DAAD und europäische Partner eröffnen neue Perspektiven für syrische Studierende
British Council
Wertvoller Neuanfang: Das HOPES-Programm richtet sich an syrische Studierende, die ihr Studium aufgrund von Flucht und Vertreibung unterbrechen mussten
Hoffnung durch Bildung: Das aus Mitteln des EU-Treuhandfonds „Madad Fund“ finanzierte Programm HOPES („Higher and Further Education Opportunities and Perspectives for Syrians“) wird in den kommenden Jahren mehr als 300 Vollstipendien sowie Plätze für Kurzzeitstudien und Sprachkurse an syrische Flüchtlinge in der Türkei, dem Libanon, Jordanien, dem Irak und Ägypten vergeben. Dr. Carsten Walbiner vom DAAD leitet HOPES von Amman aus als Programmdirektor. Im Interview zum offiziellen Auftakt des Programms spricht er darüber, wie wichtig der Austausch mit den europäischen Partnern British Council, Campus France und Nuffic ist – und was HOPES für die syrischen Stipendiaten erreichen möchte.
Herr Dr. Walbiner, das HOPES-Programm richtet sich an syrische Studierende, die in andere Länder des Nahen Ostens und in die Türkei fliehen mussten. Was möchte das Programm erreichen?
Carsten Walbiner: HOPES möchte vor allem erreichen, dass junge Syrerinnen und Syrer nach ihrem Studienabbruch doch noch einen Abschluss erlangen können. In einer ersten, ganz menschlichen Reaktion wurden sie vielfach vor allem als Flüchtlinge gesehen. Jetzt muss es aber stärker darum gehen, sie als Studierende zu sehen und entsprechende Fragen zu beantworten. Wir sind sehr zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, die geeignetsten Bewerber auszuwählen. So kann HOPES langfristig zu einem Wiederaufbau Syriens beitragen, aber auch die Akzeptanz der Flüchtlinge in den Ländern der Region erhöhen. Jede Universität ist froh, wenn sie engagierte Studierende gewinnen kann.
Der DAAD ist im Rahmen von HOPES insbesondere für die umfassende Bildungsberatung der syrischen Bewerber und ihre Vermittlung in geeignete Bildungsangebote zuständig. Legen Sie auch speziellen Wert auf ausgewählte Fächergruppen?
Wir haben uns in Anlehnung an die grundsätzliche Haltung des DAAD dazu entschieden, das Fächerspektrum nicht zu beschränken. Allerdings stellen wir schon heraus, dass bestimmte Fächer – etwa in den Ingenieurwissenschaften oder auch im sozialen Bereich – natürlich für den Aufbau einer kriegszerstörten Gesellschaft besondere Bedeutung haben. Unsere Erfahrung ist aber, dass man nicht so pauschal an die Dinge herangehen sollte. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass auch Persönlichkeiten aus anderen Fachbereichen viel für gesellschaftlichen Aufbau leisten, wie etwa der evangelische Theologe Mitri Raheb, der in den Palästinensischen Gebieten ein College gegründet und viel für die praxisorientierte Bildung getan hat. Wir werden versuchen, bei der Auswahl der Stipendiaten fachlichen Ungleichgewichten vorzubeugen. Lassen Sie es mich so sagen: Nur mit hervorragenden Philosophen bauen sie ein Land nicht wieder auf, aber den Philosophen von vornherein auszuschließen, ist auch nicht unsere Haltung.
Welche Rolle spielen soziale Kriterien bei der Stipendienvergabe?
Das entscheidende Kriterium bleibt die akademische Leistung, weil das bei einem solchen Vorhaben der entscheidende Erfolgsgarant ist. Zugleich gilt, dass HOPES ein spezielles Programm ist: Es geht darum, einen Wiederaufbau Syriens vorzubereiten. Fachliche Eignung kann nicht das einzige Auswahlkriterium sein. Wir werden auch darauf achten, was die Bewerber motiviert, zum Wiederaufbau Syriens beizutragen. Auch Bewerberinnen und Bewerber aus benachteiligten Familien sollen eine Chance erhalten. Es gibt große Unterschiede in den persönlichen Lebensverhältnissen und in den persönlichen Schicksalen. Das werden wir in aller Vorsicht, gegebenenfalls durch das Hinzuziehen von Sozialarbeitern, herausarbeiten. Unsere Regel wird sein, dass bei gleicher Eignung der sozial Schwächere den Vorzug bekommen soll. Wir tun aber niemandem einen Gefallen, wenn wir versuchen, mangelnde akademische Qualifikation auszugleichen. Keinem ist geholfen, wenn jemand nach ein paar Semestern aus der Universität ausscheiden muss, weil er den Anforderungen nicht gewachsen ist.
Inwieweit profitiert der DAAD beim HOPES-Programm von seinen Erfahrungen in den Ländern der Region?
Der DAAD verfügt nicht nur über Erfahrung in der Türkei und im Nahen Osten, sondern auch über eine sehr gute regionale Struktur: Wir haben eine Außenstelle in Kairo und Informationszentren in Amman, Beirut und Erbil sowie gleich zwei Informationszentren in der Türkei, in Ankara und Istanbul. Wir sind somit in allen fünf Projektländern von HOPES institutionell vertreten und verfügen auch über wertvolle Erfahrungen im Projektmanagement in der Region. Unser Vorteil beschränkt sich nicht darauf, dass ein paar deutsche Kollegen vor Ort sind. Der DAAD profitiert insbesondere von den Netzwerken, die er in den vergangenen Jahren aufbauen konnte, natürlich im Hochschulraum, aber auch im administrativen und staatlichen Bereich. Ohne diesen Hintergrund der personellen und projektbezogenen Erfahrung könnte man ein Vorhaben wie HOPES sicherlich nicht realistisch gestalten. Schließlich sind nach wie vor Fragen zu klären, etwa bezüglich der Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber: Wer ist in der Lage, ein Hochschulstudium wiederaufzunehmen? Sind die Dokumente, die von ihnen vorgelegt werden, tatsächlich originale Dokumente? Wir müssen sicherstellen, dass das dort verbürgte oder ausgedrückte Wissen tatsächlich von der Person verkörpert wird, die das Dokument vorlegt.
Bei HOPES setzt der DAAD sämtliche Maßnahmen mit seinen Partnern British Council, Campus France und Nuffic aus den Niederlanden um. Offensichtlich funktioniert hier die europäische Zusammenarbeit sehr gut, was in der Flüchtlingskrise keine Selbstverständlichkeit ist.
Auch hier spielt Erfahrung und das daraus erwachsene Vertrauen eine große Rolle. Zwar sind British Council, Campus France und Nuffic in ihren Ansätzen und ihrer Struktur nicht identisch mit dem DAAD, wir arbeiten aber seit Langem eng mit unseren europäischen Partnern zusammen. Man weiß, mit wem man es zu tun hat und schätzt sich gegenseitig. So profitiert HOPES zum Beispiel auch von der sehr traditionsreichen Verbundenheit unserer französischen Kollegen mit dem Libanon und ihrer außergewöhnlichen Akzeptanz in der libanesischen Öffentlichkeit und Gesellschaft. Bildung ist mittlerweile eine transnationale Unternehmung, bei der das gemeinsame Agieren unterschiedlicher Partner ganz natürlich ist. Zudem sehen wir im Nahen Osten, dass es viel mehr qualifizierte Nachfrage nach Stipendien gibt als Angebote. Ich denke, HOPES kann dauerhaft zu einem Vorbild für europäische Zusammenarbeit werden.
Interview: Johannes Göbel (29. April 2016)
Weitere Informationen
Website „Flüchtlinge an Hochschulen – Programme und Maßnahmen“