Interview zum Brexit: „Der freie Austausch von Ideen steht jetzt zur Debatte“
DAAD/Andreas Paasch
DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel bedauert die Entscheidung der Briten für den Brexit
Großbritannien hat sich für einen Austritt aus der Europäischen Union entschieden. Im Interview spricht DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel über die möglichen Folgen für Wissenschaftskooperationen, Studierendenaustausch und internationale Projekte.
Frau Professor Wintermantel, die Briten haben sich im Juni 2016 für einen Austritt aus der Europäischen Union entschieden. Wie bewerten Sie die Situation?
Margret Wintermantel: Ich finde sie schlimm. Der Brexit wird die Kooperationen zwischen britischen und europäischen Universitäten erschweren. Für die Hochschulen, für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und für die Studierenden war das keine gute Entscheidung.
Obwohl noch gar nicht klar ist, wie sich die Beziehungen in der Wissenschaft zwischen Großbritannien und der EU künftig gestalten werden, spüren die Universitäten in Großbritannien schon jetzt negative Folgen. Die britische Tageszeitung The Guardian berichtete, dass britische Universitäten und Wissenschaftler aufgefordert worden seien, ihre Beteiligung an gemeinsamen Projekten aufzugeben; internationale Forscher werden von anderen Ländern abgeworben.
Wir bedauern, dass Großbritannien sich tatsächlich für einen Austritt aus der EU entschieden hat, denn wir sind überzeugt, dass Europa einen intensiven Wissenschaftsaustausch und vielfältige Kooperationen braucht, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Bei der DAAD-Netzwerkkonferenz im Juli in Bonn berichteten Hochschulvertreter, dass ihre Partner im Vereinigten Königreich den Brexit sehr bedauern und weiterhin stark an Kooperationen interessiert sind. Wir werden hierzu mit unseren Mitgliedshochschulen und britischen Partnern eng im Dialog bleiben. Unsere Außenstelle in London ist hierbei für uns extrem wichtig.
Britische Universitäten hatten für einen Verbleib in der EU geworben, mehr als 150 renommierte Wissenschaftler – darunter der Astrophysiker Stephen Hawking – warnten vor einem „Brain Drain“, dass also Wissenschaftler abwandern oder gar nicht erst auf die Insel kommen. Welche Folgen hat der Brexit für deutsche Wissenschaftler in Großbritannien?
Zwar wird sich innerhalb der ersten zwei Jahre nach erklärtem Austrittsgesuch (dessen Termin noch offen ist) für deutsche und andere EU-Wissenschaftler nichts ändern. Jedoch ist die Verunsicherung groß, einige fühlen sich nicht mehr willkommen. An britischen Universitäten sind besonders viele Deutsche beschäftigt. Von knapp 32.000 EU-Staatsangehörigen, die dort lehren und forschen, hat jeder sechste die deutsche Staatsbürgerschaft, das ist die größte Gruppe. Forscher profitieren bisher von der Freizügigkeit in der EU. Sie brauchen weder ein Visum noch eine Aufenthaltsgenehmigung. Großbritannien ist insgesamt sehr attraktiv und die Qualität der Universitäten hoch, auch jenseits von Oxford, Cambridge und dem Imperial College. Kürzlich habe ich in Cambridge mit Kollegen über mögliche Konsequenzen des Brexit gesprochen. Alle waren besorgt: Der freie Austausch von Ideen, die Selbstverständlichkeit der Universitäten, zu kooperieren, gemeinsam Workshops und Summer Schools auszurichten und dabei von EU-Fördergeldern zu profitieren – all das steht jetzt zur Debatte.
Für deutsche Studierende, Forscher und Wissenschaftler ist Großbritannien eines der wichtigsten Zielländer Europas. Es gehört neben Spanien und Frankreich zu den beliebtesten Ländern im Erasmus+ Programm. Aktuell studieren 4.400 Deutsche im Rahmen von Erasmus+ in Großbritannien – sie müssen keine Studiengebühren zahlen. Gefährdet der Brexit diese langjährige Zusammenarbeit?
Es ist zu befürchten, dass das Studium sehr viel teurer wird, denn die Studiengebühren in Großbritannien sind gerade in den letzten Jahren enorm gestiegen. Wenn die Briten ihre Offenheit für Studierende aus europäischen Ländern behalten wollen, muss darüber verhandelt werden. Bisher zahlen EU-Bürger im grundständigen Bereich (Bachelor) reduzierte Studiengebühren, die sogenannten „home fees“. In England und Wales gilt eine Obergrenze von 9.000 GBP (10.800 Euro). Für Nicht-EU-Bürger gibt es hingegen keine Obergrenze, die Studiengebühren liegen zwischen 15.000 und fast 30.000 Euro im Jahr. Vom Studienjahr 2017/18 an zeichnet sich eine Erhöhung der sogenannten home fees ab. Einige Universitäten wie Durham, Kent oder Royal Holloway haben dies kürzlich bereits offiziell bekanntgegeben und nennen 9.250 GBP. Ich rechne damit, dass weitere Hochschulen dem Trend folgen werden.
Auch für britische Studierende könnte es ein Nachteil sein, wenn weniger internationale Studierende auf die Insel kommen.
Britische Studierende studieren aus vielerlei Gründen seltener im Ausland. Die „internationalisation at home“, die starke Präsenz internationaler Studierender an den Universitäten mit fast 20 Prozent, hatte einen gewissen Ausgleich geschaffen. Es ist sehr gut möglich, dass die Zahl der Studierenden aus EU-Mitgliedsstaaten, die momentan mehr als 28 Prozent der internationalen Studierenden ausmacht, in Großbritannien mit steigenden Studiengebühren sinkt. Und damit wird sich auch die sogenannte „classroom balance“, also der intellektuelle Beitrag, die Impulse der unterschiedlichen Gruppen, an den britischen Universitäten verändern.
Obwohl die Schweiz nie zur EU gehörte, mussten Schweizer Studierende wie EU-Bürger in Großbritannien bislang nur reduzierte Studiengebühren zahlen. Halten Sie eine solche Sonderregelung auch für die 27 Mitgliedsstaaten der EU für denkbar?
Da sich der britische Staat in den vergangenen Jahren zunehmend aus der Studienfinanzierung und Forschungsförderung zurückgezogen hat, ist das zu bezweifeln. Britische Hochschulen sind auf Gebühreneinnahmen angewiesen. Es fällt schwer, an eine dritte Kategorie – neben „home fees“ und „non EU international fees“, wie bisher schon, als weitere Gruppe dann vielleicht die „former EU member state fees“ – zu denken. Wie wollte man dies nach dem Wegfall des Gleichbehandlungsgrundsatzes innerhalb der EU gegenüber anderen internationalen Studierenden begründen?
Sie erwähnten gerade die Forschungsförderung. Welche Folgen hätte ein EU-Austritt Großbritanniens in dieser Hinsicht?
Neben Deutschland erhält Großbritannien mit einem Anteil von zehn Prozent bislang die höchste Summe aus den europäischen Fördergeldern für Forschung und Innovation. Den Wegfall europäischer Fördergelder wird die britische Regierung auffangen müssen. Auch für die ERC (European Research Council)-Grants, die an manchen britischen Universitäten bis zu 15 Prozent des Forschungshaushalts ausmachen, würden die Universitäten des Vereinigten Königreichs nicht mehr in Frage kommen. Derzeit beziehen die fünf Spitzenuniversitäten Cambridge, Oxford, UCL, Imperial College und Edinburgh etwa 20 Prozent ihrer öffentlichen Finanzmittel aus EU-Töpfen.
Welche Szenarien sind diesbezüglich denkbar?
Das kommt vor allem auf den zukünftigen Status des Vereinigten Königreichs an, der in den kommenden zwei (oder mehr) Jahren verhandelt wird. Bleibt das Land Teil des Europäischen Wirtschaftsraumes? Oder wird es von der EU als normales Nicht-EU-Land behandelt werden? Das hieße dann vermutlich auch, dass Großbritannien kein Geld mehr aus dem Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und Innovation, „Horizont 2020“, erhalten würde. Pro Jahr fielen damit umgerechnet rund 930 Millionen Euro weg. Der Londoner Technologiekonzern Digital Science hat eine Studie veröffentlicht, nach der es besonders die Nanotechnologie, die Forstwirtschaft und die Evolutionsbiologie treffen würde – Forschungszweige, die zu mehr als der Hälfte aus EU-Geldern finanziert werden. Es ist die Frage, ob die Wissenschaft die notwendige finanzielle Unterstützung erhält, wenn auch andere bisher von der EU geförderte Bereiche wie Landwirtschaft oder Regional- und Strukturförderung Bedarf anmelden.
Könnte der Brexit auch Einfluss auf die Projekte „Higher and Further Education Opportunities and Perspectives for Syrians“ (HOPES) und „European Union Support for Higher Education in the ASEAN Region“ (SHARE) haben, in denen Deutschland über den DAAD vertreten ist und im Konsortium mit Großbritannien zusammenarbeitet?
Das hängt ebenfalls vom künftigen Status Großbritanniens zur EU ab. Die Tendenz, Großbritannien nun eher eine Junior- als eine Seniorrolle in gemeinsamen Projekten zuzuweisen, sehen wir mit Besorgnis. Wir haben enge Verbindungen zu Großbritannien. Sollte das Land in unseren gemeinsamen Konsortien künftig nicht mehr in vollem Umfang antragsberechtigt sein, müssten wir viele unserer erfolgreichen Gemeinschaftsprojekte überdenken.