Sommertreffen der DAAD-Lektoren: Von Worten und Werten
DAAD/Eric A. Lichtenscheidt
Furios: Die Bachmann-Preisträgerin Nora Gomringer performte für die DAAD-Lektoren
Gesellschaftliche Umbrüche machen auch vor den Hochschulen in den jeweiligen Ländern nicht Halt. Zugleich sehen sich die DAAD-Lektoren, die weltweit die deutsche Sprache und Kultur vermitteln, mit neuen Erwartungshaltungen konfrontiert. Beim 27. Lektoren-Sommertreffen des DAAD Mitte Juli in Bonn tauschten sich 225 Lektoren aus 77 Ländern über ihre Erfahrungen im Ausland aus, nutzten das Fortbildungsangebot und lernten auch herausragende Persönlichkeiten des deutschen Kulturlebens kennen.
Seien es der Nahe Osten, die Auswirkungen des Arabischen Frühlings, der Konflikt in der Ost-Ukraine oder politische Entwicklungen in Afrika, Asien und Südamerika: „In vielen Ländern sind die Lektoren für uns Antennen und gerade in Krisenzeiten, angesichts der vielen Veränderungen im geopolitischen Umfeld, ein wichtiges Außennetzwerk des DAAD“, sagte Christian Müller, Direktor der Abteilung Strategie des DAAD, bei der Eröffnung des Lektoren-Sommertreffens in Bonn. „Außerdem sind sie Experten für Internationalisierung.“ Diese wichtigen Funktionen der Lektoren unterstrich auch DAAD-Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland. „Die weltpolitische Lage ist deutlich instabiler geworden“, resümierte sie, verwies aber auch auf positive Entwicklungen und nannte das Beispiel Kuba, wo seit Jahren eine Lektorin für den DAAD im Einsatz ist. Wie wichtig für das Auswärtige Amt, den größten Förderer des DAAD, neben der Aufnahme diplomatischer Beziehungen und dem Ausbau wirtschaftlicher Zusammenarbeit auch wissenschaftliche und kulturelle Kooperationen seien, zeige zudem die Tatsache, dass auch DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier auf seiner Reise nach Kuba Mitte Juli begleitete. Demokratisierung, so Rüland, wirke sich oftmals positiv auf den Bildungssektor in den betroffenen Ländern aus. Und den jeweiligen DAAD-Lektoren komme mit ihren regionalen Kenntnissen auch hierbei eine wesentliche Rolle zu.
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Die Mitglieder des weltweiten Netzwerks der DAAD-Lektoren nutzten das Sommertreffen nicht zuletzt für Fortbildung und Reflexion
Gleichzeitig stellten sich für den DAAD und seine Lektoren in der täglichen Arbeit neue Herausforderungen: „Die Tendenz geht weg von der klassischen Germanistik hin zum anwendungs- und berufsbezogenen Deutschunterricht“, sagte die DAAD-Generalsekretärin. Lektorin Philina Wittke, seit November 2013 Leiterin des DAAD-Informationszentrums in Johannesburg, bestätigte das: „Die Aussicht, dank guter Deutschkenntnisse bei einer der vielen deutschen Firmen in Südafrika arbeiten zu können, ist in einem Land mit hoher Arbeitslosigkeit ein gutes Argument, um Deutsch zu lernen.“ Das Interesse an klassischer deutscher Literatur spiele dabei naturgemäß kaum eine Rolle. „An den Lektorentreffen schätze ich vor allem den Austausch mit den Kollegen aus anderen Ländern“, sagte Wittke. „Man kann sehr viel lernen und bekommt viele Denkanstöße. Auch das Rahmenprogramm fand ich sehr interessant: Bei der DAAD-Sommeruniversität gab es brillante Vorträge. Mir gefällt es, wenn ich für meine Arbeit viel theoretischen Input bekomme und auch Zeit für Reflexionen aus Wissenschaft und Politik bleibt.“
Wertschätzung der Lektorenarbeit
„Beim Sommertreffen ein hochkarätiges Programm zusammenzustellen, das eine große Bandbreite aktueller Debatten und ganz unterschiedliche Vertreter des hiesigen Kultur- und Geistesleben präsentiert, ist uns sehr wichtig“, sagte Friederike Schomaker, DAAD-Expertin für die fachliche Lektorenbetreuung. „Das Treffen wird zusätzlich flankiert von anspruchsvollen fachwissenschaftlichen Fortbildungsseminaren. Dieses Angebot werden wir in Kooperation mit der Universität Bonn noch weiter ausbauen.“
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Christian Müller und Rudolf Stichweh: globale Entwicklungen im Blick
Professor Rudolf Stichweh, Dahrendorf-Professor für Theorie der modernen Gesellschaft und Direktor des Forum Internationale Wissenschaft der Universität Bonn, eröffnete das Programm mit einem Einblick in die soziologische Klassifizierung globaler politischer Modelle. An Demokratie und Autoritarismus zeigte er systematisch deren Varianten und Übergangsformen auf. Ein vielschichtiger Vortrag, der nicht zuletzt die zahlreichen Lektoren besonders ansprach, die in jungen Demokratien arbeiten.
Wertediskussion
Die Lyrikerin, Rezitatorin und erst vor Kurzem gekürte Bachmann-Preisträgerin Nora Gomringer hatte mit Schlagzeuger Philipp Scholz einen furiosen Auftritt. Ihr virtuoser Umgang mit Sprache, ihre Gabe, alle Tonlagen zu treffen, fand großen Beifall. Auch die Auswahl der von ihr vorgetragenen Texte inspirierte die Zuhörer: „Ich habe mir zwei Titel aufgeschrieben“, sagte Sarina Jobanian, Lektorin in Kroatien. „Den Text über den Klang des Deutschen und die Redewendungen kann ich vielleicht im Unterricht einsetzen.“
Einen ausgiebigen intellektuellen Schlagabtausch zum Thema „Pluralismus der Werte oder Pluralismus als Wert?“ lieferten sich der mit dem Ludwig-Börne-Preis 2015 ausgezeichnete Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Jürgen Kaube, und Professor Sighard Neckel von der Frankfurter Goethe-Universität. Abgeklärt-ironisch konstatierte Kaube geradezu einen Überfluss an Werten, der freilich relativ folgenlos bliebe, denn: „Werte sind gar nicht instruktiv“, sagte er. „Sie widersprechen einander und lösen keine Probleme.“ Das wollte Neckel, der hier den skeptisch-nachhakenden Part übernahm, so nicht stehen lassen: „Wir müssen schon genauer sagen, welche Werte wir meinen, ob sie zum Beispiel den Bereich des Guten und der Gerechtigkeit betreffen.“ Da gebe es in der Menschheitsgeschichte durchaus Fortschritte. Auf eine Sichtweise einigen konnten sich die Diskutanten nicht, dafür lieferten sie dem Publikum reichlich Stoff zum Nachdenken. Hölty-Preisträgerin Silke Scheuermann schließlich las aus ihrem Gedichtband „Skizze vom Gras“.
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Kollegialer Austausch: Trotz anspruchsvollen Programms blieb in Bonn genügend Zeit für persönliche Gespräche
Persönliche Kontakte
Neben Poesie und Politik gab es in den Workshops auch Informationen für die praktische Lektoren-Arbeit. Dr. Christian Pfeiffer, DAAD-Fachlektor Jura an der Universidad de Chile, stellte etwa die an der Universität Harvard entwickelte Methode des sachbezogenen Verhandelns, die „Harvard-Methode“, vor. Ziel dieser Verhandlungstechnik ist es, bei Interessenkonflikten durch sachliche Analyse und konstruktives Verhalten zu einem guten Ergebnis für beide Seiten zu kommen. Um die Methode erfolgreich anzuwenden, muss man zunächst erkennen, welchen Verhandlungsstil man selbst pflegt. „Ich stelle die Methode zunächst abstrakt vor. Dann bekommen die Teilnehmer die Möglichkeit, sie auszuprobieren“, erklärte Pfeiffer. „Anwenden kann man die Methode ganz allgemein in Konfliktsituationen.“ Die Lektorentreffen seien eine gute Möglichkeit, inhaltliche und administrative Fragen zur Arbeit zu klären, sagte er. „An erster Stelle steht jedoch für mich die persönliche Begegnung, sowohl mit anderen Lektoren als auch mit den Kollegen aus der DAAD-Zentrale. Es ist einfach sehr wichtig, auch persönliche Kontakte zu knüpfen“, erklärte Pfeiffer. Zumal die Lektorentreffen ja Raum für gesellige Veranstaltungen ließen. Und diese kamen auch in diesem Jahr nicht zu kurz.
Claudia Wallendorf (22. Juli 2015)