DAAD-Alumni: Jetzt erst recht – Zusammenarbeit und Austausch trotz Brexit

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Im Gespräch bleiben: Das Londoner Alumni-Treffen des DAAD betonte die Bedeutung des anhaltenden Austauschs

Auch wenn sich Europa nach dem Brexit-Votum der Briten und dem Austritt des Landes aus der Europäischen Union verändern wird – der freie wissenschaftliche Austausch soll bestehen bleiben. Das signalisierten rund hundert britische und irische Teilnehmer eines vom DAAD organisierten Alumni-Treffens vom 11. bis zum 13. September an der Royal Holloway, University of London unter dem Motto „A Changing Europe – the Importance of Lasting Relations“.

DAAD-Alumni-Treffen in London 2016

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Mit dem Blick für gewachsene Traditionen: Teilnehmer des Alumni-Treffens während der Führung durch den historischen Teil der Royal Holloway, University of London

„Eigentlich brauchen wir in Großbritannien jetzt eine Organisation wie den DAAD“, resümierte der britische Professor Colin Riordan auf dem Londoner DAAD-Alumni-Treffen. Er hatte gegenüber der DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel, seinen Landsleuten und den Gästen aus der Republik Irland kämpferisch und hoffnungsvoll über die Zukunft von Großbritanniens international ausgerichteter Wissenschaft nach dem bevorstehenden Austritt aus der Europäischen Union gesprochen – und erntete Applaus von den Versammelten. Denn die hatten mit einem Stipendium des DAAD oder der Alexander von Humboldt-Stiftung einen Studien- oder Forschungsaufenthalt in Deutschland absolviert und stehen somit für die lebendige Tradition jahrzehntelanger verlässlicher akademischer Beziehungen zum europäischen Festland. Das Brexit-Votum war für die Anwesenden und so gut wie alle britischen Akademiker ein Schock, berichtet Dr. Georg Krawietz, Direktor der DAAD-Außenstelle in London. Ihnen sprach Colin Riordan, Präsident der Cardiff University, aus dem Herzen. Riordan war bis vor Kurzem Vorsitzender der International Unit von Universities UK (UUK), der britischen Hochschulrektorenkonferenz mit 134 Mitgliedern, und ist jetzt ihr Vizepräsident. Die UUK hatte seit Mai 2015 mit einer Kampagne für den Verbleib der Briten in Europa geworben.

DAAD-Alumni-Treffen in London 2016

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DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel (hier im Gespräch mit Lord Stephen Green of Hurstpierpoint): "Wir alle sind und bleiben Europäerinnen und Europäer"

Bekanntermaßen ohne Erfolg, doch DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel stellte in London das Gemeinsame und Bleibende heraus: „Akademische Verbindungen, Kontakte, Projekte und der Austausch über Grenzen hinweg waren und sind wichtig und werden zukünftig wichtig sein.“ Der DAAD will das auch vor dem Brexit-Hintergrund mit seinen Partnern weiter befördern. „Ob innerhalb oder außerhalb der EU, wir alle sind und bleiben Europäerinnen und Europäer und werden unser Möglichstes tun, ein kooperatives Europa, insbesondere auf dem akademischen Feld, zu pflegen und weiter zu fördern.“

Aktiv weitermachen

Die Teilnehmer des Alumni-Treffens wünschen sich – wie auch die meisten britischen Akademiker – eine Fortführung und Intensivierung des europäischen wissenschaftlichen Austauschs. Colin Riordan, der in seinem Vortrag auf die aktuelle Situation der britischen Hochschulen mit Blick auf zukünftige Kooperationen in Europa einging, machte immer wieder deutlich, wie sehr Wissenschaft und Hochschulen an der weiterhin internationalen Ausrichtung der britischen Institutionen und der Beteiligung an EU-Programmen interessiert seien. Dabei sollte seiner Vorstellung nach die britische Rolle in einer künftigen europäischen Zusammenarbeit aktiv bleiben und Inhalte und Strukturen weiterhin mitbestimmen. „Wenn eine Mitwirkung zukünftig nicht mehr möglich ist, verlieren alle und der Wissenschaftsraum Europa als ganzer.“

DAAD-Alumni-Treffen in London 2016

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Gespräch während des Treffens: "Niemand kann wissenschaftliche Kolleginnen und Kollegen aus anderen EU-Staaten mit solchen, die eine britische Staatsangehörigkeit haben, ersetzen"

Zuversichtlich nach vorne schauen

Die Sorgen um die Fortführung der wissenschaftlichen Beziehungen drei Monate nach dem EU-Austrittsreferendum vom 23. Juni wichen auf dem Londoner Alumni-Treffen immer wieder einer Aufbruchsstimmung. Auch wenn die politische Antwort auf die Frage der Personenfreizügigkeit – eine der Hauptkriterien für die Teilnahme an europäischen Maßnahmen – eine Herausforderung bleibe: „Niemand kann wissenschaftliche Kolleginnen und Kollegen aus anderen EU-Staaten mit solchen, die eine britische Staatsangehörigkeit haben, ersetzen“, betonte Riordan; niemand wolle auf die Studierenden aus der EU verzichten und niemand wolle, dass die derzeit steigenden Zahlen der britischen Studierenden, die dank des Erasmus+ Programms internationale Erfahrungen sammeln, wieder einbrechen.

Zusammenarbeit erhalten 

Ob Juristen, Germanisten, Historiker oder Naturwissenschaftler – die britischen und irischen Alumni einte die klare Stellungnahme zum akademischen Austausch mit der EU. Denn die Verbindungen sind und bleiben fest verwoben. Zum Beispiel im Bereich kontinentaleuropäisches und angelsächsisches Recht, wie Professor Paul Taggart von der University of Sussex und Stephen Morrall, stellvertretender Vorsitzender der deutsch-britischen Juristenvereinigung, referierten. In anderen Bereichen lohnen Vergleiche, etwa in der Wohnungsbaupolitik: Hier fördert der DAAD London im Programmbereich „Promoting German Studies“ (PGS) aktuell ein wissenschaftliches Projekt an der Aston University, Birmingham. Es wurde auf dem Treffen vorgestellt und stellt fest, wie unterschiedlich die Verhältnisse in Deutschland und Großbritannien sind. „Wohnungsbaupolitik ist in beiden Ländern ein wichtiges Feld, und in Großbritannien mit den extrem gestiegenen und weiter steigenden Miet- und Wohnungserwerbskosten noch einmal mehr als in Deutschland“, betont Außenstellenleiter Georg Krawietz. Weil das Land derzeit auf dem Gebiet in einer Krise stecke, sei das Interesse am fortlaufenden wissenschaftlichen Austausch groß.

DAAD-Alumni-Treffen in London 2016

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Stephen Green: staatliche Einheit nach außen, Wahrung von Vielfalt nach innen

Europäische Identität fördern

Der frühere Bankmanager Lord Stephen Green of Hurstpierpoint stellte in seiner Keynote die Frage nach der Europäischen Identität. Bereits 2015 hatte er mit seinem Buch „The European Identity – Historical and Cultural Realities We Cannot Deny“ auf diese Herausforderung hingewiesen, der sich die europäischen Mitgliedstaaten inklusive des Vereinigten Königreiches stellen müssten. Deutschland forderte der Brite dabei zu einer selbstbewussten Vorbildrolle auf: seine Sprache erlaube Variationen, viele seiner Menschen präge eine stark regionale Identität, die sie als Heimat emotional verinnerlicht hätten, und das Zusammenleben sei föderal organisiert. Hier verbinde sich staatliche Einheit nach außen mit der Wahrung von Vielfalt nach innen.

Bettina Mittelstraß (19. September 2016)