Diversität an Hochschulen – ein Schatz, der gehoben werden will
DAAD/Andreas Paasch
Internationale Diskutanten (v. l. n. r.): Yasemin Karakaşoğlu, Moderator Jan-Martin Wiarda, David Ruebain, Josephine De León und Sara-Jane Finlay
Der „International Dialogue on Education“ in Berlin ist ein herausragendes Forum des fachlichen Austauschs. Über Notwendigkeit, Chancen und Schwierigkeiten des Umgangs mit Diversität diskutierten Experten aus Deutschland, Großbritannien, Kanada und den USA in der Kanadischen Botschaft.
Seit den 2000er-Jahren steigt in Deutschland der Anteil der jungen Menschen mit Hochschulzugangsberechtigung, immer mehr schreiben sich für ein Studium ein. Auch die Zahl ausländischer Studierender nimmt zu. Der Campus wird vielfältiger: Studierende unterscheiden sich nach familiärer Herkunft, Kultur, Alter, Religion oder sexueller Orientierung – die Liste ließe sich fortsetzen. Aber haben sie auch die gleichen Chancen, wird die Vielfalt an den Hochschulen geschätzt und wie kann sie zum Vorteil aller kultiviert werden? Diese Fragen diskutierten Experten aus Deutschland, Großbritannien, Kanada und den USA am 16. November 2015 in der Kanadischen Botschaft in Berlin. Anlass war der 12. International Dialogue on Education, eine vom DAAD mitgetragene Veranstaltungsreihe, die sich seit 2007 aktuellen Fragen in der Hochschulbildung widmet.
Sowohl in Kanada als auch in den USA und Großbritannien hat die Beschäftigung mit Diversität und Chancengleichheit an Hochschulen eine Tradition, die weit ins 20. Jahrhundert zurückreicht. Zum einen weil sich diese Länder schon lange als Einwanderungsländer definieren, weil sie wie Großbritannien eine prägende Geschichte als Kolonialmacht haben oder weil es, wie in den USA, gesellschaftlich traumatisierende Erfahrungen mit Rassendiskriminierung gibt. Dr. Josephine De León jedenfalls, Vizepräsidentin und Direktorin für Diversity an der University of New Mexico, versteht ihre Arbeit auch als Teil der Aufarbeitung der Folgen der Rassentrennung in den USA.
Andere Entwicklung in Deutschland
In Deutschland dagegen hätten die Hochschulen erst nach 2000 überhaupt zur Kenntnis genommen, dass sie Studierende mit Migrationshintergrund haben, sagte Professor Yasemin Karakaşoğlu, Konrektorin für Internationalität und Diversität an der Universität Bremen und von 2016 an neues Vorstandsmitglied des DAAD. Und erst in der Folge hätten sich die Hochschulen Gedanken darüber gemacht, wie sie sich besser auf die Bedürfnisse von Studierenden mit Migrationshintergrund einstellen können. Auftrieb habe die Debatte um das Diversitätsmanagement dann durch das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz bekommen.
DAAD/Andreas Paasch
Raum für Rückfragen: Auch das Publikum diskutierte in der Kanadischen Botschaft mit
Wie aber setzt man Gerechtigkeit und Diversität für Studierende an Hochschulen um? Auch hier haben die Länder unterschiedliche Herangehensweisen entwickelt. Die University of New Mexico und die kanadische University of British Columbia in Vancouver rekrutieren gezielt Studierende, die im akademischen System unterrepräsentiert sind: In den USA sind das in erster Linie Afroamerikaner, Mitglieder der indigenen Bevölkerung oder Migranten und deren Nachfahren aus Mexiko und den Ländern Zentral- und Südamerikas. In Kanada werden die Mitglieder der indigenen „First Nations“ zudem bei der Bewerbung unterstützt. „Wir haben festgestellt, dass das Bewerbungsverfahren für sie eine Hürde ist, deshalb helfen wir“, sagte Dr. Sara-Jane Finlay, die auf Rektoratsebene für Gleichstellung und Inklusion an der University of British Columbia in Vancouver verantwortlich ist. In Bewerbungsverfahren berücksichtigen beide Universitäten neben Noten außerdem die persönliche Motivation. Ein Quotensystem gibt es allerdings weder in Kanada noch in den USA.
Die nordamerikanischen Hochschulen werben aber nicht nur gezielt Studierende an, sie haben Trainingsprogramme und Frühwarnsysteme eingerichtet, um auch diejenigen an der Universität zu halten, die vielleicht als erste in ihren Familien einen akademischen Abschluss anstreben. „Wir schulen die Studierenden, damit sie lernen im Kontext der kanadischen Kultur und des akademischen Systems erfolgreich zu sein“, berichtete Sara-Jane Finlay.
An der Universität in New Mexico gibt es Betreuer, die einen besonderen Blick auf „gefährdete“ Studierende haben, weil sie zu einer Gruppe gehören, von der die Hochschule weiß, dass sie häufiger das Studium abbricht als der Durchschnitt. Von einer solch engmaschigen Betreuung sind deutsche Hochschulen noch weit entfernt. Das hängt einerseits damit zusammen, dass sie weniger über ihre Studierenden wissen, weil weniger Daten erhoben werden, andererseits aber auch mit einem häufig anzutreffenden Problem der akademischen Kultur: Wenn du nicht erfolgreich studierst, dann ist das dein persönlicher Misserfolg – so werde das an der Universität in der Regel gesehen, monierte Yasemin Karakaşoğlu.
Keine Klassifizierung
Trotz dieser Unterschiede waren sich die internationalen Hochschulexperten in vielen Punkten einig. Sie verstehen Diversität als ein ganzheitliches Konzept, in dem es nicht darum geht, Personen nach bestimmten Kriterien wie Sprache, Kultur, Religion oder sozio-ökonomischem Status zu klassifizieren. Es gehe vielmehr darum, dass die Hochschule ihren Auftrag besser erfüllt. „Der Vorteil, den Diversität dafür bringt, ist augenscheinlich. Diversität weitet den Horizont“, sagte David Ruebain, Leiter der Londoner Equity Challenge Unit, einer Forschungs- und Beratungsstelle zur Förderung von Vielfalt und Gleichstellung an britischen Hochschulen. Interkulturelle Kommunikation müsse aber Teil des Curriculums werden, damit Diversität den Dialog bereichert: zwischen Lehrenden und Lernenden und unter Studierenden.
Eine weitere Erfahrung, die alle Diversitäts-Experten auf dem Podium teilten: Sie kämpfen in ihren Hochschulen gegen erhebliche Widerstände an, insbesondere in der Professorenschaft. Das hat möglicherweise mit etablierten Strukturen zu tun und mit Privilegien, die auch an der Universität unterschiedlich verteilt sind. Für Ruebain geht es deshalb bei Diversität und Chancengleichheit auch um Fragen der Machtverteilung. Beispielsweise hätten von den 165 öffentlichen Universitäten, die er in Großbritannien berät, lediglich drei einen schwarzen Präsidenten: „Ich möchte die Debatte nicht darauf reduzieren“, betonte er, „aber wenn wir echte Diversität wollen, dann müssen wir auch die Machtbasis im akademischen System entsprechend erweitern.“
Kristina Vaillant (20. November 2015)