Ladislao-Mittner-Preis 2014: „Tyrannei des Schönen“

DAAD

Francesca Iannellli bei der Verleihung des Ladislao-Mittner-Preises 2014

Philosophie, Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte verbindet Dr. Francesca Iannelli: Die Wissenschaftlerin forscht an der Universität Roma Tre zur italienischen und deutschen Ästhetik. Für ihre Arbeit wurde Iannelli im November 2014 mit dem Ladislao-Mittner-Preis ausgezeichnet.

Frau Dr. Iannelli, zu Ihrem Forschungsschwerpunkt zählt die Ästhetik des deutschen Idealismus. Was fasziniert Sie an der Erforschung des „Schönen“?

Francesca Iannelli: Die konventionelle Deutung des Schönen als harmonisches Zusammenspiel ist nach dem künstlerischen Experimentieren des 20. Jahrhunderts immer prekärer geworden. In der Postmoderne versuchen sich Künstler wie Marina Abramović sogar ganz von der Tyrannei des Schönen zu befreien. Eine Abwendung vom klassisch „Schönen“ habe ich allerdings bereits bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel entdeckt – deshalb liegt mein Fokus eher auf der Kategorie des Hässlichen. In meiner Promotion habe ich anhand von Hegels Vorlesungen über die Ästhetik gezeigt, dass er zu Unrecht als klassizistischer Vertreter der Philosophie der Kunst angesehen wurde. Wie Mitschriften seiner Studenten der Berliner Zeit belegen, ließ sein Interesse für die schöne Kunst von Jahr zu Jahr nach.

Schon vor Ihrer Promotion an der Universität Roma Tre und der Fernuniversität Hagen haben Sie in Deutschland geforscht. Was verbindet Sie heute mit Deutschland? 

Ich habe fünf Jahre lang an der Ruhr-Universität Bochum und der Fernuniversität Hagen geforscht und fahre immer wieder nach Deutschland, um meine Recherchen durchzuführen. Für Hegelianer ist Bochum eine echte Pilgerstätte. Das Hegel-Archiv der Ruhr-Universität zieht jedes Jahr zahlreiche internationale Forscher an – und damit natürlich auch mich. Dort hatte ich die Möglichkeit, auch unveröffentlichte Texte zu studieren wie beispielsweise Teile von Hegels Vorlesungen über die Ästhetik. Ich bin mit meiner Forschung zu Hegel noch lange nicht am Ende, vermutlich werde ich mich mein ganzes Leben lang mit ihm und seiner Philosophie beschäftigen. Daher ist Deutschland für mich eine zweite geistige Heimat. Zudem habe ich mich auch mit anderen deutschen Philosophen und Kunsthistorikern des 18. und 19. Jahrhunderts auseinandergesetzt, von Winckelmann und Goethe bis Vischer und Aby Warburg. Aktuell halte ich an der Universität Roma Tre Vorlesungen über die Ästhetik des deutschen Idealismus und dessen Rezeption im 20. Jahrhundert in Italien, Deutschland und den USA.

Welche Rolle spielen Interdisziplinarität und Internationalität für Ihre Arbeit?

Beides ist für mich sehr bedeutsam. Ich halte es für unbedingt notwendig, an der Grenze zu anderen Wissenschaften wie Kunstgeschichte und Archäologie zu forschen. Ich fürchte und bedauere das Sektierertum der Disziplinen. Gleiches gilt für die Internationalität: In Bochum und Hagen habe ich von Anfang an in einem internationalen Team mit Wissenschaftlern aus Korea, Frankreich und Ungarn gearbeitet, und etwas anderes kann ich mir auch für die Zukunft nicht vorstellen. Insbesondere in Bezug auf ästhetische Begriffe wäre für mich eine Kooperation mit Forschern aus Afrika und Asien sehr spannend: Unser abgenutzter Begriff des Klassischen kennt beispielsweise keine vergleichbare Tradition in zahlreichen Ländern.

Als Preisträgerin haben Sie die Möglichkeit, einen Monat in Deutschland zu forschen. Wo werden Sie Ihre Zeit als DAAD-Stipendiatin verbringen?

Ich möchte in Berlin mein aktuelles Buch zu „Friedrich Theodor Vischer und Italien“ beenden, das nächstes Jahr erscheinen soll. Ich beschreibe Vischers Schwierigkeiten, mit seiner Philosophie Anerkennung in Italien zu finden und die damit verbundene negative Rezeption seiner Werke. Zudem möchte ich meinen einmonatigen Aufenthalt dazu nutzen, mit anderen Wissenschaftlern ins Gespräch zu kommen. Gerade in Berlin gibt es viele hervorragende Forscher, die sich mit der Philosophie der Kunst und der Archäologie beschäftigen.

Interview: Christina Pfänder (26. November 2014)

Weitere Informationen

Der Ladislao-Mittner-Preis

Im Jahr 2002 rief der DAAD einen Preis für italienische Deutschlandstudien ins Leben. Seitdem wird der Ladislao-Mittner-Preis jährlich in wechselnden Disziplinen an einen Wissenschaftler aus Italien verliehen, der mindestens ein herausragendes Werk mit Deutschlandbezug veröffentlicht hat. 2014 wurde der Preis an zwei Wissenschaftlerinnen im Fach Philosophie vergeben. Er ist mit 5.000 Euro sowie einem Stipendium für einen einmonatigen Forschungsaufenthalt in Deutschland dotiert und wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanziert. Dr. Laura Anna Macor, die zusammen mit Dr. Francesca Iannelli ausgezeichnet wurde, hat „DAAD Aktuell“ bereits in einem Interview vorgestellt.

„Deutschland ist mein erster Bezugspunkt“ – Interview mit Dr. Laura Anna Macor

„Premio Ladislao Mittner“

Francesca Iannelli