90 Jahre DAAD: Europa durch Austausch gemeinsam gestalten
Sander de Wilde/DAAD
Rege Diskussion: DAAD-Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland mit Gunnar Wiegand, Direktor im Europäischen Auswärtigen Dienst, bei der Podiumsdiskussion über die Rolle von Bildungsaustausch
Um über Mobilität, Austausch und Europa zu diskutieren, hat der DAAD 34 Stipendiaten ins Herz der Europäischen Union eingeladen: In Brüssel trafen die Teilnehmer mit prominenten DAAD-Alumni und Entscheidern aus Institutionen der EU zusammen und feierten auch noch einmal 90 Jahre DAAD auf europäischer Ebene.
Welche Rolle spielt akademischer Austausch für Europa? Wie wirkt sich Mobilität auf das Zusammengehörigkeitsgefühl aus? Um darüber zu diskutieren und gemeinsam Visionen zu entwickeln, lud der DAAD 34 Stipendiaten und Alumni am 10. November 2015 nach Brüssel ein, wo sie mit führenden Entscheidern aus Institutionen der Europäischen Union zusammenkamen. Unter dem Motto „Europa durch Austausch gemeinsam gestalten – Shaping Europe through Exchange and Mobility“ diskutierten die Teilnehmer in Kleingruppen mit den deutschen DAAD-Alumni Dr. Angelika Niebler, Mitglied des Europäischen Parlaments, und Gunnar Wiegand, Direktor im Europäischen Auswärtigen Dienst, sowie mit dem Niederländer Peter Bosch aus der Europäischen Kommission und dem britischen EU-Parlamentsabgeordneten Siôn Simon. Themen waren die Beziehungen zu den EU-Nachbarländern, die Flüchtlingsproblematik, das britische EU-Referendum, sowie die Frage, wie eine bürgernahe Europäische Union aussehen könnte.
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Die Abgeordnete des Europäischen Parlament, Angelika Niebler, diskutierte mit den Teilnehmern über eine bürgernahe Europäische Union
„Wir müssen daran arbeiten, dass die Europäische Union Bestand hat – und da setze ich auf Sie alle“, sagte die CSU-Abgeordnete im Europäischen Parlament Angelika Niebler. Studieren im Ausland und internationaler Austausch sei für Studierende heute viel selbstverständlicher als zu ihrer eigenen Studienzeit. In den 1980er-Jahren sei sie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München nach einem Auslandsaufenthalt mit DAAD-Stipendium in Genf „der totale Exot“ gewesen. „Austausch ist heute Teil Ihrer Ausbildung – aber das ist nicht selbstverständlich“, sagte sie an die Teilnehmer gewandt. „Dafür – und für Europa – muss man werben und dieses Netzwerk nutzen und schützen.“ Die Freunde, die sie damals in Genf gefunden habe, seien ihr bis heute geblieben.
Brücke zur Verständigung
„Mobilität, akademischer Austausch und Wissenschaftskooperationen können eine Brücke sein in Zeiten, wenn politische Kanäle zwischen Ländern und Gesellschaften blockiert sind“, sagte DAAD-Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland. So sei es 1952 gewesen, als der DAAD eine Außenstelle in London wiedereröffnete – noch bevor Deutschland und Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg offiziell diplomatische Beziehungen wiederaufgenommen hatten. Jüngstes Beispiel ist das 2014 wiedereröffnete DAAD-Informationszentrum in Irans Hauptstadt Teheran.
Doch Generalsekretärin Rüland sprach im Besucherzentrum der Region Brüssel-Hauptstadt (BIP) am Place Royale auch die dunklen Kapitel in der Geschichte an: Als sich der DAAD in den Jahren des Nationalsozialismus der politischen Ideologie des Nazi-Regimes anpasste. Wie Rüland sagte: „Eine Ideologie, die in jeglicher Hinsicht dem zentralen Auftrag des DAAD widerspricht: Verständigung durch Dialog zu fördern sowie Wissen und Erkenntnisse durch Austausch.“ Denn, und das wurde in den Round-Table-Gesprächen am Nachmittag und der Diskussionsrunde am Abend deutlich: Die großen Herausforderungen der Zeit lassen sich nur gemeinsam lösen. „Wir müssen die besten Talente anziehen und unsere Studierenden mit internationaler Arbeits- und Lebenserfahrung in einer globalisierten Welt ausstatten“, sagte Rüland. Das Verständnis anderer Kulturen und internationale Zusammenarbeit sei die Basis für Verständigung in der heutigen Welt.
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Aufmerksame Zuhörer im Besucherzentrum der Region Brüssel-Hauptstadt
Wie bunt die Welt des DAAD ist, sah man auch an den Teilnehmern: Durch die eingeladenen 34 Stipendiaten waren zehn unterschiedliche Nationalitäten vertreten, darunter Stipendiaten aus Serbien und Aserbaidschan und PhD-Kandidaten aus den DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien in England, Frankreich und den Niederlanden.
Internationalität und Zusammenarbeit
In einer Podiumsdiskussion sprach Dr. Hanns Sylvester, Leiter der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit, mit Generalsekretärin Rüland, Gunnar Wiegand und Neena Gill, britische Labour-Abgeordnete im Europäischen Parlament, über die Rolle von Bildungsaustausch und inwiefern er zur Stärkung der EU-Länderkooperationen beitragen könnte. Wie Neena Gill unterstrich, mache erst Internationalität eine sehr gute Universität zu einer exzellenten Universität. Auch wenn einige in Großbritannien der EU kritisch gegenüberständen: „An den Universitäten wissen die Forscher, welche Vorteile sie durch die EU haben: Spitzenforschung wie beispielsweise in der Nanotechnologie wird erst dadurch möglich.“ Daher sei es so wichtig, dass Alumni ihre internationalen Erfahrungen in Bewerbungen betonten.
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Gunnar Wiegand, Direktor beim Europäischen Auswärtigen Dienst, forderte die Stipendiaten ein, sich einzubringen
„Die jüngere Generation ist es gewohnt zu reisen und sich zu vernetzen“, sagte Gunnar Wiegand, Direktor beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) für die Östliche Nachbarschaftsregion, Russland, Zentralasien, regionale Zusammenarbeit und OSZE. Er studierte mit einem DAAD-Stipendium Anfang der 1980er-Jahre erst für ein Jahr an einer amerikanischen Universität in Bologna und danach in Washington D.C. „Über das Kennenlernen der anderen, die anders aufgewachsen sind als man selbst, lernt man vor allem viel über sich selbst“, sagte er und ermutigte die Teilnehmer, ihre Erfahrungen einzubringen. Die aktuellen Flüchtlingsbewegungen zeigten, dass die Flüchtlinge sich von Grenzen nicht aufhalten lassen. „Das ist der Weckruf für Europa – wir sind keine Insel der Seligen, die sich vom Rest der Welt abschotten kann“, sagte Wiegand. Durch den hohen Migrationsdruck aus Subsahara-Afrika und dem Nahen Osten „kommt die Flüchtlingsfrage in unseren Wohnzimmern an“. Leute wie die DAAD-Stipendiaten könnten und müssten aufgrund ihrer Fähigkeiten die Zukunft mitgestalten.
Sarah Kanning (16. November 2015)