Zeichnerin Nanne Meyer: Wider den schnellen Erfolg

Walter Zimmermann

Nanne Meyer in ihrem Berliner Atelier

Wesen, Dinge, Orte, Karten – die Zeichnerin Nanne Meyer macht in ihren poetischen Linien außersprachliche Bedeutungen erfahrbar. Für ihr herausragendes künstlerisches Lebenswerk wurde die DAAD-Alumna nun mit dem renommierten Hannah-Höch-Preis des Landes Berlin ausgezeichnet.

Frau Meyer, in den Jahren 1982 und 1983 studierten Sie als DAAD-Stipendiatin an der Saint Martin’s School of Art in London. Ein erster Meilenstein Ihrer Karriere?

Nanne Meyer: Ja, in der Tat, das Stipendium war äußerst wichtig für mich, und ich bin heute noch dem DAAD dafür sehr dankbar. Kurz nach meiner Ankunft in London erschien mir zunächst vieles vertraut, aber je länger ich in England war, desto mehr differenzierten sich die kulturellen Unterschiede heraus. So wurden an der Saint Martin’s School of Art beispielsweise die humorvollen Aspekte meiner Arbeit nicht negativ bewertet, im Gegenteil – in Deutschland hatte man mich häufig dafür kritisiert. Der andere, offene und unkomplizierte Umgang mit künstlerischer Produktion in London ermutigte und bestärkte mich, meinen eigenen Weg zu finden. Ich begriff, dass alles relativ ist, dass es eine Vielfalt an künstlerischen Positionen gibt, und ich mir als Künstlerin meine eigene Haltung erarbeiten muss. Nach meinem DAAD-Stipendium bin ich weitere vier Jahre überwiegend in London geblieben. Erst der Villa-Massimo-Preis führte mich 1986 nach Rom.

Als ehemaliges Mitglied der Künstler-Auswahlkommission des DAAD und als Professorin an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin unterstützen Sie ihrerseits angehende Künstler. Wie gelingt es jungen Zeichnern, Sie zu begeistern?

Ist man selbst fasziniert, springt der Funke häufig über. Dabei geht es nicht darum, sich selbst und die eigene Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen, sondern den jungen Menschen die Augen für ihre eigenen Zugänge und Interessen zu öffnen und ihnen zu helfen, diese in Hinblick auf eigene Arbeitsweisen zu entwickeln und auszudifferenzieren.

Entscheidend ist das Verhältnis zur Welt, das Künstler im Zuge ihres Schaffensprozesses immer wieder befragen und ausloten. Wenn man im Denken und Wahrnehmen beweglich bleibt, ergibt sich fast zwangsläufig eine Reibung mit dem scheinbar Selbstverständlichen, mit Konventionen und Klischees. Das stete Befragen und auch Staunen erfrischt den alltäglichen Blick, der ja auch in der künstlerischen Arbeit Ausdruck findet. Es geht nicht um den schnellen Erfolg, sondern um das Entwickeln einer Haltung und einer damit verbundenen Arbeitsweise und ästhetischen Form. Das sind im Grunde Prozesse, die das ganze Leben andauern, die mit Disziplin, Beharrlichkeit und Arbeit verbunden sind, auch mit Zweifeln, aber eben auch mit sehr viel Freude. In meiner zwanzigjährigen Laufbahn habe ich mit vielen begabten, ernsthaften und erfolgreichen Studierenden gearbeitet, einige davon sind unterdessen bereits Professoren.

Sind Zeichnungen in unserer multimedialen Welt für junge Menschen überhaupt noch attraktiv?

In den 1990er-Jahren war es um die Zeichnung etwas stiller geworden. Damals waren die digitalen Medien noch relativ neu und deren Einsatz – auch in der Kunst – außergewöhnlich. Das hat sich geändert: Der Umgang mit Computern und Programmen ist mittlerweile eine alltägliche Kulturtechnik, ohne die niemand mehr auskommt. So ist die Sehnsucht nach dem Zeichnen wieder gewachsen, als ganzheitliches, unmittelbares Tun, das ein direktes Zusammenspiel von Denken, Sehen und körperlicher Aktivität ist. Das Zeichnen und die Zeichnung als künstlerisches, eigenständiges Medium haben in den letzten zehn Jahren an Aufmerksamkeit und Faszination gewonnen. Entsprechend hoch ist die Nachfrage für meine Lehrveranstaltungen.

Sie selbst sind seit den 1970er-Jahren der Zeichnung treu geblieben. Was reizt Sie immer wieder neu an diesem Genre?

Das Zeichnen ist dem Denken und Schreiben sehr nahe. Als serielles Medium entfaltet es sich im Gegensatz zur Malerei nicht Schicht um Schicht, sondern im Nebeneinander. Eine Zeichnung ist somit transparenter, der Prozess ist ablesbarer, wodurch die Zeichnung ihrem Wesen nach einen offeneren Charakter hat. Hochinteressant dabei ist, dass die Zeichnung in ihrer Beweglichkeit anschauliches Denken ist und freisetzt: Zeichnend wird sichtbar, was durch das sprachlich geleitete Denken alleine nicht erkennbar würde.

Ausgangspunkt Ihrer Zeichnungen sind meist Beobachtungen. Was unterscheidet den künstlerischen vom alltäglichen Blick?

Prinzipiell haben wir alle ähnliche Ausgangsbedingungen: Wir haben unsere Sinneswahrnehmungen, die Wortsprache und eine uns umgebende Realität. Entscheidend ist, mit wieviel und welcher Aufmerksamkeit wir dem begegnen und ob wir nach Formen suchen, unsere Erfahrungen zu filtern und zu visualisieren. Ob man die Phänomene an sich vorbeiziehen lässt oder anfängt, mit ihnen zu arbeiten, sie zu sammeln, zu transformieren, zu ordnen ist eine Frage des inneren Motors, der Haltung, der Konzentration, der Sensibilität – und der Arbeit.

Interview: Christina Pfänder (9. Dezember 2014)

WEITERE INFORMATIONEN

„Herausragendes Lebenswerk“

Nanne Meyer wurde 1953 in Hamburg geboren. Nach ihrem Studium an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg ging sie in den Jahren 1982/83 mit einem DAAD-Stipendium an die Saint Martin’s School of Art in London. 1994 wurde sie zur Professorin an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee berufen und gehörte in den Jahren 2002 bis 2011 der DAAD-Auswahlkommission „Bildende Künste, Design, Film“ an. Im November 2014 erhielt Nanne Meyer für ihr „herausragendes künstlerisches Lebenswerk“ den mit 60.000 Euro dotierten Hannah-Höch-Preis des Landes Berlin. In der mit dem Preis verbundenen großen Museumsschau im Kupferstichkabinett Berlin sind ihre Werke noch bis zum 15. Februar 2015 zu sehen.

Nanne Meyer

„Hannah-Höch-Preis für Nanne Meyer und Hannah-Höch-Förderpreis für Julia Oschatz“

Kupferstichkabinett Berlin