„Die Absolventen fassen auf dem Arbeitsmarkt sehr schnell Fuß“
Sander de Wilde
DAAD-Generalsekretärin Dorothea Rüland in Brüssel
2014 konnte der DAAD mit der Eröffnung der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul und des „Deutsch-Russischen Instituts für innovative Technologien“ (GRIAT) in Kasan herausragende Erfolge in der Transnationalen Bildung (TNB) feiern – ein Bereich, der auch jenseits solcher Großprojekte zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Dr. Dorothea Rüland, Generalsekretärin des DAAD, sprach in einem Interview am Rande einer DAAD-Veranstaltung in der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU in Brüssel über die Erfolgsfaktoren des deutschen TNB-Ansatzes.
Frau Dr. Rüland, die Transnationale Bildung wird zu einem neuen Modell der internationalen Hochschulzusammenarbeit. Wie wichtig ist sie für die deutschen Hochschulen?
Dorothea Rüland: Die deutschen Hochschulen sind international gut aufgestellt. Doch durch transnationale Bildungsprojekte können die Hochschulen strukturell einen ganz anderen Zugang zur Zusammenarbeit mit anderen Ländern finden. Sie können Curricula und Studiengänge gemeinsam entwickeln und ihre Professoren im Ausland lehren lassen. Hinzu kommt, dass sie Studierende zunächst in ihren Heimatländern ausbilden und sie später auch als Masterstudierende oder Doktoranden für Deutschland gewinnen können.
Aktuell dominieren anglo-amerikanische Projekte den globalen Bildungsmarkt. Was macht Deutschland anders?
Der deutsche Ansatz unterscheidet sich stark vom anglo-amerikanischen. Wichtig ist, dass die meisten deutschen transnationalen Bildungsprojekte aus Partnerschaften entstanden sind. Eine andere Besonderheit ist unser Fokus auf Ingenieur- und Lebenswissenschaften. In den letzten Jahren hat außerdem die praxisorientierte Ausbildung deutscher Hochschulen international stark an Attraktivität gewonnen. Da heben wir uns von anderen Systemen ab. Denn für viele Länder ist es wichtig, dass ihre Absolventen sehr praxisorientiert ausgebildet werden und schnell auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen. Anders ist auch die Art der Finanzierung. Weil Deutschland keine Studiengebühren hat, spielt die öffentliche Finanzierung insbesondere in der Anfangsphase eine wichtigere Rolle, um die Struktur für derartige Großprojekte an deutschen Hochschulen möglich zu machen und die Mobilität zu finanzieren. Vor Ort übernimmt in den großen bi-nationalen Hochschulen in der Regel das Gastland den größten Teil der Kosten – zum Teil über 90 Prozent.
Welche Rolle hat bei solchen Projekten die deutsche Sprache?
In den meisten Projekten wird auf Englisch unterrichtet. Es ist uns aber sehr wichtig, dass die Studierenden Deutsch lernen. Wir geben ihnen – anders als andere Länder – die Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen. Deutsch ist der Schlüssel zu weiteren Kooperationen und auch zur Integration in Deutschland.
Wer profitiert mehr von der Transnationalen Bildung: deutsche oder internationale Studierende und Akademiker?
Das ist eine Win-Win-Situation. Die Gastländer bekommen sehr gute Absolventen, die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Wir können sehr gute Studierende an deutschen Hochschulen ausbilden.
Der Erfolg von TNB liegt ja nicht zuletzt in der zunehmenden Internationalisierung der Gesellschaft – wir sprechen von der globalen Wissensgesellschaft. Heißt das im Umkehrschluss, dass eine Ausbildung in einem Land und in einer Sprache in Zukunft nicht mehr reicht?
Das würde ich so nicht sagen, denn die Hochschulen internationalisieren sich ja nicht nur nach außen. Sie internationalisieren den Campus, indem sie ausländische Dozenten an die Hochschulen holen und interkulturelle Elemente in die Curricula einführen. Dadurch können sie Studierenden, die nicht ins Ausland gehen können oder wollen, internationale Perspektiven, Lehrmethoden und Inhalte vermitteln. Wir nennen das „Internationalisation at home“. Dennoch ist Auslandserfahrung zweifellos sehr wichtig. Deutschland ist ein Exportland. Das heißt, wir leben davon, uns in einem internationalen Umfeld bewegen zu können und das lernt man immer noch am einfachsten im Ausland.
Welchen Anteil hat Transnationale Bildung im Vergleich zu anderen Förderprogrammen des DAAD?
Das kann man unter zwei Aspekten sehen. Im Hinblick auf die Finanzierung ist das Fördervolumen nicht so umfangreich, aber der Zeit- und Arbeitsaufwand für TNB-Projekte ist groß. Die Projekte beschäftigen uns sehr, gerade in der Anfangsphase ist es oft nicht einfach, mit den Partnern auf einen „Nenner“ zu kommen. Wir müssen ja immer versuchen, zwei Systeme zur Deckung zu bringen: Ägypten – Deutschland, Jordanien – Deutschland, Türkei – Deutschland, Russland – Deutschland. Da ist viel Beratung und Unterstützung nötig. Die Projekte haben aber auch eine große Sichtbarkeit. Wenn man sich auf sie einlässt, will man sie erfolgreich an den Start bringen.
Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie im europäischen Kontext? Ist eine europäische Kooperation, ein europäischer Ansatz denkbar?
Das ist für mich noch ein offenes Feld. Es wird sehr stark auf das Interesse der Gastländer ankommen, weitere Länder einzubeziehen. Unsere Kapazitäten sind endlich. Diese Projekte kosten Geld und – was noch viel wichtiger ist – sie brauchen sehr gute deutsche Wissenschaftler, die bereit sind, sich zu engagieren. Vielleicht stoßen wir einmal an unsere Kapazitätsgrenzen, wenn die Nachfrage weiter wächst. Eine große Nachfrage besteht momentan zum Beispiel im mediterranen Raum und das ist ja eine Region, die viele Länder miteinander verbindet. Ich könnte mir eine Kooperation vorstellen, aber das ist noch Zukunftsmusik.
Interview: Katharina Strobel (18. Dezember 2014)
Enorm gestiegenes Interesse an Transnationaler Bildung
Fundierte Eindrücke von den Möglichkeiten Transnationaler Bildung (TNB) bekamen die Teilnehmer eines vom DAAD in Kooperation mit der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU in Brüssel organisierten Seminars. Der DAAD verzeichnet ein enorm gestiegenes Interesse an Kooperationen in diesem Bereich. Mit über 70 TNB-Projekten hat sich das deutsche Angebot mit seiner eigenen Ausrichtung in dem vom anglo-amerikanischen System dominierten Sektor etabliert. Dass neben dem kooperativen Ansatz die anwendungsbezogene Ausbildung ein großer Pluspunkt der deutschen Bildungsangebote ist, wurde auch während des Seminars deutlich. „Wir bekommen exzellentes Feedback aus dem Privatsektor“, erklärte Professor Natheer Abu-Obeid, Präsident der Deutsch-Jordanischen Universität (DJU) in Amman. Die DJU verzeichne von allen jordanischen Universitäten die höchste Beschäftigungsquote unter den Absolventen. Für ihn sei das der Beweis, dass das 2005 aus der Taufe gehobene transnationale Bildungsprojekt – eine von insgesamt acht bi-nationalen Universitäten, die der DAAD mit auf den Weg gebracht hat – funktioniert.