DAAD in Russland: ''Das wirft man nicht so ohne Weiteres weg''
DAAD
Teilnehmer der "4. Deutsch-Russischen Woche des jungen Wissenschaftlers"
Wie kann das sein? Unter dem Einfluss der Ukraine-Krise haben sich die deutsch-russischen Beziehungen in der Politik zuletzt merklich verschlechtert – der akademische Austausch blüht jedoch geradezu auf: Erst Anfang September wurde in Kasan das „Deutsch-Russische Institut für innovative Technologien (GRIAT)“ eröffnet. Auch das Interesse an der „4. Deutsch-Russischen Woche des jungen Wissenschaftlers“ in St. Petersburg war auf beiden Seiten groß. Dr. Gregor Berghorn, Leiter der DAAD-Außenstelle Moskau und des DWIH Moskau, spricht im Interview über die Situation in Russland und schildert, welche Veränderungen er von der tiefgreifenden Reform der russischen Hochschullandschaft erwartet.
Herr Dr. Berghorn, wie erklären Sie sich den florierenden akademischen Austausch in Zeiten der politischen Krise?
Unsere russischen Partner gehören zu einer Elite, die um den Wert langfristig gewachsener Kontakte weiß und den sachorientierten Dialog sucht. Wir arbeiten mit Menschen zusammen, die selbstständig und differenziert denken und an einem Aufrechterhalten der Kontakte zu Deutschland und dem übrigen wissenschaftlichen Ausland interessiert sind. Es war manchmal schwierig, die verschiedenen Kooperationen in den vergangenen Jahren aufzubauen – das wirft man nicht so ohne Weiteres weg. Wir erleben in diesen Krisenzeiten, dass der Dialog in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur viel eher möglich ist als in Wirtschaft und Politik. Die „Woche des jungen Wissenschaftlers“ hat aber auch aus einem anderen Grund noch an Bedeutung gewonnen: Im Zuge der aktuellen Reform der russischen Hochschulen und der Akademie der Wissenschaften setzt sich die Erkenntnis durch, dass man der jüngeren Generation die Türen öffnen muss. Junge Akademiker in der Russischen Föderation erhalten so neue Perspektiven. Begleitet von erfahrenen Wissenschaftlern beider Länder haben die Teilnehmer der diesjährigen „Woche des jungen Wissenschaftlers“ den fachbezogenen Austausch gepflegt und viele Gemeinsamkeiten entdeckt. Aus diesen Begegnungen können die Kooperationen der Zukunft entstehen.
Was waren für Sie die Höhepunkte der diesjährigen „Woche des jungen Wissenschaftlers“?
Ein Höhepunkt war der Vortrag von Professor Martin Schulze Wessel vom Lehrstuhl für die Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität zur Imperienforschung. Die Methodik zur Erforschung der Geschichte moderner Imperien gab gerade den jungen russischen Wissenschaftlern Gelegenheit zu lebhaften Nachfragen. Ein weiterer Höhepunkt für mich war der Vortrag von Professor Aleksandr Kubyshkin von der Universität St. Petersburg zum Thema „Russia and Central America. Forgotten Past, Uncertain Future“. Er hat eindrucksvoll veranschaulicht, wie vielfältig die Beziehungen der Sowjetunion nach Afrika, Mittel- und Südamerika waren – die Sowjetunion war viel globaler aufgestellt als das heutige Russland. Der Vortrag hat zu vielen Fragen der russischen und deutschen Wissenschaftler angeregt. Ein Grund war auch, dass das Thema in Westeuropa völlig aus dem Blick geraten ist. Das grundsätzliche Anliegen der „Wochen des jungen Wissenschaftlers“, vielfältige Perspektiven zu entwickeln, wurde auch in diesem Jahr mit unserem geschichtswissenschaftlichen Schwerpunkt gut aufgegriffen. Das Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren hat natürlich unsere Themenwahl beeinflusst. Um aber eigene Akzente zu setzen, haben wir mehrere Weltregionen – von Lateinamerika über Europa bis Ostasien – unter den Gesichtspunkten von Geschichte, Politologie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften betrachtet. Im Anschluss an alle Vorträge haben sich sehr angeregte Diskussionen entwickelt. Dieser Austausch war ein großer Gewinn, auch weil der Blick auf die Geschichte in Russland oft viel stärker von Pathos geprägt ist als in Deutschland.
Sie haben die tiefgreifende Reform der russischen Wissenschaftslandschaft angesprochen. Wie nimmt die Jugend diese Umbrüche wahr?
Viele junge Wissenschaftler sehen durch die Reform endlich realistische Karriereperspektiven. Die Akademie der Wissenschaften hat erst vor Kurzem angekündigt, rund 170 Institutsleiter, die schon längst im Rentenalter sind, nun auch tatsächlich in den Ruhestand zu schicken. Die riesigen Reformen müssen aber schnell greifen, sonst droht eine Erosion der Wissenschaftslandschaft. Die Nachfrage nach Auslandsstudien wächst enorm. So ist ein dreijähriges Studium in Deutschland ohne Studiengebühren nicht unbedingt teurer als ein gebührenfinanziertes Studium in Russland. Zudem hat die Russische Föderation mit einer alarmierenden Auswanderungswelle zu kämpfen. Älteren russischen Wissenschaftlern fehlt wiederum nach dem Ausscheiden aus dem Beruf oft die finanzielle Absicherung. Angesichts schwieriger sozialer Umstände ist es natürlich nicht einfach, durchgreifende Reformen umzusetzen. Aber es herrscht die Einsicht vor, dass dies die letzte Gelegenheit für eine dringend nötige Umgestaltung der Wissenschafts- und Hochschullandschaft ist.
Was bedeuten die Reformen für den DAAD?
Einige russische Hochschulen werden im Zuge der Reformen aufgelöst oder mit effizienteren Universitäten zusammengelegt. Die Gruppe der Hochschulen, mit denen wir zusammenarbeiten, wird sicherlich kleiner werden. Auch angesichts dieser Entwicklung wollen wir die Vermittlung der deutschen Sprache an den russischen Hochschulen sichern. Andererseits werden aus den Reformen Hochschulen mit wesentlich prägnanteren Profilen und neuen finanziellen Mitteln hervorgehen, auch im Hinblick auf internationale Kooperationen. Um diese Entwicklungen aufzugreifen, bereiten wir bereits ein neues Stipendienprogramm vor. In der russischen Bildung und Wissenschaft ist der Drang zur Internationalisierung ungebrochen; die Hochschulen kommen schon jetzt verstärkt auf den DAAD zu. So sind wir trotz der aktuell schwierigen Rahmenbedingungen in den deutsch-russischen Beziehungen derzeit in einer guten Situation.
Interview: Johannes Göbel (20. November 2014)