„Ich möchte diese Chance nutzen“: Das Stipendienprogramm „Führungskräfte für Syrien“

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Ein Neuanfang: Khaled Shaheen an der Hochschule Mannheim

Für Alaa Kanaieh und Khaled Shaheen ist das laufende Wintersemester etwas Besonderes. Die beiden syrischen Studierenden sind Stipendiaten des DAAD-Programms „Führungskräfte für Syrien“. Angesichts von Krieg und Terror wollen Kanaieh und Shaheen nun ihr Studium in Deutschland nutzen, um einmal zu einer besseren Zukunft beitragen zu können.

Khaled Shaheen kommt gerade aus dem Labor. Er hat jetzt etwas Zeit, über sein Bachelorstudium der Biotechnologie an der Hochschule Mannheim zu reden. Nach der Mittagspause geht es mit der Physik-Vorlesung weiter. „Viel Arbeit“, sagt Shaheen lächelnd. „Es ist für mich ein großes Glück, in Deutschland studieren zu können. In meinem Heimatland Syrien war das durch den Krieg nicht mehr möglich.“ Als Khaled Shaheen die Schule seiner Heimatstadt Daraa mit der Hochschulreife und einem Notendurchschnitt von 1,1 verließ, war an ein Studium im von Terror und Krieg verwüsteten Syrien nicht mehr zu denken. Shaheen gelangte mit seiner Familie nach Jordanien, wo seine Eltern heute noch leben. Er aber wurde für das Stipendienprogramm „Führungskräfte für Syrien“, das der DAAD mit Mitteln des Auswärtigen Amts aufgelegt hat, ausgewählt. „Ich möchte diese Chance nutzen“, sagt Khaled Shaheen, der vor Kurzem seinen 20. Geburtstag feiern konnte. Er will Verantwortung übernehmen. Und er möchte die Perspektive, die ihm das Stipendienprogramm des DAAD eröffnet, auch für sein Heimatland nutzen.

„Syrien läuft Gefahr, eine ganze Generation von Akademikern, von Fach- und Führungskräften zu verlieren“, sagt DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel. „Das Land braucht aber gerade diese Persönlichkeiten dringend für einen Wiederaufbau nach dem Ende des Krieges. Das Programm ,Führungskräfte für Syrien‘ richtet sich gezielt an diese Menschen. Wir haben aus der großen Zahl von Bewerbern diejenigen ausgewählt, die ein Studium in Deutschland in die Lage versetzen kann, den kommenden Herausforderungen zu begegnen.“

Intensiver Sprachkurs in Marburg

Dieses Konzept hat auch das Bundesland Nordrhein-Westfalen überzeugt, das – nach den 200 vom Auswärtigen Amt finanzierten Stipendien – 21 zusätzliche Förderungen ermöglicht hat. Die 221 Stipendiatinnen und Stipendiaten wurden in einem außerordentlich aufwendigen Verfahren aus über 5.000 Bewerbungen ausgewählt, mit Blick auf akademische Leistung und Persönlichkeit. Eine Expertenkommission aus Professoren deutscher Hochschulen hat hierzu im März in Beirut, Erbil, Istanbul, Kairo, Amman und Bonn Auswahlgespräche geführt. Es folgte ein Sprachkurs für alle Stipendiaten in Marburg. Vier Monate lang lernten sie aufgeteilt in 15 Lerngruppen intensiv Deutsch: von der elementaren Sprachverwendung bis zum selbstständigen Sprechen. Der DAAD hat die Stipendiaten bei der Auswahl einer passenden Hochschule unterstützt und begleitet sie auch weiterhin. Khaled Shaheen hat sich zum Beispiel mit einer Reihe von Fragen an seine Ansprechpartner im DAAD gewandt. „Sie haben mir einige Dinge erklären können und ich fühle mich jetzt noch besser auf das Studium vorbereitet“,  sagt er und beantwortet die Frage nach dem anhaltenden Austausch mit dem DAAD – wie auch alle anderen Fragen – auf Deutsch.

Die Stipendiaten des Programms „Führungskräfte für Syrien“ haben auch Vera Usoltseva sehr beeindruckt. „Ich habe meine Schüler als sehr herzlich, verständnisvoll und dankbar erlebt“, erzählt Usoltseva. Sie gehört zum Lehrerteam der Marburger Sprachschule, die den viermonatigen Sprachkurs im Auftrag des DAAD durchgeführt hat. Ihre Dankbarkeit und Freude am Lernen haben die Stipendiaten zum Ende des Kurses auch kreativ zum Ausdruck gebracht, etwa mit dem gemeinsamen Auftritt einer spontan gegründeten Band und eines Chores. Vera Usoltseva sagt über ihre Schüler, sie könne sich „sehr gut vorstellen, dass sie einmal einen Beitrag zum Wiederaufbau Syriens leisten können“.

Mehr als ein gutes Studium

Neben dem bereits absolvierten Sprachkurs bietet der DAAD den Stipendiaten ein obligatorisches Zusatzprogramm, das ihnen Kenntnisse in den Bereichen „Good Governance“, „Civil Society“ und „Nachhaltiges Projektmanagement“ vermittelt. „In den Auswahlgesprächen stand die Frage im Mittelpunkt, welchen persönlichen Beitrag die einzelnen Stipendiaten zum Wiederaufbau Syriens leisten können“, sagt Inka Löck, die als Teamleiterin beim DAAD das Stipendienprogramm koordiniert. „Es wurde deutlich, wie sehr sich die Stipendiaten mit diesem Ziel identifizieren: Sie haben ihre Studienfächer nicht nach späteren Karrieremöglichkeiten in Deutschland ausgewählt, sondern unter dem Gesichtspunkt, was sie hoffentlich einmal in Syrien besonders gut anwenden können.“

Stipendienprogramm "Führungskräfte für Syrien"

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Alaa Kanaieh in Marburg: "Wir möchten an der Zukunft unseres Landes arbeiten"

Das ist auch Alaa Kanaieh wichtig. Die 27-Jährige hat nach ihrem Bachelorstudium in Informatik an der Arab International University bereits für ein Telekommunikationsunternehmen in Syrien gearbeitet. An der RWTH Aachen hat sie nun die Möglichkeit, ihren Master in „Software Systems Engineering“ zu erwerben. „Ich hoffe, dass ich später einmal in Syrien als IT-Projektmanagerin arbeiten kann“, sagt die junge Frau. „Die RWTH Aachen hat einen herausragenden Ruf – ich möchte mich hier beweisen.“ Alaa Kanaiehs Ehrgeiz beschränkt sich nicht nur darauf, ein gutes Studium zu absolvieren und technische Prozesse besser verstehen und programmieren zu können. Die Stipendiatin möchte auch mehr junge Frauen für IT-Studiengänge begeistern und war zunächst überrascht, dass das auch in Deutschland noch nötig ist. Vor ein paar Tagen hat sie zudem Kontakte zu einem Freiwilligenprojekt zur Unterstützung von Flüchtlingen geknüpft: Sie möchte anderen Menschen helfen. „Einen Masterabschluss zu erlangen oder später einmal einen guten Job in einer Firma zu bekommen, ist auch wichtig, um anderen Menschen helfen zu können“, sagt Alaa Kanaieh. „Es geht darum, das Beste aus unserer Situation und den Möglichkeiten unseres Stipendienprogramms zu machen. Wir möchten Führungskräfte für Syrien sein und an der Zukunft unseres Landes arbeiten, sei es in oder außerhalb Syriens.“

Konferenz im Auswärtigen Amt

Heute treffen sich über 200 Stipendiatinnen und Stipendiaten des Programms „Führungskräfte für Syrien“, zusammen mit durch das Land Baden-Württemberg geförderten syrischen Stipendiaten, zu einer Konferenz im Auswärtigen Amt in Berlin. Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier wird ein Grußwort an die Stipendiatinnen und Stipendiaten richten. DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel wird, wie auch Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, und Dr. Simone Schwanitz, Amtschefin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, an der Podiumsdiskussion „Keine verlorene Generation – Integration, Perspektiven, Stunde Null“ teilnehmen.

Johannes Göbel (24. November 2015)