Europa (er)leben – gerade jetzt!
DAAD/Andreas Paasch
Für eine offene europäische Gesellschaft: DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel bei der Begrüßung der Gäste des DAAD-Fests 2016
Das DAAD-Fest in Berlin mit rund 200 Gästen aus Politik, Diplomatie, Wissenschaft und den zahlreichen Vertretern des internationalen DAAD-Netzwerks war ein klares Votum für die europäische Idee. Im Angesicht mehrerer Krisen, die Europa auseinanderzureißen drohen, zeigte der Abend eindrücklich den Wert und Erfolg des europäischen Austauschs.
Backhendl oder Börek, Erdäpfel oder Penne oder Linsensuppe – Europa kann man sich auch einverleiben. Die kulinarische Auseinandersetzung ist jedenfalls leichter und selbstverständlicher als die politische. Besonders in der aktuellen Situation: Das britische Referendum über einen „Brexit“ – den Ausstieg aus der Europäischen Union –, die Eurokrise, die vor allem Griechenland noch immer erschüttert, oder die Flüchtlingskrise, die europäische Grenzzäune zurückbringt, drohen die Union zu zerrütten. Auf seinem jährlichen Berliner Fest setzte der DAAD deshalb ein starkes Signal für den europäischen Zusammenhalt – und lud seine Gäste zugleich zur kulinarischen Europareise ein.
Wissenschaft als Schule des gegenseitigen Respekts
„Wir müssen unsere Wissensallianzen in Europa weiter stärken“, sagte DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel angesichts der zahlreichen Herausforderungen in ihrer Begrüßungsrede vor den Vertretern aus Bundestag, deutschen Ministerien, den Leitungen deutscher Hochschulen und den Wissenschaftsreferenten mehrerer ausländischer Botschaften. Das Wissenschaftssystem sei ein sehr guter Funktionsbereich der Gesellschaft, in dem man Respekt vor anderen Kulturen lernen könne und die Bereitschaft groß sei, sich auf andere Kulturen einzustellen. „Nirgendwo sonst als an Universitäten und Hochschulen wird so frei über eine offene europäische Gesellschaft und unsere gemeinsamen Werte gesprochen.“
DAAD/Andreas Paasch
Austausch für Europa (v. l.): Alexander Roggenkamp, Chiara Sacchetti, der Moderator der Runde und stellvertretende DAAD-Generalsekretär Ulrich Grothus, Dániel Kriszán und Henning Grunwald
Ein offenes Gespräch über die Krisen innerhalb Europas bildete deshalb auch den Auftakt zum DAAD-Fest. Vier Podiumsgäste aus der DAAD-Familie gaben ihre Einschätzung über die Stimmung in Griechenland, Großbritannien, Ungarn und Italien ab. „Im britischen Wissenschaftsbereich wissen viele, was sie bei einem ‚Brexit‘ zu verlieren haben, und argumentieren dagegen an“, verdeutlichte Dr. Henning Grunwald, DAAD-Fachlektor für Geschichte an der Universität Cambridge. Alexander Roggenkamp erlebt als Leiter des DAAD-Informationszentrums in Athen indes täglich, wie Griechenland zwischen Euro- und Flüchtlingskrise aufgerieben wird. Man fühle sich dort oft allein gelassen; in der Beziehung zu den europäischen Partnern wechselten sich Vertrauen und Ablehnung ständig ab.
Europäische Identität durch erlebte Vielfalt
Was können Hochschulen, Studierende und Wissenschaftler angesichts der Krisen noch tun, um den europäischen Dialog in Gang zu halten? Die Erasmus-Stipendiatin Chiara Sacchetti aus Italien engagiert sich zum Beispiel im Programm „Europa macht Schule“, das die Nationale Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD koordiniert. Chiara Sacchetti leitete in einer deutschen Schulklasse ein Projekt, um das Interesse für Europa zu wecken, und stellte Fragen wie: Was ist „italienisch“? Was heißt „deutsch“? Was bedeutet „europäisch“ – und was ist „menschlich“? Die junge Studentin, die an der Freien Universität Berlin einen Masterstudiengang zu den Sprachen Europas absolviert, ist überzeugt: „Wenn man Vielfalt erleben kann, dann kann man auch eine gemeinsame Identität schaffen.“
Vielfalt boten während des DAAD-Fests auch neun Themen- und Ländertische, die über das DAAD-Engagement für europäische Mobilität und Austausch informierten – von Lektorenprogrammen über die DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien bis zum Erfolgsprogramm Erasmus+. Dr. Hanns Sylvester, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD, hob unter anderem den Wert der Lokalen studentischen Erasmus+ Initiativen (LEI) an deutschen Hochschulen für die Verbreitung der europäischen Idee hervor. Ehemalige deutsche Erasmus-Studierende setzten sich in den Initiativen dafür ein, andere Studierende von einem Auslandsaufenthalt zu überzeugen. „Sie beziehen dabei internationale Erasmus-Studierende in Deutschland als Länder-Botschafter in ihren Dialog mit ein.“ Das Informationsangebot nutzten besonders die Gäste aus dem parlamentarischen Raum – zahlreiche Abgeordnete, wie die Vorsitzenden des Bildungsausschusses und des Unterausschusses für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Patricia Lips und Dr. Bernd Fabritius, sowie wissenschaftliche Mitarbeiter mehrerer Abgeordnetenbüros.
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Auch Geselligkeit gehört dazu: Zahlreiche Gespräche und persönliche Begegnungen bereicherten das DAAD-Fest
Augen auf – und die Stimme für Europa erheben
Auch Dániel Kriszán, Stipendiat aus Ungarn im DAAD-Programm für die Absolventen Deutscher Auslandsschulen, gehört zu den engagierten jungen Menschen, die längst eine europäische Identität haben. „Wir machen deshalb die Augen auf, wenn diese Idee gefährdet wird.“ Der junge Ungar studiert Rechtswissenschaft an der Freien Universität Berlin und betont: „Wir müssen die Diskussion suchen!“ Sein Vorschlag für noch mehr offene Debatten über die europäischen Fragen sind mehr Alumni-Treffen der geförderten Stipendiaten Europas. Denn damit verbinde sich die Chance, die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der europäischen Mobilität noch deutlicher zu kommunizieren. Mit diesem Plädoyer wurden die rund 200 Gäste in ihre eigenen vielfältigen Diskussionen und Debatten über Europa entlassen – und an das bunte europäische Buffet.
Bettina Mittelstraß (2. Juni 2016)