Deutsch-russischer Austausch: Kooperation als Konstante

RGGU

An der Russischen Staatsuniversität für Geisteswissenschaften (RGGU) fand im März 2015 die offizielle Eröffnung eines deutsch-russischen Graduiertenkollegs statt

In politisch schwierigen Zeiten kommt der Wissenschaft eine besondere Rolle zu: als Bindeglied, aktuell angesichts der aufgrund des Krieges in der Ukraine angespannten deutsch-russischen politischen Beziehungen. Über die weitreichende Förderung von Stipendiaten im akademischen Austausch hinaus unterstützt der DAAD auch die Arbeit zahlreicher herausragender Projekte in der Russischen Föderation. „Brücken bauen“ lautet die Aufgabe.

Die neueste Brücke bauen derzeit die Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg und die in Moskau ansässige Russische Staatsuniversität für Geisteswissenschaften (RGGU). Gemeinsam haben sie ein Internationales Graduiertenkolleg geschaffen, an dem in den nächsten neun Jahren drei Generationen von Doktoranden aus Deutschland und Russland zum Thema „Kulturtransfer und ‚kulturelle Identität‘ – Deutsch-russische Kontakte im europäischen Kontext“ forschen werden.

Katja Plachov, eine Freiburger Graduierte, gehört zu den ersten, die ihre Forschung am Kolleg aufgenommen haben. „Wir reden nicht nur über kulturellen Austausch, wir praktizieren ihn“, sagt die Germanistin. Den wissenschaftlichen Nachwuchs nennt sie ein „Bindeglied zwischen Deutschland und Russland“. Das Miteinander könne helfen, Grenzen zu überwinden, so Plachov.

Der DAAD zählt zu den Unterstützern des neuen Graduiertenkollegs. In erster Linie fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) das Gemeinschaftsprojekt. Mit Hilfe des Austauschdienstes wurde allerdings schon vor Jahren der Grundstein für die heute intensive Kooperation gelegt. Seit 2005 fördert der DAAD an der RGGU den Thomas Mann-Lehrstuhl für Deutsche Literatur- und Kulturwissenschaft und seit 2008 darauf aufbauend das Institut für Russisch-Deutsche Literatur- und Kulturbeziehungen (IRDLK). Es ist eine der größten DAAD-Fördermaßnahmen in der Germanistik weltweit. Die jährliche Förderung beläuft sich auf 220.000 Euro aus Mitteln des Auswärtigen Amtes.

„Adelsschlag für das Institut“

Die Studierenden am IRDLK können in dem zweijährigen Masterstudiengang „Literaturwissenschaft international: Deutsch-russische Transfers“ einen Doppelabschluss in Moskau und Freiburg erwerben. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer Promotion an der Vladimir Admoni-Doktorandenschule. Das Graduiertenkolleg der DFG sei nun der „Adelsschlag für das Institut“, sagt Dr. Claudia Nospickel, die im DAAD zuständig für deutsche Studienangebote in Europa und Zentralasien ist. Durch das Doktorandenkolleg hätten sich die Möglichkeiten zur wechselseitigen Teilnahme an Veranstaltungen und Doktorandenseminaren nochmals deutlich erhöht, erläutert sie. Auf die Entwicklung der Einrichtung im vergangenen Jahrzehnt ist man beim DAAD besonders stolz. „Die Kooperation wurde immer weiter vertieft“, sagt Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland. Die Zusammenarbeit baue Brücken in einer Zeit, in der der politische Dialog oft nicht möglich sei, so Rüland.

Auch für Professor Margret Wintermantel, Präsidentin des DAAD, ist es gerade heute wichtig, den wissenschaftlichen Dialog mit Russland zu pflegen. Sie setzt dabei auf den akademischen Austausch als Mittel einer weichen Diplomatie. Schon vor einigen Monaten erklärte sie mit Blick auf die Entwicklungen in der Ukraine und Russland: „Es ist die Aufgabe des Akademischen Austausches als Teil der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gerade in Zeiten von politischen Spannungen den Dialog aufrechtzuerhalten und einen Beitrag zur Verständigung und Konfliktlösung zu leisten.“

„Wir machen weiter“

An russischen Hochschulen fürchten viele Verantwortliche, der DAAD könnte sein Engagement aufgrund der Krise zurückfahren. „Die russische Seite ist sehr daran interessiert, die bestehenden Kanäle offen zu halten“, kann Dr. Gregor Berghorn, Leiter der DAAD-Außenstelle Moskau, aus seinem Arbeitsalltag berichten. „Die Wissenschaftler schätzen auch die menschlichen Beziehungen zu den deutschen Kollegen“, sagt er und beruhigt die russischen Partner: „Wir machen weiter.“

Das belegt die Unterstützung der RGGU, die zu den wichtigsten Maßnahmen des DAAD in Russland zählt. Es gibt aber noch andere Großprojekte: Eines startete erst zu Beginn des vergangenen Wintersemesters. Am neuen „Deutsch-Russischen Institut für innovative Technologien“ (GRIAT) in Kasan studieren junge Russen Ingenieurwissenschaften nach deutschen Lehrplänen und Standards. Vier Masterstudiengänge stehen ihnen dabei zur Auswahl, in den kommenden Jahren soll das Angebot auf 14 Studiengänge erweitert werden. Partner sind die Kasaner Nationale Technische Forschungsuniversität und auf deutscher Seite die Technische Universität Ilmenau und die Universität Magdeburg.

„Der beste Weg für menschliche Kontakte“

Im Rahmen der Außenwissenschaftsinitiative fördert der DAAD aus Mitteln des Auswärtigen Amtes zudem seit 2009 an der Staatlichen Universität St. Petersburg ein naturwissenschaftliches Exzellenzzentrum: Das „German-Russian Interdisciplinary Science Center“ (G-RISC) ist eine Kooperation mit der Freien Universität Berlin. Im G-RISC werden die Kompetenzen von rund 100 Arbeitsgruppen aus Physik, Physikalischer Chemie, Geophysik und Mathematik gebündelt.

Ebenfalls in St. Petersburg wird das „Zentrum für Deutschland- und Europastudien“ (ZDES) über den DAAD gefördert. Das Kooperationsprojekt mit der Universität Bielefeld bietet interdisziplinäre Perspektiven auf die Deutschland- und Europaforschung und ist damit in der Russischen Föderation eine Einrichtung von außergewöhnlichem Rang. Zugleich übernimmt das ZDES eine Vermittlerrolle zwischen russischen, deutschen und europäischen Forschern.

Die Bedeutung der „Brücke zwischen den Kulturen“ wurde bei der feierlichen Eröffnung des neuen Internationalen Graduiertenkollegs in Moskau mehrfach betont. In der Forschung gebe es keine Spannungen wie in der Politik. Stattdessen kämen junge Menschen zusammen und bildeten den Grundstein für eine gemeinsame Zukunft. Junge Wissenschaftler zu vereinen, ist nach den Worten von Dr. Michail Schwydkoj, außerordentlicher Vertreter des russischen Präsidenten in Fragen der internationalen kulturellen Zusammenarbeit, „der beste Weg für menschliche Kontakte“.

Oliver Bilger (25. März 2015)