exceed-Konferenz: Flucht und Migration im Blickfeld eines weltweiten Netzwerks
LMU München/Andreas Paasch
Gruppenbild (Ausschnitt) der Teilnehmer der exceed-Konferenz "Forced Migration – environmental and socioeconomic dimensions"
Mit dem exceed-Programm fördert der DAAD aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Hochschulexzellenz und internationale Kooperation in außergewöhnlichen Dimensionen: Fünf deutsche Hochschulen arbeiten mit 37 Partnerinstitutionen in Afrika, Asien und Südamerika zusammen. Den Wert dieses Austauschs mit Blick auf die Themen Flucht und Migration verdeutlichte nun eine Konferenz in Berlin.
Flucht und Migration – diese Themen beherrschen spätestens seit dem Sommer 2015 die Schlagzeilen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen zählt aktuell über 65 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind – überwiegend im eigenen Land. Was aber sind die Ursachen von Migration und wie hängen Fluchtgründe wie kriegerische Konflikte und Wassermangel zusammen? Ist ein menschenwürdiges Dasein in den Flüchtlingslagern möglich? Wie gehen Gastländer mit dem Zustrom von Flüchtlingen um und welche Verantwortung trägt die internationale Gemeinschaft?
Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Konferenz „Forced Migration – environmental and socioeconomic dimensions“, zu der die fünf deutschen Hochschulen des DAAD-Programms „Hochschulexzellenz in der Entwicklungszusammenarbeit – exceed“ am 19. und 20. Oktober nach Berlin eingeladen haben. Die TU Braunschweig, die LMU München, die TH Köln und die Universitäten Kassel und Hohenheim bilden zusammen mit ihren 37 Partnerinstitutionen in Afrika, Asien und Südamerika ein Netzwerk, das der DAAD seit 2009 fördert – aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
LMU München/Andreas Paasch
Auf der Suche nach Antworten: Drängende Fragen der Gegenwart wurden in Berlin von den Konferenzteilnehmern diskutiert
Eine wesentliche Stärke des exceed-Netzwerks ist, dass seine Mitglieder einen differenzierten Blick auf globale Fragestellungen haben. Dies wurde auch durch die Berliner Konferenz und die eingeladenen Redner deutlich. So machte etwa Dr. Benjamin Schraven, Sozialwissenschaftler vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), deutlich, dass der aktuelle Höchststand bei den Flüchtlingszahlen zwar auf bewaffnete Konflikte wie in Syrien oder im Irak zurückzuführen sei, dass Fluchtursachen generell aber viel komplexer seien. Das hat auch mit dem Klimawandel zu tun: Die Wahrscheinlichkeit von Überschwemmungen und Dürren hat zugenommen. Das wiederum hat Folgen für die Ernährung: Fruchtbare Böden für Landwirtschaft und Weideland für die Viehhaltung werden knapper – ein Grund mehr für Flucht und Vertreibung.
Wie verschiedene Fluchtursachen zusammenwirken, legte Professor James B. Kung’u von der kenianischen Kenyatta-Universität am Beispiel der Viehzucht betreibenden Nomaden im Norden des Landes dar. Aufgrund der Dürre konkurrieren sie um immer weniger Weideland und Wasserstellen. Das führt zu Vertreibung, zu Flucht und zu Konflikten, die wiederum verschärft würden, weil Viehhalter aus dem angrenzenden Äthiopien wegen Wassermangels die Grenze nach Kenia überschreiten und weil Waffen aus Sudan und Somalia kommen, Nachbarländer, die seit Jahrzehnten unter bewaffneten Konflikten leiden.
Die Zeit drängt
Professor Bülent Topkaya prognostizierte eine weitere dramatische Entwicklung für die wasserärmste Region der Welt, die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas. Ein Großteil des raren Frischwassers wird dort für die Bewässerung von Feldern eingesetzt. Wenn es nicht gelingt, Wasser in der Landwirtschaft einzusparen, sieht die Zukunft düster aus: „2030 werden die Menschen in den meisten Ländern dieser Region unter absolutem Wassermangel leiden“, sagte Topkaya. Wassermangel, so die Schlussfolgerung des türkischen Umweltingenieurs von der Akdeniz-Universität in Antalya, „wird möglicherweise die Triebkraft für Migration im nächsten Jahrzehnt sein“.
LMU München/Andreas Paasch
Im Dialog: Die exceed-Konferenz führte viel Gesprächspartner zusammen
Mit den dramatischen Folgen von Flucht und Migration haben bereits heute die Länder in der Region zu kämpfen. Im Libanon sind Flüchtlinge mittlerweile ein Fünftel der Gesamtbevölkerung. Über die Hälfte sind Kinder. Professor Nahla Hwalla von der American University of Beirut hat in einer Fallstudie ermittelt, dass über 80 Prozent von ihnen unter Mangelernährung leiden. Mit einer von der Wissenschaftlerin initiierten Schulspeisung verbunden mit Aufklärung über Ernährungsfragen konnte die Kalorien- und auch die Proteinaufnahme verbessert werden.
Wie die Lebensbedingungen in Flüchtlingslagern nachhaltig verbessert werden können, dazu machte Manal Ali, Doktorandin an der Technischen Universität Braunschweig, einen Vorschlag. Mit dem Bau und Betrieb einer Anlage zur Abwasseraufbereitung, Mülltrennung und Produktion von Biogas aus Klärschlamm will sie das drängende Abfall- und Abwasserproblem lösen und Flüchtlingen zugleich zu Ausbildung und Jobs verhelfen. Wie sie am Beispiel des jordanischen Flüchtlingslagers Zaatari zeigte, hätte auch die einheimische Bevölkerung etwas davon, weil der Arbeitsmarkt entlastet wird, und die Anlage weiterbetrieben würde, wenn das Flüchtlingscamp aufgelöst ist. Um das Konzept weiterzuentwickeln, bemühen sich die Braunschweiger Wissenschaftler derzeit um finanzielle Förderung.
Notwendige Perspektivwechsel
Die exceed-Konferenz, zu der über 120 Wissenschaftler aus aller Welt nach Berlin gereist waren, machte auch deutlich, wo die Forschung zum Thema Migration noch besser werden kann. „Wir müssen noch stärker die Betroffenen selbst einbeziehen, damit wir die richtigen Schlüsse ziehen“, so etwa Professor Lars Ribbe von der TH Köln. Genauso wichtig wie die lokale Ebene, sind aber auch die politischen Steuerungsinstrumente. Thomas Gebauer, Geschäftsführer der Hilfsorganisation medico international, mahnte, die strukturellen Gründe für Flucht in den Blick zu nehmen. Dazu zähle nicht zuletzt die internationale Handelspolitik. Kleinbauern in den Ländern des Südens würden auch in die Flucht getrieben, weil sie selbst auf lokalen Märkten angesichts industriell produzierter Billigware – Hähnchenflügel aus den Niederlanden oder Tomaten aus Italien – chancenlos sind.
LMU München/Andreas Paasch
DAAD-Bereichsleiter Stefan Bienefeld: Die Zukunft des Netzwerks im Blick
Stefan Bienefeld, Bereichsleiter Entwicklungszusammenarbeit und überregionale Programme beim DAAD, unterstrich in der abschließenden Podiumsdiskussion, dass sich in Deutschland der Blick auf das Thema Flucht und Migration mit der aktuellen Flüchtlingskrise gewandelt habe – und auch die Bedeutung der Hilfe vor Ort erkannt worden sei. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung habe gleich mehrere entsprechende Initiativen ergriffen. Die Chancen, dass die Forschung im weltumspannenden exceed-Netzwerk weitergeht, stehen jedenfalls gut, wie Stefan Bienefeld versicherte: „Es gibt Gespräche darüber, das exceed-Programm auch über 2019 hinaus fortzusetzen.“
Kristina Vaillant (31. Oktober 2016)