Berliner Künstlerprogramm: Die Kraft der Kunst in Krisenzeiten

Krzysztof Zieliński

Das Berliner Künstlerprogramm ist eines der angesehensten Stipendienprogramme weltweit

„Vorhang auf …“: Im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart stellte das Berliner Künstlerprogramm des DAAD zum Auftakt der neuen Kultursaison 18 neue internationale Gäste aus Film, Musik, Literatur und Bildender Kunst vor. Veranstalter und Künstler erinnerten an dem Abend an die wichtige Verantwortung künstlerischer Arbeit gerade in Krisenzeiten.

Was kann Kunst bewirken in einer Zeit, in der Tausende vor Krieg und Terror nach Europa fliehen und damit eine Krisensituation markieren, die immer weitere Kreise zieht? „Die Künste mit ihrem feinen Sensorium und antizipatorischen Denken erspüren und nehmen Vieles von dem vorweg, was sich der Allgemeinheit erst mit Verzögerung vermittelt“, sagte Dr. Dorothea Rüland, Generalsekretärin des DAAD, den neuen Gästen des Berliner Künstlerprogramms (BKP) in ihrer Begrüßungsrede. Auch Deutschland stehe angesichts der Flüchtlingswanderungen vor großen Herausforderungen, so die Generalsekretärin, aber diese Krisensituation berge vor allem Chancen. „Bildung, Wissenschaft und Kunst sind gefordert, Antworten auf konfliktreiche Konstellationen zu geben.“ Und so treffen die 18 internationalen Künstlerinnen und Künstler, die am 1. September 2015 der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, in Berlin auf eine Gesellschaft im Umbruch.

Eine wertvolle Addition von Wissen

„Wir brauchen Sie mit ihrem Blick auf die Welt und auf uns“, sagte Dr. Andreas Görgen, Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt. „Denn dieses Land lebt entscheidend davon, dass Menschen nach Deutschland kommen und selbstbewusst und behutsam ihren eigenen Blick in die Diskurse des Landes einflechten.“ Eine neue Kulturpolitik stehe in Deutschland an, deren Ziele mit dem vom Auswärtigen Amt und dem Land Berlin geförderten Berliner Künstlerprogramm besonders gut verfolgt würden. „Sie bringen uns kulturelles Wissen wie sonst kaum jemand“, sagte Görgen an die neuen Gäste des Berliner Künstlerprogramms gerichtet. „Sie erlauben es uns, unsere eigene Vorstellung von Ordnung in Frage zu stellen und wir arbeiten gemeinsam mit Ihnen daran, dass sich dieses Land nach außen und nach innen öffnet.“ Zu den Wissenschaften, deren Förderung im Fokus des DAAD liegt, addierten die Künste wertvolles Wissen hinzu, so der Tenor des Abends.

Bkp

Krzysztof Zieliński


 
Das BKP hat im Sommer berührende Videoportraits von allen 18 Gästen angefertigt

Eindrucksvoll zeigte sich das, als die amerikanische Dichterin Ellen Hinsey im Lauf des Abends im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart aus ihrem 2009 erschienen Gedichtband „Update on the Descent“ las. Hinseys künstlerische Auseinandersetzung kreise immer wieder um die Frage, warum Kain bis heute noch immer die Hand gegen Abel erhebt, erläuterte in ihrer Begrüßungsrede die Leiterin des BKP Katharina Narbutovič. Wer mehr über Hinseys Arbeit erfahren wollte, konnte das nach ihrem Auftritt im persönlichen Gespräch oder mit Hilfe eines Videoporträts tun. Von allen 18 Gästen hat das BKP im Sommer berührende Videoporträts angefertigt, die am Eröffnungsabend die Vielfalt ihrer Arbeiten präsentierten. „Wie kann man unter extremen Umständen mit Würde leben?“ fragt Ellen Hinsey darin und stimmt einmal mehr nachdenklich mit ihrem Statement, dass der Mensch auf Erden zur Gänze verantwortlich ist für seine Taten und die Suche nach einer neuen Ethik angesichts der Barbarei in der Welt von zentraler Bedeutung ist.

Eine einzigartige Chance

Wie Hinsey ist auch die libanesische Dokumentarfilmerin Eliane Raheb 2015 Gast im BKP. Ihr 2012 fertiggestellter, preisgekrönter Film „Sleepless Nights“ geht vor dem Hintergrund des libanesischen Bürgerkriegs ebenfalls universellen moralischen Fragen nach: Wie konnten all die Libanesen, die im Krieg gekämpft und getötet hatten, danach einfach wieder zu Bürgern werden?, fragt sie.

BKP neu 1

Krzysztof Zieliński

Aufmerksame Zuhörer bei der Vorstellung der Künstler

Für Eliane Rehab, die in Beirut lebt, ist der Aufenthalt in Deutschland eine einzigartige Chance. „Berlin ist für Künstler sehr reizvoll und erst hier fühlt man dann auch, wie wichtig der Raum ist, der einem über das Berliner Künstlerprogramm geboten wird“, sagte die Filmemacherin. „Ich kann aus der Distanz über meine Arbeit, mich selbst und über mein Land reflektieren und ich genieße jeden Moment.“ Die Künstlerin spürt die vielfältigen Hoffnungen und Erwartungen, die sich mit ihrem Gastaufenthalt verbinden; gern würde sie noch tiefer in die Berliner Gesellschaft eintauchen. Ihren bewegenden Film konnte sie bereits Studierenden der Kunsthochschule Kassel und in Berlin der deutschen Öffentlichkeit im Kino Arsenal vorstellen. „Außerdem strecke ich die Fühler nach einer deutschen Koproduktion für meinen nächsten Film aus“, sagte sie.

Wie Ellen Hinsey und Eliane Rehab setzen sich auch die anderen neuen Gäste mit zentralen Fragen auseinander, die ein Licht auf viele verschiedene Krisen werfen – ob kriegerische, gesellschaftliche oder persönliche. „Ich glaube, eine Krise wirkt sich immer überall in der Welt aus“, sagte Eliane Rehab. „Jeder sollte über Lösungen nachdenken.“ Wie Kulturpolitiker Andreas Görgen betonte, setze die künstlerische Auseinandersetzung überall auf der Welt wichtige Impulse für politische Veränderungen. An die Gäste gewandt, sagte er: „Wir bauen auf das auf, was Sie vorbereitet haben.“

Bettina Mittelstraß (03. September 2015) 

Berliner Künstlerprogramm

Forum des künstlerischen Dialogs

Das Berliner Künstlerprogramm (BKP) des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ist eines der angesehensten Stipendienprogramme weltweit für Künstlerinnen und Künstler in den Sparten Bildende Kunst, Literatur, Musik und Film. Seit 1963 ermöglicht es etwa 20 Stipendiaten im Jahr einen meist einjährigen Aufenthalt in Berlin und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur internationalen Repräsentanz zeitgenössischer Kunst in Berlin. Das Berliner Künstlerprogramm definiert sich als Forum des künstlerischen Dialogs, der kulturregionale und politische Grenzen überschreitet. Jährlich organisiert das BKP deutschlandweit etwa 100 Veranstaltungen zusammen mit seinen Gästen und vermittelt damit Positionen künstlerischer Avantgarde auf internationalem Niveau. Zentrum der Aktivitäten ist die daadgalerie in der Zimmerstraße in Berlin. 

Stand: 09.09.2015