Zentren für Deutschland- und Europastudien: Eine Weltreise zum Jubiläum

ZDS Peking

Gruppenbild mit Zentrumsleiter: einige Mitglieder des ZDS Peking um Direktor Huang Liaoyu (vordere Reihe, 3. v. r.)

Sie bilden ein außergewöhnlich facettenreiches, weltweit gewachsenes Netzwerk: Die DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien können 2016 ein Jubiläum feiern. Die Förderung der ersten der interdisziplinären Zentren aus Mitteln des Auswärtigen Amts begann vor 25 Jahren in Berkeley, Georgetown und Harvard. Heute zählt das Zentrennetzwerk Mitglieder in vielen Ländern, neben den USA zum Beispiel in China, Frankreich und Israel. Im Vorfeld der großen Jubiläumsveranstaltung Anfang Dezember 2016 an der Georgetown-Universität in Washington stellt DAAD Aktuell einzelne Zentren in loser Folge vor. In Teil eins: das Zentrum für Deutschlandstudien an der berühmten Peking-Universität.

Die in Europa viel diskutierte „Flüchtlingskrise“ und die gesellschaftlichen Auswirkungen der Migration sind derzeit auch in China ein Thema. „Deutschland wird durch die Migration verändert, es gibt kulturelle und politische Konflikte“, sagt der Germanistikprofessor Huang Liaoyu, der seit 2013 als Direktor das Zentrum für Deutschlandstudien (ZDS) an der oft auch als „Harvard Chinas“ bezeichneten Peking-Universität leitet. Am 17. und 18. September 2016 lädt das ZDS deutsche und chinesische Forscher ein, um auf einer Konferenz das Thema Migration und Flucht zu diskutieren. „Unsere Wissenschaftler können dabei die chinesische Perspektive einbringen“, sagt Huang.

Konferenzen wie diese, die bei Weitem nicht nur Deutschlandforschern offenstehen, sind eines der Markenzeichen des ZDS, an dem neben der Peking-Universität auch die Freie Universität (FU) Berlin und die Humboldt-Universität (HU) zu Berlin beteiligt sind. Das vom DAAD geförderte Zentrum betreibt als Lehr- und Forschungseinrichtung interdisziplinäre Deutschlandstudien. „Das Zentrum ist Anziehungspunkt für bedeutende chinesische Deutschlandforscher und dient als Forum für den binationalen Dialog zu wissenschaftlichen, kulturellen und politischen Themen“, sagt Professor Huang. Sozial- und Geisteswissenschaftler aus den verschiedensten Disziplinen, von Jura über Philosophie, Soziologie und Psychologie bis hin zu den Wirtschaftswissenschaften, beteiligen sich daran. „Ein langfristig angelegtes Forschungsprogramm gibt dafür den Rahmen“, erklärt Benjamin Langer, der an der FU Berlin das ZDS-Koordinierungsbüro leitet. Dazu zählten etwa die Themen Bürgertum und Zivilgesellschaft im deutsch-chinesischen Vergleich, die Europäische Aufklärung und ihre Wirkungsgeschichte in China sowie das Thema kulturelles Gedächtnis und damit die Frage nach Tradition und moderner Gesellschaft im deutsch-chinesischen Vergleich.

Traditionsreich – und fit für die Globalisierung

„Gemeinsame Fragen und Probleme in unterschiedlichsten Facetten aus verschiedenen Blickwinkeln auszuleuchten, ist eine der großen Stärken eines solchen Zentrums“, betont der Juraprofessor Martin Heger, der an der HU Berlin für das ZDS zuständig ist. Dass die Schwerpunkte des ZDS auf großes Forscherinteresse stoßen, beobachtet auch Professor Almut Hille, seit 2015 auf Seiten der FU Berlin Projektleiterin für das ZDS. Die Germanistin am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der FU hält regelmäßig Forschungsworkshops an der Peking-Universität, zuletzt etwa zu Themen wie Rationalität oder Eigentum. „Die Peking-Universität hat eine starke geistes- und sozialwissenschaftliche Tradition“, sagt sie. Es gebe eine große Unterstützung für das ZDS und eine starke Verbundenheit zu Deutschland – auch weil der frühere Pekinger Rektor Cai Yuanpei, einer der bedeutendsten Forscher Chinas zu Beginn des 20. Jahrhunderts, an der Universität Leipzig studiert hatte.

25 Jahre DAAD-geförderte Zentren für Deutschland- und Europastudien: das ZDS Peking

Benjamin Langer

Auf neuen Wegen (v. l.): Benjamin Langer, Martin Heger und Almut Hille mit Studierenden auf dem zugefrorenen Pekinger Kunming-See

Gute Gründe, warum die gegenwärtige Kooperation am ZDS auch auf hochschulpolitischer Ebene wichtig ist, nennt Professor Klaus Mühlhahn, Vizepräsident der FU Berlin. „China hat sich zu einer der vitalsten Wissenschaftsregionen der Welt entwickelt“, sagt er. Derzeit studierten dort rund 20 Millionen Menschen – in Deutschland sind es rund 2,8 Millionen. China habe in den vergangenen Jahrzehnten enorm an wirtschaftlicher und kultureller Bedeutung gewonnen. „In einer globalisierten Welt ist es wichtig, dass Wissenschaft Kenntnisse und Wissen über das moderne China vermittelt. Diesen Bedarf mit einem Bezug zu Deutschland deckt das ZDS vorzüglich ab“, sagt der Sinologe Mühlhahn.

Offener Austausch, aktuelle Themen

Wichtig ist das Zentrum aber nicht nur, weil es die binationale Zusammenarbeit vorantreibt, sondern weil es auch neue Bande knüpft. So konnte der Rechtswissenschaftler Martin Heger zum Beispiel Anfang 2016 mit einem Strafrechtler der Peking-Universität, der nicht am ZDS beheimatet ist, eine juristische Zusammenarbeit zum Thema Meinungsfreiheit anschieben. „Ohne das ZDS wäre das nicht so schnell möglich gewesen“, sagt er. Mit den ebenfalls vom DAAD geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien in Seoul und Tokio organisierte das ZDS 2015 erstmals eine ostasiatische Zentrenkonferenz. „Nation, Nationalismus und nationales Gedächtnis“ lautete das nicht zuletzt angesichts der aktuellen, zwischenstaatlichen Spannungen in der Region hochaktuelle Thema. „Solche Forschungskontakte haben einen Mehrwert, der über den binationalen Austausch hinausgeht“, sagt Martin Heger über die fruchtbare Zentrenkooperation.

Eine weitere Säule des ZDS ist die Lehre. Deren Herzstück ist der im Jahr 2005 gestartete Masterstudiengang „Deutsche Kultur und Sozialer Wandel“ an der Peking-Universität, der fundiertes Wissen der deutschen Kultur und Gesellschaft vermittelt. Zwar gilt die Etablierung des interdisziplinären Studiengangs, bei dem die chinesischen Masterstudierenden ein Jahr in Berlin verbringen, schon jetzt als Erfolg, aber die Teilnehmerzahlen könnten noch höher sein. „Für viele Studierende sind die Hürden der Deutschkenntnisse noch sehr hoch“, sagt Zentrumsdirektor Huang. Freie Universität und Humboldt-Universität organisieren deshalb im Juli 2016 erstmals eine Summerschool für Studierende aus China. „Die zweiwöchige Veranstaltung soll Master-Interessenten sprachliche Kenntnisse und landeskundliche Inhalte, etwa zur Geschichte oder zum Staatswesen vermitteln“, erläutert Martin Heger. Mit der Masterausbildung soll die deutsch-chinesische Zusammenarbeit nicht enden. Nach aktuellen Zahlen geht durchschnittlich ein Drittel der Masterstudierenden des ZDS zur Promotion nach Deutschland. „Künftig will das ZDS mehr Doktoranden aus China anlocken“, berichtet Almut Hille über den geplanten Ausbau der Doktorandenausbildung am Zentrum.

Vernetzung für die Zukunft

Ganz grundsätzlich profitiert das ZDS von dem herausragenden Umfeld an der Peking-Universität, die vielen als die Spitzenuniversität Chinas gilt. „Sich mit deutschen Wissenschaftlern zu vernetzen, hat einen hohen Stellenwert an der Peking-Universität“, berichtet Martin Heger. Das kann ZDS-Leiter Huang Liaoyu nur bestätigen, der zudem auf die Exzellenz der Hochschule verweist. „An der Peking-Universität sind viele hochkarätige Wissenschaftler versammelt, die sich mit Deutschland beschäftigen“, sagt er. Damit die deutsch-chinesische Kooperation weiter gestärkt werden kann, hat das ZDS einen Beirat eingeführt, der im September 2016 erstmals zusammenkommt und dem etwa die ehemalige Bundesjustizministerin Professor Herta Däubler-Gmelin und der amtierende chinesische Botschafter in Berlin Shi Mingde angehören. „Der Beirat soll dem Zentrum zu noch mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit verhelfen“, sagt Almut Hille. Eine Idee, die dem ZDS auch in Zukunft Aufschwung verleihen dürfte.

Benjamin Haerdle (20. Juni 2016)

Weitere Informationen

Das Zentrum für Deutschlandstudien (ZDS) an der Peking-Universität wurde im Jahr 2002 gegründet. Seit dem Jahr 2005 wird es in einer engen Kooperation mit der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin vom DAAD finanziell gefördert. 31 Wissenschaftler der Peking-Universität sind Mitglieder des ZDS. Zwölf Mitglieder der beiden Berliner Universitäten bilden den wissenschaftlichen Beraterkreis. Darüber hinaus gehören zum ZDS zahlreiche renommierte Deutschlandexperten, die nicht nur an seiner Lehr- und Forschungsarbeit mitwirken, sondern auch Brücken der Zusammenarbeit zwischen dem ZDS und ihren jeweiligen Hochschulen und Forschungseinrichtungen schlagen. Geleitet wird das ZDS von dem renommierten Deutschlandkenner Professor Huang Liaoyu, der nicht zuletzt auch ein Übersetzer mehrerer deutscher Autoren ist, etwa von Martin Walser, Sven Regener und Thomas Mann.