Die Kraft der Gemeinschaft
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An der Universität Duisburg-Essen forschte Kareem Hassan an Algen, die Abwasser reinigen können
Der 28 Jahre alte Ägypter Kareem Hassan verwirklicht nach einem sechsmonatigen Deutschlandaufenthalt seinen Traum: Mit seiner NGO „Benaa“ treibt er nachhaltige Entwicklungen in Ägyptens ländlichen Gebieten voran.
Denkt Kareem Hassan an seine Geburtsstadt Kairo, kreisen die Gedanken des jungen Ägypters um den Nil; diese fast 7000 Kilometer lange Lebensader, die von Ruanda und Burundi bis nach Ägypten fließt und dort eine der frühesten Hochkulturen entstehen ließ. Doch in Kareem Hassans Denken ist nichts romantisch. Denkt er an den Nil, denkt er an den Wassermangel, der Ägypten seit Jahrzehnten quält, an schmutziges Trinkwasser und an sieben bis acht Millionen Ägypter ohne Zugang zu sanitären Anlagen. „Die Fabriken und die Landwirtschaft mit ihren Abwässern verschmutzen den Nil, die Aufbereitungsanlagen filtern das Wasser nur grob“, sagt er. „Menschen werden krank davon.“
Sechs Monate waren es, die das Leben von Kareem Hassan nachhaltig veränderten. Nach Studienabschlüssen in Agrartechnik, Umwelttechnik und Politikwissenschaft erhielt der heute 28-Jährige im Jahr 2014/2015 ein Stipendium für das IWaTec-Intensivprogramm – einer von 2012 bis 2014/2015 vom DAAD geförderten Kooperation zwischen dem Zentrum für Wasser- und Umweltforschung (ZWU) der Universität Duisburg-Essen und der Fayoum University in Ägypten. „Diese Zeit war der Wendepunkt in meinem Leben“, erzählt Hassan. Dass er in Ägypten etwas verändern wollte, hatte er sich schon lange vorgenommen. „Doch ich wusste nicht wie.“
Wie ein Schwamm sog er alles auf
In Deutschland erhielt er Antworten auf seine Fragen, tauschte sich mit Kommilitonen und Professoren aus. „Ich war wie ein Schwamm, habe alles aufgesogen, wie eine wandelnde Kamera alles registriert“, sagt er. Werfen die Leute ihren Müll auf die Straße? Wie sieht der Boden aus? Was passiert in Kläranlagen? An der Universität forschte Kareem Hassan an Algen, die Abwasser reinigen können – eine Vision für ländliche Gebiete beispielsweise in Ägypten. Mit seinem Schengen-Visum reiste er in der Freizeit quer durch Europa, doch neben Eiffelturm und Atomium nahm er die Infrastruktur unter die Lupe. „So konnte ich nicht nur erfahren, wie die Deutschen leben, sondern Grundsätzliches über Europa lernen.“ Von seinem Professor lernte er, effizient zu denken und Ideen in Realitäten umzuwandeln. „Er sagte mir immer: Bleib‘ bei einfachen, kleinen Lösungen, mach‘ es nicht zu kompliziert“, erzählt Kareem Hassan.
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Werfen die Leute ihren Müll auf die Straße? Auf seinen Reisen durch Deutschland und Europa studierte Kareem Hassan Sitten und Gewohnheiten der Bewohner
In der IWaTec-Winterschool im ägyptischen El Gouna, einer Außenstelle der TU Berlin, lernte Kareem Hassan viel über die Zustände im ägyptischen Wassersektor. Er fasste den Entschluss, das in Deutschland Gelernte in Ägypten umzusetzen. Im April 2015 gründete er die Nichtregierungsorganisation „Benaa“, zu Deutsch: Aufbau. Benaa setzt in den Projekten zur nachhaltigen Entwicklung auf die Stärke der Communities und hat dabei vor allem Ägyptens Jugend im Blick – mit mehr als 60 Prozent der Bevölkerung und einem Arbeitslosenanteil von 25 Prozent gibt es hier reichlich Potential für soziale Aktivitäten. „Wenn Menschen einfache Dinge lernen, diese aber exakt und anwendungsnah, verbessern sie damit ihre Gemeinschaften und Wohnräume“, ist er überzeugt.
Der junge Ägypter kennt die Probleme seines Landes
Das NGO-Projekt „Benaa Publishing“ begann damit, wissenschaftliche Texte zu Nachhaltigkeit ins Arabische zu übersetzen, um sie für die ägyptische Bevölkerung verständlich zu machen. 160 Freiwillige arbeiten inzwischen in dem Projekt. Gerade übersetzen sie die Informationen aus der SSWM-Toolbox, einer mit dem Innovationspreis der Internationalen Wasservereinigung ausgezeichneten Lern- und Lehr-Werkzeugkiste, die Fragen in Bezug auf nachhaltiges Wasser- und Abwassermanagement beantwortet. Benaas Übersetzungen sollen bald in einem zweiten Projekt dafür genutzt werden, die hygienischen und sanitären Verhältnisse in Flüchtlingslagern in arabischen Ländern zu verbessern.
Simon Kresmann vom Zentrum für Wasser- und Umweltforschung (ZWU) der Universität Duisburg-Essen, der die IWaTec-Kooperation koordinierte, erinnert sich gut an Kareem Hassan. „Er hat eine wirklich schnelle Auffassungsgabe und ist ein sehr guter Netzwerker“, sagt Kresmann. „Kareem Hassan hat die Zeit in Deutschland intensiv genutzt, um Leute kennenzulernen, vernetzte sich über Facebook und hält bis heute Kontakt: Er ist genau der richtige für eine Nichtregierungsorganisation, die auf Netzwerke und Multiplikatoren setzt.“ Für Kresmann ist die Wasserproblematik die Herausforderung Nummer Eins in Ägypten in den kommenden Jahren.
Wohnhütten aus Lehm statt wackeliger Wellblechkonstruktionen
Mit Wassermanagement, Nichtregierungsorganisationen und nachhaltiger Entwicklung beschäftigt sich auch die Schweizer Innovationsgesellschaft seecon, die Kareem Hassan aktuell mit einem Stipendium fördert und auch die Entwicklung der SSWM-Toolbox leitete. Zudem absolviert der 28-Jährige einen Start-Up-Kurs bei der Schweizer Nichtregierungsorganisation Cewas.
Wann immer er kann, arbeitet Kareem Hassan daran, eine „Benaa Academy“ zu etablieren. Über ein Multiplikatorenkonzept werden junge Ägypter dabei zu Leitern von Nachhaltigkeitsprojekten in ihren Wohngebieten ausgebildet. „Für 20.000 Euro könnten wir 1.000 Jugendliche schulen“, erzählt Hassan. Dafür sucht er gerade Sponsoren. In einer informellen Siedlung hätten Teams bereits begonnen, stabile Wohnhütten aus Naturmaterialien wie Lehm, Stein und Holz zu bauen – und damit wackelige Wellblechkonstruktionen zu ersetzen. Danach will sich Kareem Hassan seinem Herzensthema widmen: dem Nil.
Sarah Kanning (22. Februar 2016)
Weiterführende Links
Das Zentrum für Wasser- und Umweltforschung (ZWU) der Universität Duisburg-Essen