Fortsetzung des Deutsch-Französischen Forscherdialogs

DAAD/Mathias Nofze

Bettina Severin-Barboutie vor dem Deutschen Historischen Institut in Paris

Die von der DAAD-Außenstelle Paris initiierte Veranstaltungsreihe widmete sich Geschichte und Gegenwart europäischer Flüchtlingsschicksale. Moderiert wurde der Dialog von der Historikerin und DAAD-Alumna Dr. Bettina Severin-Barboutie.

Das Flüchtlingselend lässt die Welt nicht los. Ob Naher Osten, Afrika oder Europa – überall sind Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, sei es aus religiösen, politischen oder wirtschaftlichen Gründen. Auf rund 45 Millionen taxieren die Vereinten Nationen die Zahl der Flüchtlinge weltweit im Jahr 2014. Unter dem Titel  „Flüchtlinge in Europa – Erfahrungen und Perspektiven“ widmete sich eine Diskussionsveranstaltung des DAAD Paris in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Institut Paris am 8. April 2015 der Flüchtlingsthematik. Moderiert wurde der Dialog von Dr. Bettina Severin-Barboutie, die derzeit als Feodor Lynen-Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung Gastwissenschaftlerin am Deutschen Historischen Institut ist. Die Veranstaltung bildete den Auftakt für den „Deutsch-Französischen Forscherdialog 2015“, eine Veranstaltungsserie des DAAD Paris, die den Beitrag deutsch-französischer Forschungsprojekte zur Beantwortung globaler Fragen herausstellt.

Barboutie wies einleitend darauf hin, dass Deutschland zu den Ländern zählt, die weltweit die meisten Flüchtlinge aufnehmen. Die Verantwortung, der Deutschland sich damit stellt, ist auch aus seiner nationalsozialistischen Vergangenheit zu erklären. Im Fokus des Forscherdialogs stand die komplexe und längst noch nicht aufgearbeitete Geschichte der Flüchtlinge und Entwurzelten, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa umherirrten und versuchten, ein neues Leben zu beginnen. Viele wurden repatriiert, manche auch gegen ihren Willen, etwa in die Sowjetunion, andere wiederum waren in ihrem Heimatland plötzlich unerwünscht. Paul Lenormand, Doktorand am „Centre d’histoire“ der Politikhochschule „Sciences Po Paris“, ging während des Forscherdialogs auf das Beispiel der Tschechoslowakei ein, die nach dem Zweiten Weltkrieg einen Kurs der Ethnisierung einschlug. War das Land zuvor ein multiethnischer Staat gewesen, sollte nun eine möglichst homogene Gemeinschaft gebildet werden: Ungarn, Polen und Sudetendeutsche wurden aus dem Land gedrängt. Nicht-tschechischsprachige Rückkehrwillige waren unerwünscht; das galt auch für überzeugte Kommunisten. Mit Blick auf die aktuelle Krise in der Ukraine verwies Lenormand  auf die Appelle der Regierungen Polens und Tschechiens an ihre Landsleute, vor allem aus dem Donbass, in die „Heimatländer“ zu kommen.

Informativer Einblick in die Arbeit des „International Tracing Service“

Um die Wege von Flüchtlingen nachvollziehen zu können, sind Dokumente nötig. Eines der größten Archive, der „International Tracing Service“, befindet sich im nordhessischen Bad Arolsen. Auf dem Podium beim Forscherdialog saß Professor Rebecca Boehling, Direktorin der Einrichtung. Sie gab einen spannenden und informativen Einblick in die Arbeit des Archivs. Rund 30 Millionen Dokumente über „Displaced Persons“ (DPs) sind hier versammelt. Gemeint sind vor allem Zwangsarbeiter und Zwangsverschleppte der nationalsozialistischen Herrschaft, die vornehmlich aus Osteuropa, aber auch aus ganz Europa stammten, außerdem Kriegsgefangene und Häftlinge in Konzentrationslagern. Bei den Dokumenten handelt es sich vorwiegend um Namenslisten aus Konzentrationslagern, Transportlisten, Schutzhaftbefehle, Totenbücher oder Arbeitsbücher von Zwangsarbeitern. Auch die berühmte Liste von Oskar Schindler lagert im ITS-Archiv. Seit 2007 sind diese Dokumente Forschern zugänglich. Das werde die „Einsicht in die Strukturen, Methoden und das Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen“ vertiefen, so Boehling.

Blick in die Zukunft

Zum Deutsch-Französischen Forscherdialog waren neben Historikern auch interessierte DAAD-Alumni mit anderem fachlichen Hintergrund eingeladen. So richtete die Diskussion den Blick in die Zukunft und fragte nach den Lehren, die aus der Auseinandersetzung mit der Geschichte gezogen werden können. Genau dies ist die Zielrichtung des „Forscherdialogs“, bei dem DAAD-Stipendiaten und Alumni die Möglichkeit erhalten, in ihrer Hochschulinstitution in Frankreich eine Diskussionsveranstaltung oder Konferenz zu einem Thema ihrer Wahl durchzuführen – gefördert mit Mitteln des DAAD. „Die geförderten Projekte eint“, so Christiane Schmeken, Leiterin des DAAD-Büros in Paris, „dass sie aktuelle, brennende Fragen aufgreifen und im Lichte deutsch-französischer Forschung beleuchten. Wir wünschen uns Veranstaltungen, die interdisziplinär ausgerichtet sind und den Brückenschlag zwischen Fachdiskurs und öffentlicher Debatte herstellen.“

Christiane Schmeken macht deutlich, dass die Veranstaltungsreihe Teil eines langfristigen Engagements der DAAD-Außenstelle ist: „Die Serie setzt unsere Bemühungen der letzten Jahre fort, Forscher beider Länder noch stärker ins Gespräch miteinander zu bringen. Zugleich sind nun erstmalig die Forscher selber die Akteure und definieren die Themen, über die sie sich mit Kollegen aus Deutschland austauschen möchten. Für uns ist dies auch ein Weg, noch stärker als bisher an Hochschulen in ganz Frankreich präsent zu sein.“ 

Mathias Nofze (15. April 2015)