"Es gibt noch viel Potenzial"
Felix Rettberg
Verena Shifferman: "Israel ist das einzige Land der Region, mit dem der Austausch weitgehend ausgeglichen ist"
Warum Deutschland für Israelis ein Top-Studienstandort ist, weiß Verena Shifferman vom neuen DAAD-Büro in Tel Aviv. Im Interview erläutert sie auch, weshalb das große Interesse am akademischen Austausch auf Gegenseitigkeit beruht.
Frau Shifferman, was gab den Ausschlag für die Eröffnung des DAAD-Informationszentrums im März 2014 in Tel Aviv?
Mit der Gründung des Büros in Tel Aviv tragen wir einerseits der Tatsache Rechnung, dass es mit keinem Land der Region so intensive Wissenschaftsbeziehungen wie mit Israel gibt, andererseits wollen wir gezielt die starke Mobilität israelischer Studierender unterstützen, die inzwischen Deutschland als „top destination“ entdeckt haben. Intensive Beratung und Betreuung im Heimatland sind aus unserer Sicht zentrale Voraussetzungen für ein erfolgreiches Auslandsstudium.
Wie gut wird Ihr Angebot bisher angenommen – und wer kommt zu Ihnen?
Seit der Eröffnung bieten wir monatlich im Goethe-Institut Tel Aviv Informationsveranstaltungen zum Thema „Studium in Deutschland“ mit wechselnden Studienschwerpunkten an. Diese werden durch Beratungssprechstunden im Informationszentrum ergänzt: Junge Israelis, die sich noch im Militärdienst befinden, Studierende und Promovierende sowie Nachwuchswissenschaftler nehmen dieses Angebot mit großem Interesse auf. Außerdem nimmt das Büro an den „International Days“ der israelischen Universitäten teil und informiert dort über Studien- und Stipendienmöglichkeiten. In den nächsten Monaten sind weitere Formate geplant.
Laut einer OECD-Studie entscheidet sich schon jetzt fast jeder zehnte Israeli, der im Ausland studiert, für ein Studium in Deutschland. Ist da überhaupt noch „Wachstumspotenzial“?
Viele Israelis sind bei einem ersten Gespräch äußerst überrascht, dass es in Deutschland in der Regel keine Studiengebühren gibt. Erst aufgrund dieser Information ziehen es viele überhaupt in Betracht, ihr Studium in Deutschland aufzunehmen oder fortzuführen. Ich sehe es als wichtigen Ansatzpunkt, an einem Studium Interessierte zu erreichen, die sich aufgrund ihrer finanziellen Voraussetzungen nie an ein Studium im Ausland gewagt hätten und im Extremfall selbst in ihrem Heimatland Israel erst einige Jahre arbeiten müssen, bevor sie sich ein Studium leisten können. Das Wachstumspotenzial ist hier noch lange nicht ausgeschöpft.
Berlin ist ein Magnet für viele – hat die deutsche Hochschullandschaft auch abseits der Metropole Pluspunkte, die Israelis besonders interessieren?
Berlin weckt sicher bei vielen Israelis das Interesse an Deutschland und kann häufig als erster Berührungspunkt bezeichnet werden. Aber Deutschland hat neben Berlin auch viele andere wichtige Hochschulstandorte zu bieten – auch in diesem Prozess kann das IC wichtige „Aufklärungsarbeit“ leisten. Letztendlich sind es die im Vergleich zu Israel niedrigen Lebenshaltungskosten und die im Vergleich zu anderen potenziellen Studienorten im Ausland kurzen Reisewege, die ein Studium in Deutschland so attraktiv machen – egal ob in Berlin oder in einer relativ kleinen Universitätsstadt.
Gibt es bestimmte Fächergruppen oder Felder, für die Sie im deutsch-israelischen Studierendenaustausch besonders gute Chancen sehen?
Humanmedizin, Naturwissenschaften und Sprach- und Kulturwissenschaften erfreuen sich großem Interesse. Außerdem sollten künstlerische Fächer im Bezug auf den Austausch nicht vernachlässigt werden – hier gibt es ein großes Potenzial, dem es sich in Zukunft zu widmen gilt.
Wie groß ist eigentlich umgekehrt das Interesse von Deutschen in Israel zu studieren oder zu forschen?
Israel ist das einzige Land in der Region Nahost/Afrika, mit dem der Austausch weitgehend ausgeglichen ist. Man kann also auch auf deutscher Seite von großem Interesse sprechen. Dies zeigt sich beispielsweise an der Anzahl der in den letzten Jahren vom DAAD Geförderten: 2009 wurden 249 Deutsche mit einem Stipendium nach Israel gefördert, 2012 waren es bereits 367. Viele Deutsche interessieren sich besonders für Masterstudiengänge in den Sozialwissenschaften und in der Psychologie, aber auch künstlerische Fachrichtungen spielen eine Rolle.
Ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit ist auch die Hochschulzusammenarbeit mit akademischen Partnern in Israel. Wo möchten Sie neue Akzente setzen?
Israelische Hochschulen sind für deutsche Universitäten und Forschungseinrichtungen Partner auf Augenhöhe. Die Kooperation ist grundsätzlich in allen Fachbereichen interessant, obwohl aktuell die Geistes- und Sozialwissenschaften dominieren. Ich denke, dass wir also vor allem in den Natur- und Ingenieurwissenschaften noch Potenzial haben. Wenn das IC Tel Aviv hier einen Beitrag zum „match-making“ leisten kann, wäre ich sehr froh.
Was verbindet Sie persönlich mit Israel?
Ich kam mit 16 Jahren im Rahmen eines Schüleraustauschs zum ersten Mal nach Israel und in den folgenden Jahren haben mich Land und Leute nicht mehr losgelassen: Es folgten viele private Reisen, aber auch die Teilnahme an einer Sommeruniversität in Beer Sheva und ein Praktikum bei einer politischen Stiftung. Während eines Forschunsgaufenthalts für meine Magisterarbeit lernte ich meinen zukünftigen Mann in Tel Aviv kennen und bin 2008 nach Israel gezogen. Nachdem ich den deutsch-israelischen Austausch so seit Jahren quasi jeden Tag aufs Neue lebe, freue ich mich sehr, nun im Rahmen meiner Arbeit am Informationszentrum Tel Aviv auf beruflicher Ebene zu diesem Austausch beitragen zu können.
Das Interview mit Verena Shifferman ist ursprünglich erschienen auf: www.deutschland.de
Janet Schayan (22. August 2014)