''Ich versuche, über Literatur und Philosophie Impulse zu geben''

Privat

"Hoffnung und Kraft": Michael Fisch mit Studierenden eines seiner Seminare

Verbindender Unterricht in einem gespaltenen Land: Michael Fisch lehrt in der ägyptischen Hauptstadt Kairo Neuere Deutsche Literatur, Komparatistik und Philosophie - und gibt Denkanstöße für mehr Toleranz. Auch von hilfreichen Arabischkenntnissen erzählt er in Teil zwei der neuen Serie zur weltweiten Arbeit der DAAD-Lektoren.

Muslimbruderschaft oder Militärregime – auf welcher Seite stehst du? In Ägypten verlaufen die Fronten quer durch die Gesellschaft. „Das Land ist gespalten“, sagt Michael Fisch. Der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller ist seit September 2012 als DAAD-Lektor und Visiting Full Professor an der Helwan University und der Cairo University in Kairo tätig. „Die Spaltung geht hinein bis in die Seminare“, erzählt er. „Wenn ich da politisch Stellung beziehen würde, hätte ich die eine Hälfte gegen mich.“ Allerdings seien die Universitäten, berichtet er, so etwas wie Rückzugsorte für die jungen Ägypter, hier könnten sie sich weitgehend der staatlichen und auch der familiären Kontrolle entziehen. „Ich versuche daher lieber über Literatur und Philosophie neue Impulse zu geben und integrativ zu wirken, damit die Studierenden miteinander ins Gespräch kommen. Wir lesen zum Beispiel Hegel und Kant, Kleist und Lessing.“ Von Lessings berühmter Ringparabel aus „Nathan der Weise“ könnten die Studierenden viel über Toleranz lernen. Als Homme de Lettres ist Michael Fisch davon überzeugt, dass in deutscher Philosophie und Literatur die großen Menschheitsfragen verhandelt werden und von dort auch für aktuelle Konflikte wertvolle Denkanstöße kommen können. Fisch hat Germanistik und Philosophie studiert, wurde bei Gert Mattenklott in Komparatistik promoviert und hat neben Werken zu seinen Forschungsschwerpunkten (unter anderem Biografie und Bibliografie, Textologie und Poetologie, Strukturalismus und Texttheorie) auch Romane und Gedichte verfasst.

Ein anderer, positiver Blick auf Deutschland

Lange bevor er als DAAD-Lektor nach Kairo ging, hat sich Michael Fisch für die arabische Welt interessiert. „Früher habe ich als Rucksacktourist die Maghreb-Länder bereist“, erzählt er. „Meine Arbeit als Lektor hat dieses private Interesse professionalisiert.“ Vor seiner Zeit in Kairo war er drei Jahre als DAAD-Lektor an der Université de la Manouba in Tunesien tätig und erlebte den Sturz des Regimes Ben Alis und den Umbruch des Landes mit. „Das Rückkehrstipendium des DAAD habe ich dann für einen Lehr- und Forschungsaufenthalt und die Vertiefung meiner Kenntnisse in Arabistik an der Freien Universität Berlin bei Angelika Neuwirth genutzt.“ Grundkenntnisse in der arabischen Sprache sind für ihn eine unabdingbare Voraussetzung, um sich im Gastland einzuleben. „Ich fühle mich sehr gut integriert“, sagt Fisch. Das liegt nicht nur daran, dass er als Gastprofessor in verschiedenen ägyptischen Hochschulen gleichberechtigt in Prüfungskommissionen sitzt, sondern auch daran, dass er sich mit den Menschen auf der Straße und im Café unterhält. Die Ägypter bringen Deutschland große Sympathie entgegen: „Sie haben ein positives Bild von uns. Sie sehen Deutschland als ein modernes und weltoffenes Land, das in Wissenschaft und Ökonomie stark ist. Dass eine Bundeskanzlerin dieses Land so erfolgreich führt, beeindruckt die oft noch patriarchalisch geprägten Ägypter und hat das positive Image nur noch verstärkt“, berichtet Fisch. „Ihre Sicht hat auch meine Sicht auf Deutschland verändert.“

Von politischer Stabilität und einem funktionierenden Rechtsstaat ist sein Gastland derzeit noch weit entfernt. Fisch berichtet von zwei Bombenanschlägen an der einen und einer Massenevakuierung an der anderen Universität, die er miterlebt hat. Seiner Zuneigung für Land und Leute tut das keinen Abbruch: „Ich arbeite vor allem gerne mit den Studierenden. Man spürt bei ihnen Hoffnung und Kraft“. Ägypten betrachtet er inzwischen als seine „zweite Heimat“.

Claudia Wallendorf (18. August 2014)