DAAD-Alumna Younghi Pagh-Paan: Komponistin und preisgekrönte Pionierin
Harald Rehling
Younghi Pagh-Paan: "Wir warten nicht, bis uns jemand anruft, sondern gehen raus und nehmen aktiv am musikalischen Leben der Gesellschaft teil"
Eines der bedeutendsten Festivals für Gegenwartsmusik, die Donaueschinger Musiktage, beauftragte Younghi Pagh-Paan 1979 mit der Komposition für ein Orchesterwerk. Ihre Komposition „SORI“ („Stimme, Klang, Ruf“) wurde im Jahr 1980 uraufgeführt und markierte ihren internationalen Durchbruch als Komponistin. 1994 erhielt sie als erste Frau im deutschsprachigen Raum eine Professur für Komposition. An der Hochschule für Künste Bremen lehrte Younghi Pagh-Paan bis zur ihrer Emeritierung 2011. Die Stadt Schwäbisch Gmünd ehrt die DAAD-Alumna nun für ihr Wirken als Professorin und Komponistin mit dem Preis der Europäischen Kirchenmusik 2015.
Frau Pagh-Paan, als DAAD-Stipendiatin haben Sie von 1974 bis 1979 an der Musikhochschule Freiburg Komposition, Musiktheorie und Klavier studiert. War Ihnen damals schon klar, dass Sie Komponistin und freischaffende Künstlerin werden wollen?
Younghi Pagh-Paan: Oh nein, eine Komponistin zu werden, hängt nicht von dem eigenen „Wollen“ ab. Ich wollte eigentlich nur mein Diplom machen und dann nach Korea zurückkehren, um dort Musik zu unterrichten. Dass ich dann den Kompositionsauftrag für Donaueschingen bekam, war schicksalhaft. Zuvor hatte ich 1977 den ersten Preis beim Komponistenseminar in Boswil in der Schweiz gewonnen. Der damalige Leiter der Donaueschinger Musiktage, Josef Häusler, ist dadurch auf mich aufmerksam geworden. In der 59-jährigen Geschichte der Donaueschinger Musiktage war ich die erste Frau, die den Auftrag für ein solches Orchesterwerk bekommen hat. Frauen sind in der Musik eher als Sängerinnen oder Instrumentalistinnen vorgesehen. Dirigat und Komposition oder auch Professuren für Komposition haben hingegen eine männlich geprägte Tradition. Das ist heute schon viel besser geworden, aber damals sagte man, dass ich so etwas wie eine Pionierin sei. Das Stipendium in Deutschland war eine große Chance für mich. Ich habe diese Chance wahrgenommen und immer fleißig und hart gearbeitet. Ohne den DAAD wäre ich heute eine Musiklehrerin und wahrscheinlich eine Großmutter in Korea.
Man sagt von Ihrer Musik, dass sie koreanische Tradition und westliche Techniken vereine. Woher kommt Ihr Impuls zu komponieren?
Aus der Liebe zur Musik, und ich habe darüber manches zu erzählen. Ich habe schon mit 13 Jahren angefangen, zu komponieren. Ich war elf Jahre alt, als mein Vater gestorben ist. Die intensive Beschäftigung mit Musik – Klavierspielen und das Vertonen von Gedichten – war für mich sehr wichtig. So konnte ich meine Gefühle in Musik verwandeln. Man bezeichnet mich oft als Brückenbauerin zwischen koreanischer und westlicher Musik. So würde ich mich nicht nennen. Natürlich bin ich einerseits geprägt von der musikalischen Tradition meiner koreanischen Heimat und andererseits von der Auseinandersetzung mit westlicher Musik. In meiner Arbeit verbinde ich gerne kulturelle und geistige Werte beider Kulturen, bei denen ich etwas Gemeinsames, Übergeordnetes erkenne. Aber ich imitiere nicht, sondern schaffe etwas Neues, neue Klänge, eine neue und einzigartige musikalische Sprache.
Haben Sie sich bewusst der Kirchenmusik zugewandt oder würden Sie sich grundsätzlich als spirituellen Menschen bezeichnen und keinen Unterschied zwischen geistlicher und weltlicher Musik machen?
Das Zweite trifft auf mich zu. Ich bin keine Kirchenmusikerin und spreche eher davon, geistliche Inhalte zu musikalisieren. Wenn ich komponiere, muss ich dem Werk eine Form geben. Dafür brauche ich Texte. Ich lese sehr gerne Lyrik, beschäftige mich aber auch mit philosophischen und geistlichen Schriften. Für die Verleihung des Preises der Europäischen Kirchenmusik schreibe ich gerade an einem A-cappella-Stück für die Gruppe „Singer Pur“. Dafür vertone ich die Psalmen 36 und 150. Das verbinde ich mit dem vierten und achten Spruch aus der Sammlung des Daodejing, die dem chinesischen Philosophen Laotse zugeschrieben wird. Darin geht es um das Wesen von Wasser als höchstes Gut. Der Grundgedanke, der diesen Texten unterschiedlicher Herkunft zugrunde liegt, ist für mich „Demut“. Wie komponiert man Demut? Demut musikalisch fassbar zu machen, das ist meine Aufgabe.
Für einen Künstler ist es wichtig, dass seine Werke auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Achten Sie bei der Besetzung einer Komposition bereits darauf, ob sie realisierbar ist?
Ja, das tue ich. Ich hatte Glück, dass ich immer Aufträge für Kompositionen bekommen habe und somit sicher sein konnte, dass meine Musik aufgeführt wird. Nur für die Schublade zu komponieren, ist sehr traurig. Als Professorin an der Hochschule für Künste Bremen habe ich deshalb das Atelier Neue Musik gegründet. „Atelier“ ist ein international verständlicher Begriff und betont den Werkstattcharakter. Das Atelier Neue Musik ist für die Studierenden eine Möglichkeit, Werke zu schreiben und diese einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Ich habe meinen Studenten erklärt, dass das zu ihrer zukünftigen Rolle gehört: Wir warten nicht, bis uns jemand anruft, sondern gehen raus und nehmen aktiv am musikalischen Leben der Gesellschaft teil.
Interview: Claudia Wallendorf (9. Februar 2015)
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„Preis der Europäischen Kirchenmusik“: Ehrung für eine außergewöhnliche Künstlerin
Younghi Pagh-Paan wurde 1945 in Cheongju, Südkorea, geboren. Von 1965 bis 1971 studierte sie an der Seoul National University, bis sie durch ein Stipendium des DAAD nach Deutschland kam. An der Musikhochschule Freiburg studierte Younghi Pagh-Paan ab 1974 bei Klaus Huber (Komposition), Brian Ferneyhough (Analyse), Peter Förtig (Musiktheorie) und Edith Picht-Axenfeld (Klavier) und schloss ihr Studium 1979 ab. Sie erhielt eine Vielzahl internationaler Auszeichnungen und wurde 2009 zum Mitglied der Berliner Akademie der Künste gewählt.
Mit dem Preis der Europäischen Kirchenmusik werden seit 1999 Interpreten und Komponisten für wegweisende Leistungen im Bereich der Geistlichen Musik ausgezeichnet. Zu den bisherigen Preisträgern zählen unter anderen die Komponisten Sofia Gubaidulina, Arvo Pärt und Krzysztof Penderecki, der Dirigent Helmuth Rilling, der Kammersänger Peter Schreier und der Thomanerchor Leipzig. Der Preis wird am 22. Juli 2015, während des Festivals Europäische Kirchenmusik (17. Juli bis 9. August), verliehen.