3. Maghreb-Sommerakademie: „Ich habe einen Traum – die Maghreb-Union“
Anis Bouattour
Dialog jenseits politischer Zwänge: die Teilnehmer der 3. Maghreb-Sommerakademie
Die Politik hat die Maghreb-Länder gespalten, doch Studierende der vom DAAD Tunis veranstalten Sommerakademie haben keine Vorurteile und wünschen sich mehr Austausch und eine Maghreb-Union. Der „Maghreb als interkultureller Begegnungsraum“ stand im Fokus der Akademie, die zugleich die gegenwärtige Flüchtlingskrise nicht aussparte.
„Die maghrebinischen Völker haben kein Problem miteinander“, so die einhellige Meinung der 22 Studierenden und jungen Deutschdozenten aus Algerien, Marokko und Tunesien, die sich vom 6. bis zum 11. September 2015 bei der 3. Maghreb-Sommerakademie begegneten. Und auch die ebenfalls teilnehmenden sechs deutschen Studentinnen bestätigen: „ Wir haben in Deutschland gemischte Freundeskreise mit Marokkanern, Algeriern und Tunesiern, und da gibt es untereinander keine Vorurteile oder Probleme.“ Es sind die Politik und die politischen Systeme, die die Völker spalten und ein grenzüberschreitendes Miteinander erschweren. Doch während der Sommerakademie tauchte der „Traum von der Maghreb-Union“ immer wieder in den Beiträgen der Tagungsteilnehmer auf und wurde zu einem roten Faden der gesamten Veranstaltung.
Bewusstsein schaffen bei der jungen Generation – erfahren, wie es ist, in einer Union zu leben, sich persönlich begegnen und im Miteinander Gemeinsames entdecken, das können die Studierenden eine Woche lang in Tunis bei der Sommerakademie ausprobieren. Und das gelingt gut: Bereits am ersten Tag wurde offen und frei über die Vision einer Maghreb-Union diskutiert. Professor Ali-Ridha Chennoufi, Direktor der Abteilung für Philosophie an der Universität Tunis, gab Impulse mit seinem Vortrag „Auf dem Weg zu einer maghrebinischen Integration“ und zeigte historisch und aktuell die Chancen und Hindernisse für eine Maghreb-Union auf: „Es kann keine Einheit des Maghreb geben, weil die einzelnen Länder sich noch in der Phase der Nationalstaatsbildung befinden“, so Chennoufis zentrale These, „Selbstbewusstsein und Identität werden erst gegründet“.
Beate Schindler-Kovats
Vielschichtiger Austausch: Wirtschaftsexperte Fausi Najjar mit einer tunesischen Teilnehmerin
Und auch ein gemeinsamer Wirtschafts- und Handelsraum Maghreb ist nicht zu erkennen: Fausi Najjar, Büroleiter der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing (GTAI) im Maghreb mit Sitz in Tunis, stellte fest: „Es gibt keinen Wirtschaftsraum Maghreb.“ Nur drei Prozent beträgt der Handelsaustausch innerhalb des Maghreb – zum Vergleich: 60 Prozent sind es innerhalb der EU und 20 Prozent in West-und Südafrika oder im ASEM-Raum.
„Deutsche Hochschulen können Brücken schlagen“
Wo Politik und Wirtschaft die Zusammenarbeit verweigern, kommt der Kultur- und Bildungsarbeit eine umso wichtigere Aufgabe zu: Historisch, sprachlich und kulturell gibt es gemeinsame Wurzeln und Entwicklungen im Maghreb. „Es ist wichtig, dass wir die Verbindungen und Vernetzung im Bildungsbereich und zwischen Hochschulen schaffen“, so Dr. Naima Tahiri, marokkanische Sprachwissenschaftlerin an der Universität Fès. „Sommerschulen wie die Maghreb-Akademie, aber auch Projekte und Programme mit mehreren maghrebinischen Partnern können Austausch fördern. Deutschland und deutsche Hochschulen können dabei Brücken schlagen und sind wertvolle Mittler.“
Beate Schindler-Kovats
Offener Diskurs: Rachid Ouissa im Gespräch mit Tagungsteilnehmern
Workshops boten während der Sommerakademie ein breites Spektrum an fachlichen Schwerpunkten: von Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit im Maghreb über Demokratisierung in der arabischen Welt bis zur Rolle der Mittelschichten im Maghreb sowie den Erfahrungen aus dem deutsch-tunesischen Forschungsprojekt „Tunesien im Wandel“. In Kleingruppen wurde interaktiv gearbeitet und diskutiert. Hier kamen die Teilnehmer ausführlich zu Wort und konnten Erfahrungen und Meinungen austauschen. „Durch die Workshops habe ich eine neue Orientierung für mein Studium und Forschen bekommen“, so eine tunesische Teilnehmerin. „Ich fühle mich wohl, fern des universitären Drucks zu arbeiten, Deutsch zu sprechen und neue Methoden und Lehrstile kennenzulernen“, meint ein Teilnehmer aus Algerien.
Diskussion über den „Arabischen Frühling“
Zu einem Mut machenden, vorsichtig optimistischen Schluss kamen auch die Teilnehmer der Paneldiskussion „Der Arabische Frühling – eine vorläufige Bilanz“, moderiert von der freien Korrespondentin Dr. Annette Steinich. Auch wenn in den Ländern eine „Re-Konfiguration der Kräfte“ beobachtet werden kann, so Professor Rachid Ouaissa von der Universität Marburg, sehen die Diskutanten Hoffnungszeichen. Für Tunesien, das die politische Transformation geschafft hat, das aber „junge Menschen zum politischen Bewusstsein bringen muss“, so Dr. Anis Ben Amor von der Universität Tunis El Manar. In Ägypten, das trotz des Militärputsches „ein sympathisches, gastfreundliches Land ist, mit Studierenden, die Autonomie und Meinungsfreiheit verdient hätten“, so Dr. Jan Völkel, DAAD-Langzeitdozent an der Cairo University. In Algerien, das „gerade jetzt Reformen wagen muss und wo die Europäer Druck auf die Regierung ausüben sollten, damit demokratische Spielregeln eingeführt werden“, meint Professor Ouaissa. Und selbst in Libyen, gibt es leichte Anzeichen von Hoffnung, dass nach einer politischen Einigung parlamentarische Strukturen entstehen können. Schon jetzt bildet die Hanns-Seidel-Stiftung Tunis libysche Bürgermeister in Administration und in weiteren Schlüsselkompetenzen aus, so Zayd Aldailami, Büroleiter der Stiftung.
Beate Schindler-Kovats
Diskutierten den "Arabischen Frühling" (v. l.): Rachid Ouaissa, Anis Ben Amor, Annette Steinich, Jan Völkel und Zayd Aldailami
Auseinandersetzung mit der Flüchtlingskrise
Ein Thementag wurde dem aktuellen Problem der Migration im Mittelmeer gewidmet. Dr. Jan Völkel zeigte Flüchtlingswege nach, diskutierte Gründe für Auswanderung und Flüchtlingsströme und ließ die Teilnehmer in Gruppen die vielfältigen Aspekte der Problematik herausarbeiten: „Das Flüchtlingsproblem geht uns alle an,“, so eine deutsche Teilnehmerin, „das Recht auf Asyl und auf ein würdevolles Leben in Frieden betrifft nicht nur Syrien, auch in afrikanischen Ländern tobt ein Bürgerkrieg und fliehen Menschen vor Hunger und Gewalt.“
Kontakte aufrecht erhalten
Auch in diesem Jahr fand die Sommerakademie ihren Abschluss in der Residenz des Deutschen Botschafters in Tunis. Am Ende des Abends fiel der Abschied schwer, und es wurde vielfach der Wunsch geäußert, dass die Sommerakademie mindestens zwei Tage länger dauern sollte. Die Teilnehmer haben eine Facebook-Gruppe gegründet, um in Kontakt zu bleiben.
Anis Bouattour
Gelungener Ausklang: die Teilnehmer der Sommerakademie beim Empfang in der Deutschen Botschaft in Tunis
Der DAAD Tunis veranstaltet die Maghreb-Sommerakademie zum dritten Mal im Rahmen des Programms „Deutsch-Arabische Transformationspartnerschaften“ und fördert die Teilnehmer mit Stipendien. Aus 104 Bewerbungen wurden 28 Teilnehmer ausgewählt: neun aus Algerien, sechs aus Marokko, sieben aus Tunesien und sechs aus Deutschland. Das Feedback der Stipendiaten war sehr positiv: „Wir haben viele Inputs bekommen, wertvolle und aktuelle Diskussionen, mehr Verständnis von- und miteinander, tolle Atmosphäre – eine unvergessliche Erfahrung“, so die Kommentare in Mails und auf Facebook.
Beate Schindler-Kovats, Leiterin DAAD-Büro Tunis (23. September 2015)