Kolumbien: Austausch im entscheidenden Moment

DAAD

In Bogotá auf dem Campus der Universidad de los Andes: die Gruppe der "Kanzlerreise" vor einem Denkmal von Albertus Magnus – ein Geschenk der Universität Mainz

Die hochschulpolitische Informationsreise der Internationalen DAAD-Akademie (iDA) führte im Frühjahr 2016 nach Kolumbien. Es war die 20. vom DAAD organisierte Reise dieser Art und die teilnehmenden Kanzler deutscher Universitäten erlebten das Land in Aufbruchsstimmung vor einer historischen politischen Wende – der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und der Rebellenorganisation Farc.

Anspannung war in diesen Tagen in Kolumbien zu spüren, zugleich viel Hoffnung und Aufbruchsstimmung. Letztere hat auch die kolumbianische Hochschullandschaft erfasst. Das registrierten Dr. Gabriele Althoff, die Leiterin des Referats „Internationale DAAD-Akademie (iDA)“, und die 13-köpfige Delegation der diesjährigen „Kanzlerreise“ auf den verschiedenen Stationen in dem südamerikanischen Land. So auch an der Universität von Antioquia in der Metropole Medellín. Dort wurden sie von den kolumbianischen Gastgebern direkt in den Forschungsturm geführt – in das biotechnologische Labor von Professorin Lucía Atehortúa. „Diese Wissenschaftlerin versprühte eine Energie – man hätte ein Fußballstadion damit illuminieren können“, erzählt Manfred Nettekoven, der Kanzler der RWTH Aachen begeistert und stellt im Geist Frau Atehortúa schon den deutschen Doktoranden der RWTH vor. „Ich würde gerne mit dieser spannenden und kreativen Persönlichkeit vermitteln, wie erfolgreich eine wissenschaftliche Karriere auch unter weniger einfachen Bedingungen verlaufen kann.“

Fortschritt, Enthusiasmus und Klugheit

Nicht nur die Biotechnologin, die heute in einem hervorragend ausgestatteten Labor mit 60 Doktoranden und Postdocs ungewöhnliche Experimente mit Molekülen unter Licht, Musik und rhythmischen Einflüssen macht, beeindruckte Nettekoven. „An allen Universitäten war ein solcher Enthusiasmus zu spüren – gepaart mit vielen sehr klugen Ideen, wie man mit Wissenschaft und Forschung Kolumbien entwickeln will.“ Deutlich spürbar war auch die Bedeutung des Friedensprozesses, die alle Gastgeber an den vier wichtigsten Universitäten des Landes, im Wissenschaftsministerium und in den Förderorganisationen betonten. „Diesen Moment verstehen alle bildungspolitisch Verantwortlichen vor allem auch als große Chance, die internationale Kooperation voranzutreiben und die Isolation des Landes durch den Jahrzehnte lang andauernden Konflikt zu überwinden“, sagt Dr. Reinhard Babel, Leiter des DAAD-Informationszentrums (IC) in Bogotá.

Die deutschen Kanzler, die sich auf der Reise in einem dichten Programm über das Hochschulsystem, die Autonomie, Verwaltungsstrukturen oder Finanzierung der Universitäten informierten, gewannen zahlreiche Eindrücke von der dynamischen Entwicklung Kolumbiens. Viele waren wie Manfred Nettekoven zum ersten Mal vor Ort und überrascht, dass sie gerade auf der akademischen Ebene ein weitaus fortschrittlicheres Land erlebten als von Ferne vermutet. Mehr als 50 Jahre Bürgerkrieg und Drogenkrieg prägen oft die Wahrnehmung des Landes, aber die konkreten Erfahrungen der Reise zeigten eine andere Realität, sagt Reinhard Babel. „Seit beinahe 15 Jahren vollzieht sich in Kolumbien ein gesellschaftlicher und politischer Wandel und die soziale Schärfe des Konflikts hat sich deutlich gemildert.“

Ehrgeizige Ziele

Das kolumbianische Bildungsministerium und Colciencias, die Wissenschaftsabteilung der Regierung, haben ehrgeizige Ziele. Bis 2025 will Kolumbien die gebildetste Nation in Lateinamerika sein. Das Land setzt auf Exzellenz in der Wissenschaft und auf einen gerechteren, breiteren Zugang zur Hochschulbildung. „Die unterschiedlichen Ansätze parallel zu verfolgen, ist eine große Herausforderung und ein sehr ambitioniertes Ziel“, sagt RWTH-Kanzler Nettekoven und ist auch hier beeindruckt von vielen vernünftigen Ansätzen. Mit Krediten der Weltbank wollen die Kolumbianer in den nächsten zehn Jahren 10.000 Doktoranden und Studierende ins Ausland schicken, außerdem rund 6.000 Studierende vor ihrem ersten Abschluss. Die Programme für Auslandserfahrungen sollen ineinandergreifen und sich durch ein ganzes Studium bis in die Postdoc-Phase ziehen. „Denn Kolumbien hat pro Jahr zu wenig Promotionen, um den Nachwuchs an Dozenten sichern zu können“, sagt Gabriele Althoff. „Hier besteht eine große Chance, die bildungshungrigen Kolumbianer an deutsche Hochschulen zu holen.“

Viele finanzielle Mittel, die Kolumbien insbesondere durch seine Rohstoffressourcen gewinnt, stehen derzeit auch bereit, um die Verbindungen von Spitzenforschung und Industrie zu fördern. Mit großen Summen sollen regional relevante Projekte gefördert werden, wie etwa der Straßenbau in Problemregionen. Der Forschungsverbund CEIBA, dessen Vertreter die Delegation aus Deutschland ebenfalls zu Gesprächen traf, machte deutlich, dass man für Themen wie Regionalplanung oder erneuerbare Energien auch deutsche Partner suche.

Großes Interesse an Kooperation mit Deutschland

Die Bedingungen für Kooperationen könnten besser nicht sein – die kolumbianischen Gastgeber setzten während der Reise deutliche Signale, dass sie Deutschland als Partner in der aktuellen Situation dringend bräuchten. „Das Ansehen der deutschen Hochschulen und Forschungsinstitute ist in Kolumbien sehr hoch“, sagt Gabriele Althoff. Alle Universitäten und Institutionen hatten sich auch deshalb präzise und umfangreich auf die Fragen der deutschen Delegierten vorbereitet, überall nahmen sich die Rektoren persönlich ausgiebig Zeit für Diskussionen. „Und die Gastfreundschaft war überwältigend.“

Erste Ideen zur Zusammenarbeit haben sich aus der inspirierenden Reise schon ergeben. Hochschuladministration, berichtet Gabriele Althoff, werde in Kolumbien vielfach von Akademikern betrieben. „Aber die Administration so großer Programme erfordert ein besonderes Internationalisierungsmanagement – hier wäre der DAAD ein guter Ansprechpartner.“ Die deutschen Kanzler können sich nach der Reise jedenfalls gut vorstellen, die kolumbianischen Partner in Form von Workshops in Deutschland zu unterstützen.

In Medellín konnten sich die Kanzler übrigens auch außerhalb der Sitzungsräume von der Innovationskraft Kolumbiens überzeugen. Eine Stadtführung durch das spektakuläre Metro- und Seilbahnsystem, das mit riesigen Rolltreppen das Konzept verfolgt, in den armen Stadtteilen sozial marginalisierte Schichten anzubinden und zu integrieren, hat viel Eindruck hinterlassen. „Die Gäste konnten erleben, dass sich gute Ideen in Kolumbien auch in der Realität umsetzen lassen“, sagt IC-Leiter Reinhard Babel. „Diese Reise kam wirklich im entscheidenden Moment.“

Bettina Mittelstraß (4. April 2016)