Der DAAD auf der Buchmesse – die Zukunft Europas

Sarah Kanning

Interessierte Zuhörer im Forum Weltempfang auf der Buchmesse: Hier finden spannende Diskussionen, Vorträge und Debatten statt 

Wo steht Europa – und wie wird es sich nach der Entscheidung der Briten zum Austritt aus der EU verändern? Die diesjährige Frankfurter Buchmesse drehte sich thematisch – auch wegen des Gastlands Flandern und die Niederlande – um Fragen des Zusammenlebens, der Kooperation und der gemeinsamen Zukunft. Der DAAD war mit zwei Gesprächsforen und einem eigenen Messestand vertreten.

Die Brexit-Entscheidung der Briten hat viele Menschen in Europa schockiert – auch Großbritannien selbst. Doch wie Dr. Georg Krawietz, Leiter der DAAD-Außenstelle London, in der vom DAAD organisierten Podiumsdiskussion „Europa hält/fällt zusammen“ klar machte, ist gerade den jungen Briten die Europäische Union nicht egal – auch wenn im Verhältnis weniger Briten im Alter von 18 bis 34 Jahren abgestimmt hatten als ältere Briten. „Hätten die Jüngeren mehr abgestimmt, wäre das Referendum anders ausgegangen – dann hätten wir eine Entscheidung ,pro remain’ bekommen“, sagte Krawietz.

Buchmesse Diskussion zu Europa
Sarah Kanning

Über die Zukunft Europas diskutierten Jochen Hellmann, Georg Krawietz und Krzysztof Ruchniewicz (v. l. n. r.), die Journalistin Elisabeth Cadot moderierte die Debatte

Sechzig Minuten lang diskutierten Experten während der vom DAAD organisierten Debatte aus deutscher, britischer, französischer und polnischer Perspektive Fragen der Kooperation und der Zukunft der Union. Die Entscheidung der Briten zieht Kreise, indem auch andere Staaten jetzt über einen Austritt nachdenken. „Die Mehrheit der Polen steht dem Projekt Europäische Union enthusiastisch gegenüber“, konnte allerdings Professor Krzysztof Ruchniewicz, Direktor des Willy Brandt Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Wrocław (Breslau), berichten. In einer kürzlich veröffentlichen polnischen Studie sprachen sich 85 Prozent der Befragten gegen einen Austritt Polens aus der EU aus. „Auch wenn die Regierung ablehnend bis feindlich eingestellt ist – die Jugendlichen sind es nicht“, sagte Ruchniewicz.

Hochschulen suchen Anschluss

Nach einer Schockstarre seien es jetzt – neben dem Finanzsektor – vor allem die Hochschulen, die sich bei der Regierung für ein zweites Referendum einsetzten, berichtete Georg Krawietz aus Großbritannien. „Neben den finanziellen Ausfällen haben die Hochschulen noch größere Angst davor, von Projekten abgekoppelt zu werden.“ Doch auch für die sogenannte Classroom-Balance, die Ausgewogenheit der Nationalitäten im Hörsaal, könnte der Brexit Folgen haben: Ermäßigte Studiengebühren für Europäer, wie sie bisher beispielsweise Deutsche in England erhalten, könnten nach einem vollzogenen Brexit nicht mehr aufrecht erhalten werden, ist Krawietz sicher. „Das wird dazu führen, dass nicht mehr alle nach Großbritannien gehen können, die das gerne möchten.“

Das sieht Dr. Jochen Hellmann, Generalsekretär der Deutsch-Französischen Hochschule, anders: „Das Beispiel Australien zeigt, dass Studierende sich von hohen Studiengebühren nicht abhalten lassen“, sagte er im Gespräch mit der französischen Journalistin Elisabeth Cadot, die die Diskussion moderierte. Auf ihre Frage, wie groß die Bedrohung Europas durch Fremdenfeindlichkeit sei, antwortete er: „Wir müssen sehen, ob wir den Höhepunkt der Fremdenfeindlichkeit schon erreicht haben.“ Für die meisten Wissenschaftler in internationalen Kooperationsprojekten sei das politische Klima „recht unerheblich“. Georg Krawietz berichtete aus Großbritannien allerdings davon, dass deutsche und andere europäische Wissenschaftler sich auf der Insel teilweise nicht mehr willkommen fühlten.

„Mehr Europa, aber anders als bisher“

Über „Mehr Europa, aber anders als bisher“ diskutierten in einer vom Berliner Künstlerprogramm des DAAD und dem Institut français organisierten Podiumsdiskussion drei herausragende Autoren am Freitag der Buchmesse: Der flämische Schriftsteller und Essayist Stefan Hertmans, der französische Autor und Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD 2013, Mathias Énard, und die kroatische Schriftstellerin und Theaterregisseurin Ivana Sajko, die aktuell Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD ist. Sajko gab zu, „mit vielen Fragen hier hergekommen zu sein“, wie sie sagte: „Was ist vom Friedensprojekt Europa übrig geblieben? Was ist Europa? Wo finde ich Antwort auf meine Fragen? Vielleicht bei den Linken – aber wo sind sie?“ Mathias Énard legte mit einem Rückblick auf die Geschichte des europäischen Kontinents dar, dass Europa immer von Zeiten des Austauschs und Phasen der Konflikte geprägt war. „Wenn wir heute von Europa sprechen, ist Politik an die Stelle des Kulturellen getreten“, sagte der Autor, der im vergangenen Jahr mit dem renommierten französischen „Prix Goncourt“ für sein Buch „Kompass“ („Boussole“) ausgezeichnet worden ist.

Buchmesse Debatte zu Europa
Sarah Kanning

Der Journalist Lothar Müller (links) moderierte die Diskussion "Mehr Europa, aber anders als bisher". Seine Gesprächspartner: Ivana Sajko, Mathias Énard und Stefan Hertmans (v. l. n. r.) 

„Ist die neurotische Frage nach der kulturellen Krise vielleicht gerade typisch für eine europäische Identität?“, fragte Stefan Hertmans auf dem Podium provokant und forderte dann auf: „Schluss damit!“ Europa habe nie gewusst wer es war, „und andere integriert – das war eine Stärke“. Wie Moderator Lothar Müller, Journalist der „Süddeutschen Zeitung“ sagte, argumentiere gerade die politische Rechte kulturell – und nicht politisch. Dabei geht es um die Frage, wer angeblich zu Europa passe und wer nicht. „Die Union hat es nicht geschafft, den Bürgerkrieg in Syrien zu stoppen“, sagte Énard. „Die Millionen Ausgewanderten sind die Folge. Die Politik dachte, Damaskus bliebe in Damaskus – doch der Mittelmeerraum ist klein und die Ränder des Mittelmeerraums gehören für mich zu Europa.“

Für Katharina Narbutovič, Leiterin des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, stehen die drei Podiumsgäste zum einen „für Brenn- und Problempunkte Europas“, zum anderen sprächen sie sich „auf je eigene Weise mit Nachdruck für eine Umsetzung der eigentlichen Werte Europas aus“: Stefan Hertmans beispielsweise moniere immer wieder „die großen Versäumnisse in der Bildungspolitik mit Blick auf die verschiedenen Einwanderergenerationen in unserer Gesellschaft“, Mathias Énard zeige in seinen Büchern immer wieder den großen Einfluss der Kultur des Orients auf Europa auf, „und dass wir uns einen Tort antun, wenn wir den Orient auf eine Region reduzieren, die Terror und Flüchtlingsströme produziert“. Ivana Sajko hat als Heranwachsende den Jugoslawienkrieg erlebt und „kämpft als engagiertes Mitglied der Zivilgesellschaft Zagrebs gegen den Rechtspopulismus mittel- und osteuropäischer Couleur“.

Neue Kampagne am DAAD-Stand

Der DAAD-Stand auf der Buchmesse stand in diesem Jahr mit neuen Messeelementen vor allem unter dem Thema der neuen Kampagne „studieren weltweit – Erlebe es!“. „Unsere Kampagne ist noch nicht einmal ein Jahr alt – doch sie hat sich voll entfaltet“, sagte Alexander Haridi, Leiter des DAAD-Referats „Informationen zum Studium im Ausland“.

Buchmesse DAAD Stand
Sarah Kanning

Die Jurastudentin Annika Wahl ist Correspondent der neuen DAAD-Kampagne „studieren weltweit – Erlebe es!“ und beantwortete am Stand Fragen der Besucher

Vierzig sogenannte Correspondents berichten auf der Website studieren-weltweit.de von ihren Studienaufenthalten, Sprachkursen und Praktika in der ganzen Welt. Warum die Kampagne so wichtig sei? „Weil Studierende sich selbst in der Welt erleben können“, sagte Haridi. Auch die erste Ausgabe des Magazins zur Kampagne kam auf der Buchmesse gut an: „Die Besucher haben uns das Magazin fast aus den Händen gerissen“, erzählte Dr. Natalija Prahl vom DAAD. Doch mit aufgestellten Tablets und einem Computer blieben auch ohne Magazin noch genügend Möglichkeiten, am Stand in Halle 3.1. die Berichte der Correspondents nachzuverfolgen. Anleitung brauchten die interessierten Schüler dazu nicht: „Sie surfen einfach los“, sagte Anne Münkel vom „studieren weltweit“-Team des DAAD. Und schließlich war mit der Jurastudentin Annika Wahl sogar eine echte Correspondent am Stand, die mit einem „Frag mich“-Button am pinkfarbenen T-Shirt Fragen der Besucher beantwortete. Annika Wahl hat in Großbritannien und in Frankreich Auslandserfahrung gesammelt. „Das war die beste Zeit in meinem Studium“, sagte sie. Freunde aus aller Welt und viele neue Erfahrungen werden ihr bleiben.

Sarah Kanning (25. Oktober 2016)