Handwerk des Übersetzens, Kunst der Verständigung
DAAD/Mathias Nofze
Konzentrierter Austausch: Szene beim deutsch-französischen Übersetzersymposium
Wann stößt Übersetzungsarbeit an ihre Grenzen? Wie beeinflusst sie „Wissenslandschaften“? Und was bedeutet das für den deutsch-französischen Austausch? Alles Fragen, denen sich ein Übersetzersymposium unter Beteiligung des DAAD in Paris stellte.
Angenommen, das in der Bibel beschriebene Pfingstwunder würde bis heute anhalten und alle gut sieben Milliarden Erdenbewohner sprächen dieselbe Sprache – wäre das wirklich wünschenswert? Im Gegenteil – meinen jedenfalls Übersetzer – und wissen den Schriftsteller Umberto Eco auf ihrer Seite. Die eigentliche Sprache Europas sei die Übersetzung, hat Eco einmal gesagt.
Um die Situation des Übersetzens und der Übersetzer, speziell im Austausch zwischen Deutschland und Frankreich, ging es bei einem Symposium in Paris, das im Deutschen Historischen Institut und an der „Fondation Maison des sciences de l’homme“ (FMSH) stattfand. Gefördert wurde es von der DVA-Stiftung, einer unselbstständigen Stiftung in der Robert Bosch Stiftung. Partner waren der DAAD sowie das deutsch-französische Übersetzungsprogramm der FMSH. Sechs Workshops unter Leitung renommierter Experten, unter ihnen Bernard Banoun, Josef Winiger und Dieter Hornig, legten den Fokus auf diesen ganz besonderen Kulturtransfer.
Was heißt eigentlich „Eigentlichkeit“?
Vincent von Wroblewsky, ein exzellenter Kenner und Übersetzer der Werke von Jean-Paul Sartre, ging in seinem Seminar „Der Einfluss der Übersetzung auf die Wissenslandschaft“ den verschlungenen Wegen nach, die Begriffe und ihre Bedeutungen via Übersetzung in der Philosophiegeschichte eingeschlagen haben. Ein berühmtes Beispiel ist der Begriff der „Eigentlichkeit“, eine zentrale Denkfigur bei Martin Heidegger. Dessen Buch „Sein und Zeit“ wurde in Frankreich zu einer Art Gründungsbibel des Existenzialismus. „Eigentlichkeit“ wurde dabei als „Authenticité“ übersetzt. Bei Jean-Paul Sartre erfuhr der Begriff der „Authenticité“ dann einen Bedeutungswandel, der viel stärker die Freiheit des Individuums in den Vordergrund rückte. Folge: Die Sartresche „Authenticité“ ließ sich nun nicht mehr als „Eigentlichkeit“ ins Deutsche rückübersetzen. Man verwendete stattdessen das Fremdwort „Authentizität“.
Höhenflüge und Zwischenlandungen
Praktische Übersetzungsübungen, Überlegungen zur „Unübersetzbarkeit“ oder zur Kritisierbarkeit von Übersetzungen standen im Zentrum anderer Workshops. En passant erfuhr man dabei von Projekten, die manchen Seminarteilnehmer umtreiben. Der eine will ein französisches Standardwerk zur deutschen Frühromantik („L’absolu littéraire“) übertragen, die andere möchte die auf Französisch vorliegenden Heidelberger Gespräche zwischen Jacques Derrida, Hans-Georg Gadamer und Philippe Lacoue-Labarthe ins Deutsche übersetzen. Soll der improvisatorische Duktus von Gadamer, geschuldet dessen etwas holprigem Französisch, beibehalten werden? Vermutlich müssen Tonaufzeichnungen zu Rate gezogen werden. So bietet der Arbeitsalltag von Übersetzern allerlei geistige Höhenflüge, zwingt aber auch zu Zwischenlandungen in den Niederungen praktischer Probleme, als da sind: die mäßige Bezahlung, das Zögern der Verleger, Übersetzungen unbekannter Werke zu finanzieren – oder die Konkurrenz zwischen freien Übersetzern und Kollegen, die in akademischen Positionen abgesichert sind. Auch über diese Fragen fand ein reger Austausch statt.
Kant statt Kittler
Und was bringt die Zukunft? Neben traditionellen Verlagen etablieren sich zunehmend Online-Plattformen als Publikationsmedien. Als Leuchtturmprojekt gilt die Internet-Zeitschrift „Trivium“, die von den „Éditions de la Maison des sciences de l'homme“ herausgegeben wird. Sie widmet sich, wie Hinnerk Bruhns, einer der beiden Redaktionsleiter, während der Tagung erläuterte, der Publikation geistes- und sozialwissenschaftlicher Essays und Aufsätze. Sie werden vom Deutschen ins Französische oder umgekehrt übersetzt und sind online kostenfrei unter trivium.revues.org zu lesen. Einen traditionellen Verlag zum Betreten von Neuland zu bewegen, erweist sich als schwieriger. Erfolgversprechendes von Kant, Habermas und Nietzsche wird bei Übersetzungen ins Französische nach wie vor bevorzugt, wie man im Vortrag der Soziologin Gisèle Sapiro erfuhr. Den Namen des Medienwissenschaftlers Friedrich Kittler hingegen wird man dagegen in den Programmen der französischen Verlage vergeblich suchen.
„Die Idee, Kittlers Werke ins Französische zu übersetzen, gibt es schon lange“, erklärte Franziska Humphreys, DAAD-Lektorin und zuständig für das deutsch-französische Übersetzungsprogramm bei den „Éditions de la Maison des sciences de l'homme“, „das kann aber nur ein großer Verlag übernehmen. Uns fehlen dafür die finanziellen Mittel.“ Bis jetzt allerdings hat sich noch kein französischer Verleger für Kittlers Opus magnum „Aufschreibesysteme“ begeistern lassen. Audrey Rieber hat sich deshalb entschlossen, wertvolle Basisarbeit zu leisten. Die Postdoktorandin an der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München will eine kleinere Arbeit von Kittler ins Französische übertragen, die Vorlesungsreihe „Optische Medien“. Vier Doktoranden hat sie in ihr Team geholt. Doch Übersetzen allein reicht nicht: Für den Namen Kittler muss das Rezeptionsfeld in Frankreich erst noch bereitet werden. Audrey Rieber will dafür Rezensenten gewinnen, eine Tagung organisieren und eine Sondernummer der Zeitschrift „Appareil“ herausgeben. Geldquellen hat sie auch schon erschlossen. Und stellt sich auf ein gewisses Maß an „Selbstausbeutung“ ein. Auf ein Pfingstwunder kann sie nicht warten.
Mathias Nofze (25. März 2015)