Antworten auf den „Modernisierungs-Zwang“
DWIH Moskau
Länder- und generationenübergreifender Austausch: die Teilnehmer der „5. Deutsch-Russischen Woche des jungen Wissenschaftlers“
Die „Woche des jungen Wissenschaftlers“ ist zu einer festen Größe im deutsch-russischen akademischen Austausch geworden. Sie hat nun bereits zum fünften Mal stattgefunden, in diesem Jahr in Moskau. Ein Forum, das persönliche Gespräche ebenso ermöglicht wie innovative Impulse für die Forschungslandschaft. Diese werden in Russland aktuell von höchster Ebene eingefordert. Deutschland ist zentrales Partnerland.
Die Moskauer Hochschule für Physik und Technik (MIPT) ist ein wohlklingender Name in der russischen Hochschullandschaft. 1946 wurde die Universität mit Unterstützung der Akademie der Wissenschaften der UdSSR gegründet, sowjetische Nobelpreisträger haben hier gelehrt. Heute ist die Hochschule eines der Elite-Institute für Physik, Informatik und Mathematik im Land.
Gerade war der Berliner Moritz Firsching für ein paar Tage in Moskau, um russische Hochschulatmosphäre zu erleben. Es ist der erste Russlandbesuch für den 29 Jahre alten Doktoranden, der an der Freien Universität Berlin am Lehrstuhl des renommierten Mathematik-Professors Günter Ziegler forscht. Er hatte Firsching die Reise zur „Woche des jungen Wissenschaftlers“ nahegelegt; Ziegler selbst hielt die Eröffnungsvorlesung. Auch wenn Moritz Firsching zuvor noch nie in Russland war, den Ruf russischer Fachkollegen kannte er natürlich schon vorher. „Ich denke, dass hier sehr gute Mathematik betrieben wird“, sagte er. Nun konnte er sich selbst ein Bild machen.
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Konzentriert im Kollegenkreis: Moritz Firsching in Moskau
Die Veranstaltung galt nicht nur der Mathematik, sondern darüber hinaus dem Austausch zwischen jungen Wissenschaftlern aus Russland und Deutschland. Das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) Moskau, vertreten durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), veranstaltete die „Deutsch-Russische Woche des jungen Wissenschaftlers“ 2015 bereits zum fünften Mal. Das Ziel: Die deutsche Wissenschaft im Ausland vorzustellen und deutsche und russische Nachwuchsforscher, die in wenigen Jahren die Forschung an ihrer Hochschule mitgestalten werden, in Kontakt zu bringen.
Ein wichtiger Brückenschlag
In jedem Jahr findet die Wissenschaftswoche an einem anderen Wissenschaftsstandort und mit wechselnden Schwerpunktthemen statt. Durch die traditionell weitverzweigte Verteilung der Hochtechnologieforschung im Land führte der Weg zunächst in die Regionen: Bei der ersten „Woche des jungen Wissenschaftlers“ im Jahr 2011 in Kasan stand das Thema „Mensch und Energie“ im Vordergrund. Danach ging es um Gesundheit und Gesellschaft, Luft- und Raumfahrt sowie um Geschichte in Jekaterinburg, Nowosibirsk und St. Petersburg. Erst in diesem Jahr hat man sich für Moskau entschieden.
Warum junge Wissenschaftler im Fokus der Veranstaltung stehen, erklärte Gregor Berghorn, Leiter des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses und der DAAD-Außenstelle in Moskau. Zwar gebe es schon lange vielfältige Stipendienprogramme und andere Austauschmöglichkeiten für Studierende in Deutschland und Russland sowie intensive Kontakte etablierter Forscher. Aber gerade an den Kontaktmöglichkeiten zwischen jungen Wissenschaftlern über Ländergrenzen hinweg mangele es derzeit noch, so Berghorn. Die „Woche des jungen Wissenschaftlers“ helfe demgegenüber Doktoranden und Postdocs, neue Netzwerke aufzubauen. Die geknüpften Kontakte könnten später beispielsweise in gemeinsame Forschungsprojekte münden, so eines der Anliegen der Organisatoren. Gleichzeitig soll eine Brücke zwischen jüngeren und älteren Wissenschaftlern geschaffen werden. „Es muss eine Stabübergabe an die jungen Wissenschaftler stattfinden“, sagte Berghorn. In Russland herrscht meist noch das Senioritätsprinzip: Es sei oft ungewöhnlich, dass junge Wissenschaftler in eine Diskussion mit älteren treten, hob auch Jörn Achterberg, Leiter des DFG-Büros in Moskau, hervor. Nicht zuletzt geht es bei der Wissenschaftswoche auch darum, Informationen zu grenzüberschreitenden Fördersystemen zu erhalten. Dabei präsentieren nicht nur DAAD und DFG ihre Angebote, sondern ebenfalls weitere Wissenschafts- und Mittlerorganisationen.
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Zustimmung der jungen Wissenschaftler: Der Bedarf an Austausch ist groß
Gefragtes Angebot
2015 war die Wissenschaftswoche noch vielschichtiger als in den Vorjahren. Das MIPT hatte schon länger eine Geometrie-Konferenz geplant und Teilnehmer aus Deutschland und anderen Ländern eingeladen. Für sie wurde die Wissenschaftswoche zu einem zusätzlichen Angebot: „Zwei Formate wurden zusammengeführt“, sagte Gregor Berghorn. Insgesamt tauschten sich in Moskau 70 Wissenschaftler aus.
Das passte gut zusammen, denn russische Universitäten hätten ein sehr großes Interesse an internationalen Kooperationen, betonte Berghorn. Auch der Kreml signalisiere, dass die Kooperation in Kultur und Wissenschaft trotz der aufgrund des Ukraine-Konflikts angespannten Situation weitergehen müsse. Gleichzeitig verlangt Russlands Präsident Wladimir Putin Veränderungen in der Hochschullandschaft. Russland steckt inmitten einer umfassenden Universitätsreform und versucht, den Anschluss an die internationale Wissenschaft nicht zu verlieren. Das russische Hochschulsystem wird zurzeit in einem unvorstellbar großen Kraftakt aus seinen aus der Zeit der Sowjetunion ererbten Strukturen herausgeführt. Jetzt soll es auch an den Hochschulen mehr Wettbewerb geben: Welchen Platz nehmen die Universitäten in internationalen Rankings ein? Wie viele Patente werden angemeldet? Wie oft werden russische Wissenschaftler zitiert? So lauten die zentralen Fragen für die Zukunft. Mit der Planwirtschaft an Hochschulen ist damit endgültig Schluss. Berghorn spricht von einem „Modernisierungs-Zwang“.
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Gregor Berghorn (l.) und Jörn Achterberg: Kenner der russischen Hochschullandschaft und erfahrene Begleiter der Wissenschaftlerwoche
Die Ausmaße der Reform sind gewaltig. Am Ende soll es 40 Prozent weniger Universitäten geben. Gleichzeitig werden 45 Hochschulen zu sogenannten führenden Universitäten aufgewertet, davon 29 Nationale Forschungsuniversitäten, darunter das MIPT. Diese sollen im internationalen Wettbewerb eine wichtige Rolle spielen, mehr staatliche Fördermittel und mehr akademische Freiheiten erhalten. So passte die „Woche des jungen Wissenschaftlers“ in mehrfacher Hinsicht sehr gut zur gewünschten stärkeren Internationalisierung, zumal Deutschland dabei eines der wichtigsten Partnerländer ist. Das unterstrich in Moskau auch Dr. Tagir Aushev, MIPT-Vizerektor für Wissenschaft und Strategie. Es sei „eine große Freude, so viele junge Gesichter in Moskau zu sehen“, sagte er zu Beginn der Konferenz. „Ich hoffe, die russisch-deutsche Zusammenarbeit wird noch stärker werden.“ Die deutschen Teilnehmer hätten die Gelegenheit, einen Einblick in die Wissenschaft und das Leben Russlands zu erhalten. „Wir hoffen, dass wir künftig weitere Projekte starten können.“
Koryphäen und junge Kollegen
Auch Moritz Firsching war – nach seinem eigenen Vortrag zum Thema Klassifikation von Polytopen – angetan von dem Austausch und den Nachfragen der anderen Wissenschaftler. Es sei interessant, die Koryphäen seines Faches zu erleben und zugleich junge Kollegen kennenzulernen, berichtete er. Üblicherweise lese man die wissenschaftlichen Abhandlungen anderer Forscher, jetzt könne er in einigen Fällen den Namen auch Gesichter und persönliche Erfahrungen zuordnen.
Oliver Bilger (17. September 2015)