Pionierin in Nepal
Barbara Meyer
Unterwegs mit Jeep und mobilem Labor: Barbara Meyer im Nepal der 1960er-Jahre
Manchmal ist ein Stipendium wie eine Weichenstellung für den ganzen weiteren Lebensweg: Ein Porträt der DAAD-Alumna Dr. Barbara Meyer, die in den 1960er-Jahren als eine der allerersten Stipendiatinnen nach Nepal ging.
Ob sie das wohl packt? Etwas skeptisch sei man im Herbst 1966 beim DAAD gewesen, ob man es wagen könne, die junge, promovierte Biologin allein nach Nepal zu schicken, um dort Gewässer zu untersuchen, erinnert sich Dr. Barbara Meyer an ihre Bewerbung um ein einjähriges Forschungsstipendium. „Aber ich kann das verstehen“, sagt die inzwischen pensionierte Wissenschaftlerin. „Es war ein Risiko für den DAAD; die Sorge zeugte von Verantwortungsbewusstsein.“ Entscheidend für die Bewilligung waren dann wohl ihre schon erworbene Auslandserfahrung und ihre realistische Einschätzung des Forschungsprojekts: „Ich hatte bereits in Namibia Material für meine Doktorarbeit gesammelt. Zugleich wies ich darauf hin, die Bedingungen in Nepal nicht zu kennen und deshalb nicht versprechen zu können, ob sich meine Untersuchungen wie geplant realisieren lassen würden.“ Kein Wunder: Ihr Vorhaben war in Nepal wissenschaftliches Neuland. Auch das beeindruckte die Kommission und die Wissenschaftlerin konnte im Frühjahr 1967 nach Nepal aufbrechen.
Barbara Meyer
Feldforschung im Kathmandutal: Barbara Meyer bei der Entnahme von Wasserproben
Mit dem Zug ging es nach Marseille. Dort bestieg sie mit der Forschungsausrüstung die „Cambodge“, eines der letzten großen Passagierschiffe, und fuhr nach Bombay, das heutige Mumbai. Von dort ging es weiter nach Delhi und schließlich nach Kathmandu in Nepal. Im dortigen Nepal Research Center der Fritz Thyssen Stiftung wohnte und arbeitete Barbara Meyer während ihres Stipendiums. „Schon in Bombay wurde ich von indischen Freunden und in Delhi von DAAD-Mitarbeitern betreut und mit dem für mich fremden Nepal vertraut gemacht“, berichtet Barbara Meyer. Die Dorfteiche im Kathmandutal und Seen bei Pokhara – Nepals zweitgrößte Stadt 200 Kilometer westlich von Kathmandu – waren damals noch unerforscht, sagt sie. Ihre limnologischen Untersuchungen – Limnologie ist die Wissenschaft von den Binnengewässern als Ökosystem – sollten Aufschluss über die chemisch-physikalischen Eigenschaften und die Zusammensetzung des Phytoplanktons der Gewässer geben. „Bei den Entnahmen von Wasserproben im Kathmandutal habe ich mit einem nepalesischen Fischereibiologen zusammengearbeitet, der in Hamburg ausgebildet worden war. Er unterstützte mich auch als Dolmetscher“, erzählt Barbara Meyer. Ihre Forschungsexkursionen seien für die Einheimischen immer ein großes Ereignis gewesen: „Wenn ich zum Beispiel mit dem Jeep an den Dorfteich fuhr, war ich sofort umringt von neugierigen Menschen.“ Die Seen bei Pokhara waren nur mit dem Flugzeug zu erreichen. Die Ausrüstung wurde nach der Landung auf Ochsenkarren umgeladen oder man erreichte die Seen mit Packpferden. Am Ufer des Sees wurde ein Zelt aufgebaut. Das Ruderboot der Fischereiabteilung am größten See war unbrauchbar. Mit einem geliehenen Einbaum klappte es aber auch.
Die Biologin war es gewohnt zu improvisieren. Auch in Deutschland sei die Ausstattung der Institute seinerzeit nicht üppig gewesen, sagt sie. Ihre Forschung in Nepal war erfolgreich und brachte neue Erkenntnisse: „Ich konnte zwei Artikel in Fachzeitschriften veröffentlichen.“ Für ihre wissenschaftliche Karriere sei das DAAD-Stipendium eine Weichenstellung gewesen. Um das Probenmaterial aus Nepal zu analysieren, knüpfte sie Kontakte zu Experten in Paris, Prag, Pretoria, Lund und Uppsala. Aufgrund ihrer Spezialkenntnisse der Klassifizierung von Phytoplankton erhielt sie eine Anstellung am Max-Planck-Institut (MPI) für Limnologie im norddeutschen Plön (seit 2007 MPI für Evolutionsbiologie). „Ich bin dem DAAD sehr dankbar für das Vertrauen und dafür, dass er es mir ermöglicht hat, ergebnisoffene Forschung betreiben zu können“, sagt Barbara Meyer rückblickend.
Barbara Meyer
Barbara Meyer beim Besuch von Schülerinnen der "Children of Sikkim Foundation", die ihre jeweiligen Volkstrachten der Himalayavölker der Lepcha, Bhutia und Nepalesen tragen
Auch in persönlicher Hinsicht habe sie die Zeit in Nepal bereichert. „Das dortige Leben in Großfamilien hat mich beeindruckt. Die im Vergleich zum damaligen Deutschland liberale Art mit Kindern umzugehen hat sich sicherlich auf die Erziehung meiner Tochter ausgewirkt.“ Seitdem ist Barbara Meyer von asiatischen Länder fasziniert. Im März 1995 führte sie eine Reise in den indischen Bundesstaat Sikkim, östlich von Nepal. Die Verhältnisse dort bewogen die Reisegruppe, das Kinderhilfswerk „Children of Sikkim Foundation“ zu gründen, das bedürftige Kinder der Himalaya-Bevölkerung unterstützt. Auch Barbara Meyer hat eine Patenschaft übernommen und finanziert die Ausbildung einer jungen Frau. „Meine Patentochter hat inzwischen ihr Masterstudium absolviert und lernt zurzeit noch für das Civil-Service-Examen.“ Das DAAD-Stipendium sei eine vielfach prägende Erfahrung für ihr Leben gewesen, so die Alumna – und die Menschen und Orte, die sie dadurch kennengelernt hat, möchte Barbara Meyer nicht missen.
Claudia Wallendorf (6. Juli 2016)