Zentren für Deutschland- und Europastudien: Neues Denken für die deutsch-niederländische Nachbarschaft
DIA/Rebke Klokke
Team mit vielen Aufgaben: die Mitarbeiter des Duitsland Instituut Amsterdam (DIA)
Werben für Verständnis, Wissenschaft und eine gemeinsame Zukunft: Das Duitsland Instituut Amsterdam (DIA) genießt mit seiner Deutschland-Expertise einen herausragenden Ruf. Und es zeigt: Noch immer gibt es im jeweiligen Nachbarland viel zu entdecken.
Die Niederlande und ihr Nachbar Deutschland – lange Zeit war das Verhältnis besonders belastet und das Deutschlandbild vieler Niederländer auch aufgrund der traumatischen Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs nachhaltig beschädigt. Vor diesem Hintergrund initiierte die niederländische Regierung im Jahr 1996 das Deutschlandprogramm für den Hochschulunterricht; im Zuge dieser Initiative wurde noch im gleichen Jahr das Duitsland Instituut Amsterdam (DIA) gegründet, ein an die Universität Amsterdam angegliedertes Deutschland-Institut.
„Eine der Aufgaben war, das negative Deutschland-Bild in der Öffentlichkeit zu verbessern“, sagt Ton Nijhuis. Der Historiker, Politikwissenschaftler und Philosoph, der Professor für Deutschlandstudien an der Universität Amsterdam ist, kennt das DIA wie wohl kaum ein anderer. Seit 2002 ist er Wissenschaftlicher Direktor des DIA, davor arbeitete er bereits als Forschungskoordinator am DIA. „Deutschland war Mitte der 1990er-Jahre der ‚kranke Mann Europas‘, das Interesse war gering“, erzählt er. Heute gelte Deutschland als Wachstumsmotor – und alle wollten wissen, wie das Land dies geschafft habe und was dort vor sich gehe. Mittlerweile, so Nijhuis, stehe Deutschland mit an der Spitze der beliebtesten Nationen bei den Niederländern.
„Neue Nachbarschaft“
Diese „neue Nachbarschaft“ strahlt wiederum auf die Arbeit des DIA aus. „Natürlich profitieren wir von dem gestiegenen Interesse“, sagt Ton Nijhuis. Das DIA hat in den vergangenen 20 Jahren einiges zu dem positiven Deutschlandbild beigetragen und sich den Ruf eines exzellenten und unabhängigen Kompetenzzentrums bei allen Fragen zu Deutschland erworben, in der akademischen Welt wie in der breiteren Öffentlichkeit, gegenüber den Medien sowie als Ratgeber für die Regierung. Das DIA organisierte 2015 zum Beispiel für eine Delegation und die niederländische Ministerin für Bildung, Kultur und Wissenschaft Dr. Jet Bussemaker eine Reise zum Wissenschaftsstandort Deutschland. Auslöser war ein DIA-Bericht, der den aktuellen Stand von Forschung und Entwicklung in Deutschland dokumentierte. „Wir machen heute mehr Politikberatung als früher und erklären, was die Niederlande vom östlichen Nachbarn in Forschung und Wissenschaft lernen könnten“, erläutert Nijhuis.
DIA/Peter van Beek
Gefragter Ansprechpartner: Ton Nijhuis (hier nach der Bundestagswahl 2009)
Wesentlich für den Wandel des Deutschland-Instituts im akademischen Bereich war die Einrichtung des DIA-Graduiertenkollegs im Jahr 2001, das der DAAD unter anderem über Promotionsstipendien unterstützt. Für das DIA sei dies der Start in die eigene Lehre und die eigene Forschung gewesen, sagt Ton Nijhuis. Das Kolleg vernetzt Nachwuchswissenschaftler, die zu aktuellen Themen aus den Fachbereichen Gesellschaft, Geschichte, Politik und Kultur promovieren.
Auch der 26-jährige Vincent Bijman hat eine Promotion am DIA ins Auge gefasst. Schon als er seinen Research Master in Geschichte an der Universität Amsterdam machte, belegte er Kurse in Deutschlandstudien am DIA. Derzeit macht er einen zusätzlichen Lehramts-Master für das Gymnasium und hält den Kontakt zum Deutschland-Institut, an dem er Podiumsdiskussionen und andere öffentliche Veranstaltungen besucht. „So kann ich mit der Wissenschaft in Kontakt bleiben“, sagt er. „Ich würde gerne eine vergleichende Promotion zur Geopolitik Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens in den 1920er-Jahren schreiben.“ Die Atmosphäre am DIA sei sehr angenehm und offen, jedoch auch fordernd. Diese Mischung gefalle ihm.
Gut informiert dank Duitslandweb und Duitslanddesk
Vincent Bijman kennt das DIA nicht zuletzt deshalb gut, weil er vor zwei Jahren ein Praktikum beim Internetportal Duitslandweb machte. Das Redaktionsteam informiert nicht nur über das aktuelle Geschehen in Deutschland: Die Website gilt in den Niederlanden als das beste Nachschlagewerk zur deutschen Politik, Geschichte, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Während seines dreimonatigen Praktikums recherchierte Bijman, setzte Themen und schrieb Artikel – etwa über die Frage, ob die Niederlande vergleichbar zu Deutschland ein Bundesverfassungsgericht bräuchten.
Der Weg in die Öffentlichkeit ist für das DIA auch wichtig, weil es für den Hochschulstandort Deutschland werben will. Der 2013 ins Leben gerufene Duitslanddesk ist in den Niederlanden die nationale Anlaufstelle für Informationen rund um ein Studium in Deutschland. Außerdem koordiniert der Duitslanddesk die Vergabe des vom DAAD mitfinanzierten DIA-Stipendiums, für das sich niederländische Studierende und Forscher zweimal im Jahr bewerben können. Der Desk möchte niederländische Studierende und Doktoranden zu einem Studium oder Forschungsaufenthalt im Nachbarland animieren. „Viele Vorteile des Studienstandorts Deutschland sind nicht bekannt“, sagt Britta Bendieck, Leiterin des Duitslanddesks. Selbst dass es an Deutschlands Hochschulen in der Regel keine Studiengebühren gebe, sei kaum präsent. Über Beratungsveranstaltungen und Informationsstände an niederländischen Universitäten, gemeinsame Workshops mit dem Goethe-Institut, Hochschulmessen oder mittels sozialer Medien versuchen Britta Bendieck und ihr Team, Wissenslücken zu schließen. Seit Neuestem schicken sie auch Studienbotschafter an die Schulen, die dort von ihren Erfahrungen als niederländische Studierende an deutschen Hochschulen berichten. Das käme sehr gut an, berichtet Bendieck. Grundsätzlich beobachtet sie, dass „Deutschland unter jungen Leuten stark an Attraktivität gewonnen hat. Dazu trägt auch die besondere Anziehungskraft Berlins bei.“ Studierten im Wintersemester 2009/2010 noch 1.449 Niederländer in Deutschland, waren es im Wintersemester 2015/16 bereits 2.680, ein Plus von mehr als 80 Prozent. Deutschland liegt als Zielland hinter Großbritannien, Belgien und den USA auf Platz vier. Noch ist das Gefälle aber sehr groß: Rund 24.000 Deutsche entschieden sich im Wintersemester 2014/15 für ein Studium in den Niederlanden.
Die Attraktivität nimmt weiter zu
Im Herbst feierte das DIA sein 20-jähriges Bestehen mit einer großen Veranstaltung, an der auch Wissenschaftsministerin Bussemaker und Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier teilnahmen. Und der nächste wichtige Entwicklungsschritt steht bereits an: Zum Wintersemester 2017/18 können sich Studierende für einen deutschsprachigen Bachelor-Studiengang einschreiben, der die philologischen Inhalte aus dem bisherigen Germanistikstudiengang mit den Kultur- und Regionalwissenschaften verknüpft. „Wir wollen das Fach attraktiver machen, um mehr Studierende anzulocken“, sagt DIA-Direktor Nijhuis. Und es geht weiter: Im Jahr 2020 soll ein deutschsprachiger Master in Deutschlandstudien an den Start gehen, der auf dem Bachelor aufbaut. Das DIA hat noch viel vor, um das deutsch-niederländische Verhältnis weiter zu stärken.
Benjamin Haerdle (6. Dezember 2016)
Weitere Informationen
Das DIA ist als unabhängiges Institut der Universität Amsterdam angegliedert. Es ist in die fünf Abteilungen Forschung, Bildung, Duitslandweb, Duitslanddesk und Öffentlichkeitsarbeit gegliedert. Das Institut bietet aktuell einen interdisziplinären Minor im Bachelor und einen niederländischsprachigen Masterstudiengang Deutschlandstudien. Auch fördert das DIA den Sprach- und Landeskundeunterricht im Bereich Deutsch an weiterführenden Schulen. Rund 30 Promotionsstudierende hat das Graduiertenkolleg derzeit, etwa ein Drittel der Doktoranden erhält ein DAAD-Stipendium. Netzwerkaktivitäten haben für das DIA herausragende Bedeutung, etwa im studienbegleitenden Kolleg Europa. Im Dezember 2015 fand in Amsterdam zum Thema „Was lehrt die Geschichte?“ die große Doktorandenkonferenz der DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien statt. Das DIA wird vom niederländischen Bildungsministerium, der Universität Amsterdam und dem DAAD finanziert.
Weiterführende Links
Duitsland Instituut bij de Universiteit van Amsterdam (DIA)
Die Zentren für Deutschland- und Europastudien auf der Website des DAAD
Weitere Artikel der Serie "25 Jahre Zentren für Deutschland- und Europastudien"
- Zentrum für Deutschlandstudien (ZDS) an der Peking-Universität
- Willy Brandt Zentrum (WBZ) für Deutschland- und Europastudien an der Universität Breslau
- das Haifa-Zentrum für Deutschland- und Europastudien (HCGES) und das DAAD-Zentrum für Deutschlandstudien (CGS) an der Hebräischen Universität Jerusalem
- Centre interdisciplinaire d'études et de recherches sur l'Allemagne (CIERA)