darin bestärkt, dass ich mit meinem Engagement einen wichtigen Beitrag leisten kann. Als ich aus den USA zurückkehrte, habe ich sofort angefangen, andere Studierende bei der Bewerbung um DAAD-Stipendien zu unterstützen und war dabei sehr erfolgreich. Diese Erfahrung hat entscheidend zu meiner Motivation beigetragen, im Jahr 2008 Arbeiterkind.de zu gründen.
„Chancengerechtigkeit in Bildung und Wissenschaft“ ist 2014 das Jahresthema des DAAD – verbunden mit zahlreichen Aktivitäten und einem Werben für Programme, mit denen der DAAD für einen fairen Bildungszugang eintritt. Was kann ein Jahresthema bewirken?
Ich freue mich sehr, dass der DAAD mit diesem Jahresthema auch kommuniziert: Der Zugang zu Stipendien und Auslandsaufenthalten darf nicht von der sozialen Herkunft abhängen. Es ist wichtig, möglichst viele Menschen für Studierende der ersten Generation und andere Gruppen zu sensibilisieren, die sich derzeit noch viel zu wenig trauen, sich um Stipendien zu bewerben oder im Ausland zu studieren. Es braucht eine Kultur der Ermutigung an deutschen Hochschulen sowie im deutschen Stipendienwesen. Der DAAD gibt damit ein wichtiges Signal. Ich bin sehr dankbar, dass der DAAD mir als Studierende der ersten Generation die Chance eröffnet hat, in den USA zu studieren. Diese Erfahrung hat bis heute großen Einfluss auf meine Arbeit und mein Engagement.
Christina Pfänder (12. August 2014)