Wege des Lehrens und Lernens
DAAD/Mathias Nofze
Die Teilnehmer des Jahresseminars der DAAD-Frankreich-Lektoren im idyllischen La Bégude-de-Mazenc
Mobilität und ihre unterschiedlichsten Facetten standen im Mittelpunkt des Jahresseminars der DAAD-Frankreich-Lektoren in der Nähe von Montélimar. Ein vielschichtiger Austausch, der von wertvollen Unterrichtserfahrungen bis zur faszinierenden Schriftsteller-Lesung reichte.
Jede Tagung zum Thema „Mobilität“ setzt das voraus, wovon sie handelt – Mobilität der Teilnehmer nämlich. Wie beim diesjährigen Treffen der DAAD-Frankreich-Lektoren, zu dem man nach La Bégude-de-Mazenc, unweit von Montélimar, reiste. Im „Foyer International des Etudes Françaises“, kurz FIEF, stand für drei Tage das Thema „Mobilität – unterwegs in geographischen, virtuellen und fiktionalen Räumen“ im Mittelpunkt. In dem verwunschenen Gemäuer mit seinem idyllischen Innenhof hätte man sich eigentlich auch romantisierenden Träumereien über ein entschleunigtes Leben hingeben können. Das straffe Tagungsprogramm ließ dafür allerdings nicht viel Zeit. Die Organisatoren – Benjamin Schmäling, Koordinator des Programms der Frankreich-Lektoren, und Peggy Rolland, Programmmanagerin an der Außenstelle Paris – hatten Experten aus Wissenschaft und Institutionen eingeladen, die für die theoretische Vertiefung des Themas sorgten. Welche Rolle „Mobilität“ in ihrer eigenen didaktischen Arbeit spielt, darüber berichteten einige Lektoren im Rahmen von Seminaren und Workshops und gewährleisteten damit den fachlichen Austausch unter Kollegen. Theorie und Praxis hielten sich somit die Waage.
Mit dem Handy unterwegs
Handy, Smartphone, Tablet: der elektronische Gerätepark, mit dessen Hilfe Lerninhalte vermittelt werden können, gewinnt an Bedeutung. Doch wie zum Beispiel ein Handy oder Smartphone konkret im Unterricht einsetzen? Ein Beispiel aus ihrer Praxis stellte Antje Dohrn vor. Die Lektorin an der Universität Bordeaux schickte ihre Studierenden mit dem Handy auf die Straße, um „Street-Art“ zu fotografieren. Mobiles Lernen traf dabei auf mobile Kunst. „Man begreift Zusammenhänge besser, wenn man sich selber einbringt“, lautet Dohrns Lernphilosophie. Nur ein Foto durfte jeder Studierende im Unterricht präsentieren. Das sollte dann auf Deutsch vorgestellt werden – je nach Sprachniveau als einfache Beschreibung oder in Form einer Geschichte.
Den theoretischen Hintergrund hatte zuvor Judith Seipold von der „London Mobile Learning Group“ in zwei Veranstaltungen geliefert. „Mobiles Lernen“ definierte sie – im Unterschied zu bekannteren Formen des E-Learnings – als „Lernen und Informieren unterwegs“ mittels Smartphone oder Tablet. Seipold warnte vor dem simplen „Aufsetzen“ von Technologie im Unterricht („Top-Down-Ansatz“), wenn es nicht von einer veränderten Didaktik begleitet wird.
Flüchtlingsbiografien
Eine ganz andere Seite des Phänomens „Mobilität“ beleuchtete Stefan Meier vom Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) in Paris. Er informierte über die Arbeit der Hilfsorganisation, die sich immer komplexer werdenden Flüchtlingsbewegungen gegenübersieht – wobei auf der definitorischen Ebene zwischen Flüchtlingen, Asylbewerbern, Binnenvertriebenen, Staatenlosen und Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden wird. 2014 betrug die Zahl der Flüchtlinge im engeren Sinne 13 Millionen weltweit, womit ein Höchststand seit 1996 erreicht ist.
Von hier ließ sich schnell der Bogen schlagen zum Problem der Identitätsfindung oder der „nomadischen Existenz“, wie sie in „interkultureller Literatur“ thematisiert wird. Bastienne Schulz, Lektorin am Campus Nancy von „Sciences Po“ Paris stellte in ihrem Seminar unter anderem den Roman „Der falsche Inder“ von Abbas Khider vor, der selbst auf eine abenteuerliche Flüchtlingsbiografie zurückblickt. Auch durch die Behandlung von „Kiez-Deutsch“ oder die lustigen Straßeninterviews des als „Alfons“ mit Puschel-Mikrofon bekannt gewordenen Comedian Emmanuel Peterfalvi lassen sich die Themen „Identitätsfindung“ oder „kulturelle Stereotypen“ in den Deutsch-Unterricht einbringen. Zugleich warb Bastienne Schulz für eine weitere Spielart des „mobile learning“, nämlich das „Padlet“, eine Art simultaner Pinnwand. Damit können Arbeitsgruppen zeitgleich ihre Anmerkungen auf eine Leinwand posten. „Meine Studenten sind ganz begeistert davon“, berichtete sie.
Lesung mit Anne Weber
Über „Mobilität in der deutschen Gegenwartsliteratur“ sprach während des Jahresseminars Silke Horstkotte, Privatdozentin an der Universität Leipzig. Am Beispiel von zwei Romanen von Ilija Trojanow zeigte sie, wie die Mobilitätserfahrungen des Erzählers eine neue „nomadische Erzählweise“ hervorbringen. Schließlich war noch die von der Kritik gefeierte Schriftstellerin Anne Weber zu Gast, die aus ihrem neuen Roman „Ahnen“ las. Darin beschreibt sie auf subtile Weise, wie sie das Leben ihres Urgroßvaters Florens Christian Rang zu rekonstruieren, vielleicht aber auch nur zu „ahnen“ versucht. Auch das ließ sich als literarische Form der Identitätsfindung auffassen. Eine ebenfalls sehr deutsche Geschichte stellte Monika Platz vor, Lektorin in Clermont-Ferrand. Die Dokumentation „Flucht in die Freiheit“, realisiert vom MDR, hatte sie gewinnbringend im Unterricht eingesetzt. Der Film schildert die Geschehnisse rund um die DDR-Flüchtlinge in der Prager Botschaft eindringlich und gefühlsbetont. Gerade die „emotionalisierte Darstellung“ habe einen Nerv bei ihren Studierenden getroffen, berichtete sie. Auch Reinhard Hargasser war angetan. „Der Film würde sich sehr gut in der Lehramtsvorbereitung unter dem Stichwort ‚Mythen und Helden‘ eignen“, meinte der Ortslektor an der Université de La Réunion. Die liegt übrigens 9.300 Kilometer von Paris entfernt im Indischen Ozean. Wenn das kein Zeichen von Mobilität ist.
Mathias Nofze (3. Juni 2015)